die Lyrik-Wiese

Blumenwiesen => Im Gras wispert Hoffnung => Thema gestartet von: Erich Kykal am Juli 26, 2018, 11:05:58

Titel: Ein Ausgedinge
Beitrag von: Erich Kykal am Juli 26, 2018, 11:05:58
Dort am Hange steht schon ewig lange
unterm Birkenholze halb verborgen
jenes Haus, zerfallend, scheinbar bange
hingedrückt von seinen greisen Sorgen
beinah wie vom ganzen Weltenall.

Ausgebleichte Balken, die in Mauern
halb noch unterstützend, halb schon hängend
dunkle Fensterhöhlen überkauern,
so als ob sie ihre Öffnung zwängend
offenhielten wider den Verfall,

wirken wie die silbergrauen Brauen
hochbetagter, nie befragter Weiser,
die aus leergeblickten Augen schauen
in ein Land, das um sie immer leiser
atmet in des Tages Widerhall,

wenn zum Abend hin die langen Schatten
wie ein Omen an den blanken Steinen
aufwärts kriechen zu den altersmatten
Bohlen, die ein letztes Sonnenscheinen
wärmend widerspiegeln überall.


Eins meiner "ganz alten", metrisch bereinigt.
Titel: Re: Ein Ausgedinge
Beitrag von: gummibaum am Juli 26, 2018, 12:00:14
Lieber Erich,

sehr schön, nein, super! Der Verfall geht in schöne Milde über. Trochäus ist bei dir nicht so häufig, ich stutzte gestern noch mehr beim Daktylus.

Glaubte bei diesem Text erst, du beschreibst mich, aber bei "Weiser" war ich aus dem Rennen.

Mit Freude und Genuss gelesen.

LG g
Titel: Re: Ein Ausgedinge
Beitrag von: Erich Kykal am Juli 26, 2018, 17:23:00
Hi Gum!

Glaubte bei diesem Text erst, du beschreibst mich, aber bei "Weiser" war ich aus dem Rennen.

Durchaus nicht, durchaus nicht!  ;D - Wer meine Werke schätzt, MUSS weise sein!  ;) 8)

LG, eKy
Titel: Re: Ein Ausgedinge
Beitrag von: gummibaum am Juli 27, 2018, 13:27:48
Wenn das der Weisheitstest ist, habe ich wieder Erwarten bestanden. Nochmals danke für die metrisch bereinigte Form dieses Prüfungsbogens.

Alles Liebe
LG g
Titel: Re: Ein Ausgedinge
Beitrag von: Erich Kykal am Juli 27, 2018, 13:46:11
 ;D ;D ;D
Titel: Re: Ein Ausgedinge
Beitrag von: cyparis am Juli 27, 2018, 20:44:53
Lieber Erich,

ich glaube, daß es eines unter den ersten war. die ich las.
Meine Hingerissenheit hat nicht nachgelassen - seitdem!

Verneigung
von
Cypi
Titel: Re: Ein Ausgedinge
Beitrag von: Erich Kykal am Juli 27, 2018, 23:51:08
Hi Cypi!

Vielen Dank!  :-*

Als ich es damals schrieb, hatte ich noch keine Ahnung von Hebern, Verstakt usw. - ich schrieb einfach nach Gefühl und Gehör und dachte, das würde grundsätzlich so gemacht. Natürlich waren Fehler drin, und die habe ich mit obiger Version sozusagen nachreichend ausgebügelt.

Mittlerweile habe ich so viele Korrekturen bei den Gedichten meines ersten Buches gemacht, dass es mir peinlich ist, es noch anzubieten! Eine 2. Auflage in überarbeiteter Form wäre angebracht, und die erste Auflage sollte eingestampft werden! Wenn das nur nicht so teuer wäre ...

LG, eKy
Titel: Re: Ein Ausgedinge
Beitrag von: cyparis am Juli 28, 2018, 10:58:06
Hi Cypi!



Als ich es damals schrieb, hatte ich noch keine Ahnung von Hebern, Verstakt usw. - ich schrieb einfach nach Gefühl und Gehör
LG, eKy

Ich konnte mich von dieser Form des Schreibens nie lösen.
Vor allem bei speziellen Formen war es mühsam; wenn ich Silben zählen und Rhythmus hineinbringen sollte, war das wie eine Hausausgabe.
Meine vollgekritztel Zettel sind den Weg alles Irdischen gegangen.

Deine Fertigkeit ist bewundernswert!

Immer:
Cypi
Titel: Re: Ein Ausgedinge
Beitrag von: Erich Kykal am Juli 28, 2018, 18:23:12
Hi Cypi!

Es ist, was ich in 10 Jahren in Gedichteforen eigentlich ohne großes Zutun fast automatisch aufgeschnappt habe. Hier eine Kleinigkeit über Verstakte, dort ein Detail bezüglich Kadenzen, formale Regeln wie zu Sonetten, viele Fachbegriffe, die ich mir nie merken konnte/wollte - aber die mir wichtigen Zusammenhänge, das, worauf beim Schreiben zu achten ist, damit es so wird, wie ich mir Lyrik vorstelle - das habe ich behalten. Das passiert eigentlich automatisch, wenn man viele Gedichte liest und die Kommentare dazu.

Heute fällt mir beim Lesen meiner alten Werke sofort jeder metrische Schnitzer so deutlich und schmerzhaft ins Auge, dass ich mich wundere, warum ich diese Unregelmäßigkeiten  jemals NICHT wahrnehmen konnte! Wahrscheinlich haben wirklich begabte und kundige Leser damals beim Lesen meiner Werke ebenso schmerzlich das Gesicht verzogen, wie ich es heute tue, wenn ich ein Gedicht lese, das ich dann lieber nicht kommentiere! Ob die mir damals zugetraut haben, es je besser zu können?

Genau deshalb lasse ich solche Gedichte, die mir nicht gefallen, meist unkommentiert. Schließlich ist mein Urteil nur MEINE Ansicht, und wer weiß - wenn ich eine Arbeit zu gründlich verreiße, vielleicht gibt der Autor dann erbost oder entmutigt auf und bekommt nie wie ich die Chance, dazuzulernen und sich zu verbessern!? Ich zB. konnte mit wirklich harscher Krtitik nie gut umgehen, fühlte mich immer gleich persönlich attackiert - das Merkmal eines schwachen Selbstbewusstseins. Zum Glück war mein Bedürfnis nach Zuspruch, Bestätigung und Applaus - noch ein Merkmal von Wesensschwäche - stets stärker. So bekam ich überhaupt erst Gelegenheit, dazuzulernen - und ich habe es denen, die es gut mit mir meinten, kaum je leicht gemacht mit meinem Beharrungsvermögen und meiner Sturheit - ein weiteres Zeichen von innerer Unsicherheit. (An dieser Stelle ein stilles, aber zutiefst empfundenes Dankeschön an jene, die sich - ob mit Erfolg oder ohne - lyrisch um mich bemüht haben!)

Heute nennen mich andere gar "Meister" hier - und ich habe aus meiner Sicht nicht die leiseste Ahnung, wo sie das hernehmen!  ::) :-\

LG, eKy
Titel: Re: Ein Ausgedinge
Beitrag von: cyparis am Juli 30, 2018, 10:17:16
Lieber Erich,

das mit dem mangelnden Selbstbewußtsein mag ich gar nicht glauben! Zumindest nicht auf dem Gebet der Lyrik.
Und ich habe Dich aus gutem Grund Meister genannt.
Vielleicht mag das in anderen Foren auch anders sein - bei mir kann so gut wie keiner Deinen Ruf(!) erschüttern.

Deswegen
unerschütterlichen Gruß
von
Cypi
Titel: Re: Ein Ausgedinge
Beitrag von: Erich Kykal am Juli 30, 2018, 12:46:55
Hi Cypi!

Vielen Dank für soviel Treue! Da wird mir ganz warm ums Herz (soweit vorhanden ...  ::))!  :)

Meister wäre ich, wenn ich dir erklären könnte, was ein Daktylus ist oder ein Jambus oder ein Anapäst - aber ich konnte mir nie merken, welcher griechische Fachterminus jetzt zu welcher Versform gehört ...  ::)
Einfach deshalb, weil man zum Dichten selbst dieses tote Wissen nicht braucht! Nein, Meister nicht - eher ein finsterer "Geselle"!  ;D

LG, eKy
Titel: Re: Ein Ausgedinge
Beitrag von: cyparis am Juli 30, 2018, 15:10:52
Hi Cypi!


 Nein, Meister nicht - eher ein finsterer "Geselle"!  ;D

LG, eKy

Das "finster" kannst Du gerne weglassen.
Und welch ein verfürerischer Gedanke:
Ich, vierzig Jahre jünger und mit Dir in Deinen Märchenwäldern unterwegs....

Immer:
Cypi
Titel: Re: Ein Ausgedinge
Beitrag von: Erich Kykal am Juli 30, 2018, 19:15:32
Hi Cypi!

Vierzig Jahre jünger? - Dann wärst du so Mitte Zwanzig und viel zu jung und hübsch für mich!  ;) ;D

LG, eKy
Titel: Re: Ein Ausgedinge
Beitrag von: cyparis am Juli 31, 2018, 10:44:49
Danke für die Schmeichelei! :-*

Cypi
Titel: Re: Ein Ausgedinge
Beitrag von: Erich Kykal am Februar 24, 2021, 09:50:40
Wenn ich bedenke, dass die arme Anne da keine drei Monate mehr zu leben hatte, als wir so scherzten ...  :'(

Das Gedicht, ein Gleichnis für ein zähes Überdauern und würdiges Altern, hätte ich damals wie heute gern auf sie anwendbar gesehen. Es ist zudem nach meinem Dafürhalten eins meiner gelungensten, harmonischsten Frühwerke.

LG, eKy
Titel: Re: Ein Ausgedinge
Beitrag von: AlteLyrikerin am Februar 25, 2021, 14:54:46
Gefällt mir extrem gut! Wunderbare Bildhaftigkeit und gleichzeitig nicht so eindimensional festgelegt. Allegorisch anwendbar auf Vieles, und vor allem nicht total hermetisch (was ich meistens nicht mag).
Sehr gerne gelesen, AlteLyrikerin.
Titel: Re: Ein Ausgedinge
Beitrag von: Erich Kykal am Februar 25, 2021, 22:42:51
Hi AL!

Vielen Dank für die verbale Akklamation zu diesem sehr alten Gedicht. Ich hatte es metrisch überarbeitet, als ich es - viele Jahre später - hier einstellte, da ich damals, als ich die Urversion schrieb, noch keinen Dunst davon hatte und einfach intuitiv und nach "Gehör" drauflos dichtete. Dies ist also die viel später bereinigte Version. Ich finde aber, sie hat nichts von ihrer "Magie" dadurch verloren.

LG, eKy