die Lyrik-Wiese
Blumenwiesen => Verbrannte Erde => Thema gestartet von: Seeräuber-Jenny am Mai 22, 2014, 00:32:01
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Heut verfasste ich nen Reim
über unser Mädchenheim,
über Marion und mich,
ja, und Doro, über dich.
Ihr zwei Mädels aus dem Pott
wart stets aufgelegt zum Spott.
Oh, ich kenne noch genau
unsern Gruß: „Komm, alte Sau...“
In ein Heim im Frankenland
hatte man uns hin verbannt,
weil wir junge Hippies warn
mit zerzausten langen Haarn.
Hinter Gittern saßen wir
ohne Haschisch, Sex und Bier.
Weihwasser war reichlich da,
sangen auch das Gloria.
Arbeitsdienst im Bügelsaal.
Nazidrachen, kannst uns mal!
Hast vergeblich rumgefaucht,
dass ne deutsche Frau nicht raucht.
Sonntagsgottesdienst, ein Muss,
bei Professor Hasenfuß.
Wer dagegen aufbegehrt,
ward im Waschraum eingesperrt.
Fernsehabend: Joseph Roth.
Kurz darauf die Glotze tot.
Qualtinger lag nackt im Bett,
das findt keine Nonne nett.
Haben Mandrax aufbewahrt,
Pillen der besondren Art.
Sonntags gingen wir spaziern,
krochen fast auf allen Viern.
Die Klamotten im Versteck
fand die Nonne, welch ein Schreck!
Und gescheitert war die Flucht.
Statt der Freiheit strenge Zucht.
Trotzdem haben wir gelacht,
übers Leben nachgedacht,
stimmten linke Lieder an,
was man nicht verbieten kann.
Jener Salesianerjung
tanzte Walzer mit viel Schwung.
Er war strebsam, ernst und fromm,
hab ihn leider nicht bekomm’.
Das ist viele Jahre her.
Heute wird das Herz mir schwer,
weil du nicht mehr bei uns bist,
eine, die man nicht vergisst!
Liebe Doro, hast nun Ruh,
irgendwann komm ich dazu,
fehlt nur noch die Marion,
doch die findet uns dann schon.
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Liebe Seeräuber-Jenny -
ich mach es mir einfach:
ja, da kommen Erinnerungen hoch.
Du hast das typisch Damalige prima rübergebracht, ganz ohne Verklärung, trotzdem nicht trauerkloßig. Es g a b ja zum Glück auch Erfreuliches neben dem vielen Graubraun.
Das Ende ist bei aller Melancholie beinahe heiter.
Dein Stil ist unverwechselbar, ich kenne ihn aus allen anderen Beiträgen heraus.
Warum lese ich so selten etwas von Dir?
Ganz liebe Grüße von
Cyparis
(bis bald!!!)
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Hi, Jenny!
Auch wenn das Gedicht trotz des beinah heiter-beschwingten Duktus eine gewisse Wehmut atmet, so beneide ich dich aufrichtig um so eine innige "durch dick und dünn"- Freundschaft in der Kindheit oder Jugend. So etwas hatte ich nie, was teils meine eigene Schuld war. Nicht dass es heute noch eine Rolle spielte, aber wenn ich von solchen Beispielen lese, überkommt mich doch die Ahnung, etwas Wesentliches verpasst zu haben. :'(
Sehr gern gelesen!
LG, eKy