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Erzählungen von Tausend und einem Halm / Kurzprosa Beislschmidt
« am: August 18, 2022, 11:32:01 »
Der Legionär
Langsam setzte sich Jean Claude auf das Bett. Vor ihm stand sein abgewetzter Koffer und eine alte Tasche. Er bückte sich und ächzte ein wenig, als er die Tasche öffnete und ein paar Erinnerungsstücke neben sich auf das Bett legte. Das kleine Bild mit dem alten Foto stellte er neben sich auf das Nachtkästchen. Das Tablett mit dem Frühstück war abgedeckt.
"Ich dachte, ich lass es noch stehen", sagte die Schwester, die in der Tür stand.
"Um 12 Uhr gibt's Essen unten im Speisesaal", dann schloss sie die Tür.
Jean Claude schaute aus dem Fenster und betrachtete die Dächer der Blumenstraße. Nach vielen Jahren war er wieder in seine alte Heimat zurückgekehrt. Das Nachbarbett war nicht belegt aber er sollte bald einen Zimmergenossen bekommen, wie die Pflegedienstleitung ihm mitgeteilt hatte.
Sein Blick streifte das alte Foto seiner Kameraden, die etwas steif aufgereiht standen, alle mit der rechten Hand auf der Brust. Sein Vorgänger hatte Gott sei Dank einen Nagel in der Wand gelassen und Jean Claude hängte bedächtig sein anderes Heiligtum an den Nagel. Mit dem goldenen Rahmen sah es unpassend aus in dem kargen Raum. Immerhin konnte man die Farben und das Abzeichen noch gut erkennen. Langsam öffnete er die Lippen und sagte leise "legio patria nostra".
Ein paar Tage waren so vergangen, Jean Claude hatte seinen Rhythmus an das Heim angepasst. Essen, schlafen und ein bißchen spazieren gehen. Mit der Reinigungsfrau aus dem benachbarten Lothringen sprach er manchmal auf französisch übers Wetter und ihre Enkel. Er lächelte, wenn sie ihn mit "a vos ordres, mon capitaine" ansprach. Dazwischen saß er auf seinem Rollator neben dem Hauptportal und rauchte. Manchmal nickten ihm die Leute zu, die dort an der Bushaltestelle warteten.
"So, Herr Schneider, ich möchte ihnen ihren neuen Mitbewohnner vorstellen, Herr Ngyuen" sagte die Schwester und winkte ein kleines Männchen herein.
Nachdem die Schwester gegangen war, sagte das Männchen "guten Tag, ich bin Thran Hung".
" Xin chào" sagte Jean Claude und versuchte freundlich zu lächeln.
"Xin chào, bạn có nói được tiếng Việt không?" fragte das Männchen.
"Một chút nhưng chúng tôi chắc chắn nói tiếng Đức tốt hơn" antwortete Jean Claude etwas unbeholfen.
"Ja, sprechen wir besser deutsch, aber wo haben sie vietnamesisch gelernt?" fragte das Männchen erstaunt.
"Im Krieg" sagte Jean Claude "nach der Schlacht um Điện Biên Phủ war ich zwei Jahre in Gefangenschaft".
Das Männchen streckte ihm die Hand entgegen und sagte "sagen sie bitte Hung zu mir, ich habe auch in Điện Biên Phủ gekämpft, viele Tote".
Jean Claude schüttelt seine Hand und sagte "Ich bin Jean Claude".
"Aber du bist doch deutsch, wieso Krieg gegen die Viet Minh?" fragte Hung.
"Ja, über 3000 Kameraden und der Rest kam ins Lager, das war die Hölle". Jean Claude schaute in Hungs Augen, als erwartete er eine Reaktion.
"Ich war auch in dem Lager" sagte Hung und schaute zu Boden. "Ich musste dort Klavier spielen, das hat mir das Leben gerettet".
"Du warst das? Wir haben uns oft an dem Bambusgitter gedrängt, um dir zuzuhören. Du hast immer die Elise gespielt".
"Ja, die Elise", sagte Hung und lächelte" unten im Speisesaal steht ein Klavier. Morgen spiel ich es, wenn du willst".
"Ja, das wäre schön. Jetzt sind wir alt, keine Kanonen mehr".
Nach zwei Jahren, in denen sich Jean Claude um Hung gekümmert hatte, weil er nach dem Schlaganfall nicht mehr laufen könnte, besorgte er seine Medikamente und manchmal schob er Hung mit dem Rollstuhl durch das Nauwieser Viertel. Als Jean Claude seinem Freund die Augen schloss, flüsterte er leise "legio patria nostra".
.
■■■■
Ich wollte die Geschichte schon immer mal aufschreiben, weil sie nämlich tatsächlich so passiert ist. Die Namen hab ich natürlich geändert aber wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein deutscher Fremdenlegionär und ein Vietnamese, die sich 1954 als Gegner in dieser berühmten Schlacht gegenüberstanden, sich ausgerechnet in Saarbrücken in einem Altenheim treffen? Gleich Null, sollte man meinen aber doch ist sie genau so passiert.
Langsam setzte sich Jean Claude auf das Bett. Vor ihm stand sein abgewetzter Koffer und eine alte Tasche. Er bückte sich und ächzte ein wenig, als er die Tasche öffnete und ein paar Erinnerungsstücke neben sich auf das Bett legte. Das kleine Bild mit dem alten Foto stellte er neben sich auf das Nachtkästchen. Das Tablett mit dem Frühstück war abgedeckt.
"Ich dachte, ich lass es noch stehen", sagte die Schwester, die in der Tür stand.
"Um 12 Uhr gibt's Essen unten im Speisesaal", dann schloss sie die Tür.
Jean Claude schaute aus dem Fenster und betrachtete die Dächer der Blumenstraße. Nach vielen Jahren war er wieder in seine alte Heimat zurückgekehrt. Das Nachbarbett war nicht belegt aber er sollte bald einen Zimmergenossen bekommen, wie die Pflegedienstleitung ihm mitgeteilt hatte.
Sein Blick streifte das alte Foto seiner Kameraden, die etwas steif aufgereiht standen, alle mit der rechten Hand auf der Brust. Sein Vorgänger hatte Gott sei Dank einen Nagel in der Wand gelassen und Jean Claude hängte bedächtig sein anderes Heiligtum an den Nagel. Mit dem goldenen Rahmen sah es unpassend aus in dem kargen Raum. Immerhin konnte man die Farben und das Abzeichen noch gut erkennen. Langsam öffnete er die Lippen und sagte leise "legio patria nostra".
Ein paar Tage waren so vergangen, Jean Claude hatte seinen Rhythmus an das Heim angepasst. Essen, schlafen und ein bißchen spazieren gehen. Mit der Reinigungsfrau aus dem benachbarten Lothringen sprach er manchmal auf französisch übers Wetter und ihre Enkel. Er lächelte, wenn sie ihn mit "a vos ordres, mon capitaine" ansprach. Dazwischen saß er auf seinem Rollator neben dem Hauptportal und rauchte. Manchmal nickten ihm die Leute zu, die dort an der Bushaltestelle warteten.
"So, Herr Schneider, ich möchte ihnen ihren neuen Mitbewohnner vorstellen, Herr Ngyuen" sagte die Schwester und winkte ein kleines Männchen herein.
Nachdem die Schwester gegangen war, sagte das Männchen "guten Tag, ich bin Thran Hung".
" Xin chào" sagte Jean Claude und versuchte freundlich zu lächeln.
"Xin chào, bạn có nói được tiếng Việt không?" fragte das Männchen.
"Một chút nhưng chúng tôi chắc chắn nói tiếng Đức tốt hơn" antwortete Jean Claude etwas unbeholfen.
"Ja, sprechen wir besser deutsch, aber wo haben sie vietnamesisch gelernt?" fragte das Männchen erstaunt.
"Im Krieg" sagte Jean Claude "nach der Schlacht um Điện Biên Phủ war ich zwei Jahre in Gefangenschaft".
Das Männchen streckte ihm die Hand entgegen und sagte "sagen sie bitte Hung zu mir, ich habe auch in Điện Biên Phủ gekämpft, viele Tote".
Jean Claude schüttelt seine Hand und sagte "Ich bin Jean Claude".
"Aber du bist doch deutsch, wieso Krieg gegen die Viet Minh?" fragte Hung.
"Ja, über 3000 Kameraden und der Rest kam ins Lager, das war die Hölle". Jean Claude schaute in Hungs Augen, als erwartete er eine Reaktion.
"Ich war auch in dem Lager" sagte Hung und schaute zu Boden. "Ich musste dort Klavier spielen, das hat mir das Leben gerettet".
"Du warst das? Wir haben uns oft an dem Bambusgitter gedrängt, um dir zuzuhören. Du hast immer die Elise gespielt".
"Ja, die Elise", sagte Hung und lächelte" unten im Speisesaal steht ein Klavier. Morgen spiel ich es, wenn du willst".
"Ja, das wäre schön. Jetzt sind wir alt, keine Kanonen mehr".
Nach zwei Jahren, in denen sich Jean Claude um Hung gekümmert hatte, weil er nach dem Schlaganfall nicht mehr laufen könnte, besorgte er seine Medikamente und manchmal schob er Hung mit dem Rollstuhl durch das Nauwieser Viertel. Als Jean Claude seinem Freund die Augen schloss, flüsterte er leise "legio patria nostra".
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Ich wollte die Geschichte schon immer mal aufschreiben, weil sie nämlich tatsächlich so passiert ist. Die Namen hab ich natürlich geändert aber wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein deutscher Fremdenlegionär und ein Vietnamese, die sich 1954 als Gegner in dieser berühmten Schlacht gegenüberstanden, sich ausgerechnet in Saarbrücken in einem Altenheim treffen? Gleich Null, sollte man meinen aber doch ist sie genau so passiert.