die Lyrik-Wiese
Blumenwiesen => Drum Ehrlichkeit und Edelweiß => Thema gestartet von: Erich Kykal am Februar 03, 2015, 18:59:40
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Der Bauch der Stadt macht wieder große Augen
und frisst sich nachts an neuen Seelen satt,
denn ewig lockt ihn, was er selbst nicht hat,
und was ihm niemals frommen will und taugen.
An jedem frischen Körper will er saugen,
die fensterblanke Stirne wölbt sich ein,
und alles tanzt und will ihm Nahrung sein,
die eigne Sehnsucht an ihm auszulaugen.
Der Morgen graut, der volle Bauch der Stadt
verschließt sich nun den letzten Unverdauten
und macht sich mit dem Täglichen gemein.
Die Straßen räkeln sich, und bleiern matt
entstreben jene, die sein Treiben schauten,
und schwinden still dem Dunkel hinterdrein.
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moin moin Erich,
für mich ist das eine phantastische Beschreibung die ich gerne gelesen habe.
Lange habe ich die letzte Zeile genossen, denn sie erzeugt mir Bilder meines eigenen Lebens, damals vor vielen Jahren.
LG
CB
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Hi, Curd!
Danke für deine Worte! Wer hat sie als junger Mann nicht erlebt, die kalten, einsamen Stunden der Übriggebliebenen im Morgengrauen, wenn das Fest vorüber ist, der Tag aber noch nicht erwacht? Mehr oder weniger restalkgeschädigt schleicht man heim, abgekämpft, müde - aber unerlöst.
Wie anders ist diese Stille als der zugleich anregende wie betäubende schrille Reigen des städtischen Nachtlebens - ich habe diese Stimmungen immer genossen, und heute noch stehen sie mir deutlicher vor Augen als die verschwommenen, belanglosen Eindrücke der lauten Nächte davor!
LG, eKy
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moin moin Erich,
ja - abgekämpft, müde und unerlöst - auf dem Nachhauseweg über eine der vielen Brücken gehend, die unter sich den Sog der Dunkelheit haben und zum Innehalten verführen, um über den Sinn des noch nicht gelebten Lebens nachzudenken.
Die Erkenntnis daraus habe ich in eines meiner Gedichte einfließen lassen.
Traue nicht der Großstadt Locken
wenn Fassaden leuchtend stehn....................
LG
CB
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Hi, Curd!
Interessant! Den Rest des Gedichtes würde ich gerne lesen! Warum nur 2 Zeilen? ???
LG, eKy
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Hallo Erich,
sehr schönes Stadtgedicht, in dem es sehr menschlich zugeht. "Auszulaugen gefällt mir als Chemieambitioniertem besonders.
Wie üblich: Chapeau!
LG gummibaum
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Auch von mir, lieber Erich,
ein Chapeau!
Obwohl ich von der anderen "Fraktion" bin:
In der relativ kurzen Zeit meines Großstadtlebens bin ich als Frühaufsteher dann durch die Straßen gestrichen, wenn die letzten "Leichen" nach Hause wankten. Oder auch nicht.
Die Schatten wichen, Klarheit verschaffte sich Raum.
Es entstand ein sozusagen frisches Bild, das ich gut kannte und besonders dann genoß, wenn ein fast buntgeregeltes Durcheinander allmählich die Trottoirs belebte.
Dein Sonett ist wieder jenseits aller Kritik, auch wenn ich im letzten Vers anders formuliert hätte.
Aber es ist Dein meisterliches Gefüge.
Prost!
Cyparis
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Hi, Gum, Cypi!
Habt Dank für eure erhebenden Worte! :)
Ich habe diese Zeit zwischen Nacht- und Tagesbetrieb selbst aus beiderlei Positionen erlebt. Selbst Rilke war sie nicht fremd - ich erinnere an sein allseits bekanntes "Einsamkeit":
Einsamkeit
Die Einsamkeit ist wie ein Regen.
Sie steigt vom Meer den Abenden entgegen;
von Ebenen, die fern sind und entlegen,
geht sie zum Himmel, der sie immer hat.
Und erst vom Himmel fällt sie auf die Stadt.
Regnet hernieder in den Zwitterstunden, (Interessant nebenbei ist dieser Auftaktfehler - gewollt? Er wäre leicht zu verhindern gewesen, zB "Sie sinkt hernieder ...". Warum also ein betonter Auftakt?)
wenn sich nach Morgen wenden alle Gassen
und wenn die Leiber, welche nichts gefunden,
enttäuscht und traurig von einander lassen;
und wenn die Menschen, die einander hassen,
in einem Bett zusammen schlafen müssen:
dann geht die Einsamkeit mit den Flüssen...
Man beachte in diesem Zusammenhang vor allem die ersten vier Zeilen von Str. 2!
LG, eKy
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Lieber Erich,
in all meiner abendlich betauten Strenge:
Rilke ist Rilke.
Du bist Du!
Überspanne nicht den Rilkebogen! ;)
Mag sein (es i s t so!), daß Rilke sich nicht in Korsette spannen ließ - warum auch?
Du kannst viele Sonette vom Meister rauspicken.
Laß einfach Dein Sonett in seiner Schönheit wirken.
Du mußt Dich nicht messen (lassen),
Du solltest aber auch nicht Deinem Ideal metrisch ans Leder gehen.
Versöhnlichen Gruß
von
Cyparis
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Hi, Cypi!
Keine Sorge, hier wollte ich nicht mein Licht unter den Scheffel stellen, bloß auf eine inhaltliche Parallele verweisen.
Die Korrektur erfolgt bei mir schon automatisch - auch bei Rilke ;). Natürlich weiß ich, dass er sich was dabei gedacht hat - er klebte nicht sklavisch an Regeln, folgte ganz seinem Genie bezüglich Klangbild und Inhaltsverdichtung. Ich wollte nur zeigen, dass mir die Stelle aufgefallen ist.
LG, eKy
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"Regnet hernieder" : die Wirkung ist jedenfalls, dass der Leser auf-taktig emporgehoben wird, so dass er aus luftiger Position mit dem ankommenden Regen wieder in die Stadt gelangt.
LG g
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Lieber Erich -
heut bin ich wagemutig:
Du:
hier wollte ich nicht mein Licht unter den Scheffel stellen, bloß auf eine inhaltliche Parallele
verweisen.
Hättest Du nur d a s tun wollen, hättest Du nicht auf das Metrum bei R.M.R. hingewiesen.
Betauten Nachtgruß
vom
Cyparis
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Lieber Eky,
Außergewöhnlich, was dieser Bauch so alles kann.
Beeindruckt gelesen!
Lieben Gruß
charis
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Hi, charis!
Sei bedankt für die freundlichen Worte! :)
LG, eKy