die Lyrik-Wiese

Blumenwiesen => Im Gras wispert Hoffnung => Thema gestartet von: Erich Kykal am Mai 31, 2016, 20:14:25

Titel: Die Alte
Beitrag von: Erich Kykal am Mai 31, 2016, 20:14:25
Ins viel zu vielte Jahr des langen Lebens
gebeugt gleich alten, sturmgeprüften Bäumen
ertastet sie das Schweigen in den Räumen.
Ein dürrer Schatten früheren Bestrebens,

so setzt sie ihren Stock mit vagem Zittern
und hievt sich mühsam in zu kurzen Schritten
den Tag entlang, vergessen schon inmitten
verjüngter Zeiten, die Erfolge wittern -

und wollte doch um kein Jahr jünger werden,
verlöre sie, was ungezählte Stunden
an Wissen schenkten, Weisheit und Erfüllen!

So trägt sie leichthin ihre Frist auf Erden,
denn ihren Frieden hat sie längst gefunden -
und alles Weitere wird sich enthüllen.
Titel: Re: Die Alte
Beitrag von: cyparis am Mai 31, 2016, 20:55:00
Ich bin wieder einmal wie berauascht.
Zu mehr reicht es leider bei mir z.Zt. nicht.

Nicht groller, lieber Erich!

Immer:
Cyparis
Titel: Re: Die Alte
Beitrag von: Erich Kykal am Mai 31, 2016, 21:05:02
Hi Cypi!

Ich habe beschlossen, eine weitere Sonettsammlung zu eröffnen: "Frauenbilder"

Drei habe ich bereits - neben diesem "Die Debütantin" und "Die Dame".

Diesmal werde ich die Sonette einzeln einstellen, da ich nicht weiß, wie lang mich die Lust an dieser Thematik trägt.

Gute Besserung mit der Reha - bis es nicht mehr besser gehen kann! ;) :-*

Beste Wünsche, eKy
Titel: Re: Die Alte
Beitrag von: gummibaum am Juni 01, 2016, 01:33:33
Lieber Erich,

schön, wie du die Alte über ihre äußerliche Reduziertheit hinaustreten lässt, indem du ihre inneren Werte zeigst: ein Stehen zu ihrem Alter, ein Wertschätzen reicher Erfahrung und ein ruhiges Abwarten des unvermeidlichen Ende.

Sehr, sehr gern gelesen. Gspannt auch, was an Frauenbildern folgt.

LG g
Titel: Re: Die Alte
Beitrag von: Erich Kykal am Juni 02, 2016, 19:54:44
Hi Gum!

Nicht jedem ist es vergönnt, in Würde zu altern oder überhaupt alt zu werden.
Es ist immer etwas, das wir von uns schieben, bis es uns ereilt, zustößt - oder geschenkt wird, wenn man es anders herum betrachtet.
Der menschliche Körper, so sagen Wissenschaftler, ist theoretisch ausgelegt auf eine Lebensdauer von ca. 300 Jahren, aber die Welt, auf der wir leben, tut offenbar alles, um diese Zeit abzukürzen!
Selbst der lebensnotwendige Sauerstoff ist im Grunde ein Zellgift - jeder Aemzug ist zugleich Leben und Tod! Was wir essen, erhält uns und tötet uns gleichzeitig langsam. Umwelt aller Art setzt uns zu, Klima, Krankheiten und Schwerkraft tun ein Übriges ...
Der Körper altert rasch - in der Steinzeit hatten wir eine durchschnittliche Lebenserwartung von um die 30 Jahren - das reichte, um dem Fortpflanzungs- und Arterhaltungsauftrag zu genügen.
Wie lang hat es gedauert, uns aus der durch die Lebensumstände aufgezwungenen kulturellen Bewusstlosigkeit zu lösen - und wie leicht kann dieses Kartenhaus der Zivilisation wieder in sich zusammenstürzen!
Heute töten wir uns selbst durch Gifte aus eigener Produktion, die Krebs und Allergien schüren, koten sozusagen ins eigene Bett, während wir bis zum Hirntod darin schlafen und von Größe und Bedeutung träumen!
Bedenkt man all dies, ist würdig altern zu dürfen wirklich ein seltenes Geschenk! Also ohne Demenz, Alzheimer oder Bettlägrigkeit!

Vielen Dank für deine freundlichen Worte!

LG, eKy
Titel: Re: Die Alte
Beitrag von: gummibaum am Juni 03, 2016, 11:42:40
Ja, aber die Einstellung macht es. Wenn ich heute sterben müsste, ich würde nicht trauern, obwohl ich gern weiterlebe.

LG g
Titel: Re: Die Alte
Beitrag von: Erich Kykal am Juni 03, 2016, 11:49:43
Hi Gum!

Einstellungen sind eher oberflächlich und ändern sich schleichend oder schlagartig.

Ich glaube, es geht hier eher um eine grundsätzliche charakterliche Prägung, die schon in der Kindheit angelegt wird und durch die richtigen Lebensumstände vertieft oder bestätigt werden kann, aber nie ganz widerrufen, egal wie viel Grausames einem widerfährt!

Ich wünschte, ich könnte so eine Natur sein ...  ::) :)

LG, eKy