die Lyrik-Wiese

Blumenwiesen => Verbrannte Erde => Thema gestartet von: Erich Kykal am Dezember 28, 2017, 10:40:53

Titel: Selbstmitleid
Beitrag von: Erich Kykal am Dezember 28, 2017, 10:40:53
Ich war ein Richter, der sich nie entscheidet,
da alle Last, die seinen Weg beschwerte,
ihm keine Augenblicke mehr gewährte,
die nicht zerrissen waren, ausgeweidet.

Mir schien der Tag mit Schatten wie bekleidet,
ein Düsteres beatmend, das sich nährte
aus Dunkelheit, die wartend in mir schwärte.
Der Sonne Wärmen gar war mir verleidet!

Ich sah kein Wesen, das ich nicht beneidet
um alles hätte, was ich mir verklärte
zum Gegenteil der Nacht, die in mir gärte,

und während ich der Stunden Schale leerte,
berührte, was in Schwärze sich verkehrte,
mein Innerstes, das sich am Leide weidet.
Titel: Re: Selbstmitleid
Beitrag von: gummibaum am Dezember 28, 2017, 19:00:42
Lieber Erich,

du hast mal wieder, auf nur zwei Reime gestützt (also mit minimalem Wortkorpus hantierend), viel hervorgebracht. Die Empfindung innerer Dunkelheit wird von an sich selbst leidenden LI kunstvoll beschrieben und ausgekostet.

Sehr gern gelesen
LG gummibaum   

 
Titel: Re: Selbstmitleid
Beitrag von: Erich Kykal am Dezember 28, 2017, 22:05:45
Hi Gum!

Wie ich anderswo schon schrieb: So einmal im Jahr bastle ich gern mal wieder ein Sonett, das mit zwei Reimen auskommt - einfach aus Interesse daran, ob es sich irgendwie inhaltlich ausgeht und ob ich es hinkriege, ohne dass es allzu erzwungen und hingedrechselt wirkt.

Vielen Dank für dein positives Echo!  :)

LG, eKy
Titel: Re: Selbstmitleid
Beitrag von: wolfmozart am Dezember 30, 2017, 12:06:11
Hallo Erich,

ein mitnehmendes Gedicht, das Ehrlichkeit ausstrahlt.

Wie meist bei dir sehr wortgewaltig.

Ich sag immer: Wer kein Selbstmitleid hat, kann auch kein Mitleid für andere aufbringen.
Aber das ist meine persönliche Ansicht...

Lieben Gruß wolfmozart
Titel: Re: Selbstmitleid
Beitrag von: Erich Kykal am Dezember 30, 2017, 20:44:43
Hi WM!

Gewagte These, die du da präsentierst!  ;D

Vielen Dank für die netten Worte!  :)

LG, eKy
Titel: Re: Selbstmitleid
Beitrag von: cyparis am Januar 01, 2018, 19:01:33
Lieber Erich -

Selbstmitleid?
Nicht eher düstere Stimmung, Hoffnungslosigkeit?

Eine sowohl in Tenor als auch in der Gestaltung herausragende Leistung, ein großer Wurf.

Verzeih die dünne Brühe, in mir geht es mager zu.

Lieben Gruß
von
Cyparis
Titel: Re: Selbstmitleid
Beitrag von: Erich Kykal am Januar 01, 2018, 20:01:51
Hi Cypi!

Um Selbstmitleid empfinden zu können, MUSS es einem zwangsläufig mies gehen - sonst hätte das Gefühl keinen Sinn! Wenn es einem gut geht, tut man sich nicht leid!  ;)

Wie die Conclusio suggeriert, suhlt man sich dann gern darin - auch und gerade in depressiven Phasen kann es geradezu ein Lustgewinn sein, sich und den eigenen Zustand zu bemitleiden. Interessanterweise ist dies sogar ein Bewältigungsmechanismus, der helfen kann, dass es einem danach besser geht. Es verhindert das völlige Abgleiten in die bleierne Gleichgültigkeit einer echten, tiefen Depression - denn wer sich bemitleidet, der misst dem eigenen Sein noch einen Wert und eine Bedeutung bei.  ;)

Vielen Dank für deinen Kommi!  :)

LG, eKy
Titel: Re: Selbstmitleid
Beitrag von: Curd Belesos am Januar 04, 2018, 23:30:56
- denn wer sich bemitleidet, der misst dem eigenen Sein noch einen Wert und eine Bedeutung bei.

Danke, Erich, für dein Gedicht und den Kommentar, ich leide zur Zeit und habe hier eine neue Erkenntnis gefunden.

LG
CB
Titel: Re: Selbstmitleid
Beitrag von: Erich Kykal am Januar 04, 2018, 23:42:57
Hi Curd!

Du leidest? - Hoffentlich nichts Ernstes!  :o

Gute Besserung jedenfalls!  :)

LG, eKy