die Lyrik-Wiese

Blumenwiesen => Drum Ehrlichkeit und Edelweiß => Thema gestartet von: Erich Kykal am Oktober 10, 2017, 16:05:06

Titel: Waldandacht
Beitrag von: Erich Kykal am Oktober 10, 2017, 16:05:06
Du hölzerner Heiland am Kreuze, verblassend
und einsam im Walde am Weg aufgestellt,
der wie ein Verirrter ins Schwindende fassend
im Nebel versickert, der abendlich fällt:

So seltsam dein Warten auf betende Hände,
verlorenes Leiden in Dunkel und Grün.
Verwittertes Zeichen in rauem Gelände,
wo Flechten und Moose auf Steinen erblühn.

So fällst du, verlassen von gläubigen Herzen
dem Bleichen der Zeit und Vergessen anheim,
nur einmal im Jahr leuchten heimliche Kerzen
dich an wie ein Amen nach göttlichem Reim.

Wo bleiben die Augen, in schmachtender Stille
entboten dem Opfer, aus Liebe erbracht?
Gebrochen der Geist und der glühende Wille -
nur stummes Entgleiten in wortlose Nacht.
Titel: Re: Waldandacht
Beitrag von: Agneta am Oktober 11, 2017, 20:07:19
sehr bildhaft beschrieben, lieber Erich. Aus dem Urlaub kenne ich diese kleinen Andachtsstätten an Wegegabelungen im Wald auch. Irgendwie immer etwas unheimlich und doch für viele scheinbar wichtig. Hier kennen wir das nicht so.
Geschickt verwebst du das Vereinsamen und Verrotten dieser Stätte  mit dem Glauben, der dahinter steht. Vielen entgleitet der Glaube, die Bindung an die Kirchen schwindet. Nicht, dass ich das bedauern würde, bin ja selbst ausgetreten.
Gläubig kann man auch ohne Kirche sein und Götzen braucht es auch nicht.
Also beides ein Relikt der alten Zeit...und doch spielt in deinem Werk eine leicht melancholische Stimmung.
Sehr eindrucksvoll und packend geschrieben.
LG von Agneta
Titel: Re: Waldandacht
Beitrag von: Günter am Oktober 13, 2017, 09:08:01
Lieber Erich,
auch mich beeindruckt die Beschreibung. Sie ist für Gläubige wie Ungläubige gleichsam ergreifend.
Ich kann mich in den Lesefluss der ersten Strophe nur schwer einfinden. Ich weiß, es liegt an mir!
Du hast starke Worte gefunden und sie beeindrucken mich sehr!
Liebe Grüße Günter
Titel: Re: Waldandacht
Beitrag von: Curd Belesos am Oktober 13, 2017, 14:08:43
moin moin Erich,

dein bedichteter Gedanke sagt mir zu, doch das dich/schattich widerstrebt meiner norddeutschen Seele  8)

LG
CB
Titel: Re: Waldandacht
Beitrag von: Erich Kykal am Oktober 13, 2017, 17:52:29
Hi Agneta!

Danke für die einfühlenden Worte!  :)

Hi Günter, Curd!

Mit S1 bin ich auch nicht extrem glücklich, das werde ich wohl noch umschreiben, wenn mir was Passendes einfällt. Finde mal einen Reim auf "hat dich"! Ich denke, da muss ich mehr ändern!

LG, eKy
Titel: Re: Waldandacht
Beitrag von: Curd Belesos am Oktober 13, 2017, 20:57:47
Finde mal einen Reim auf "hat dich"!

Habe ich versucht und bin kläglich gescheitert  :-[

Ich glaube, du wirst mehr ändern müssen  :(

Einen aufbauenden Einfall wünscht dir

CB
Titel: Re: Waldandacht
Beitrag von: Erich Kykal am Oktober 13, 2017, 23:38:22
Hi Curd!

So, die monierte Stelle ist umgeschrieben. Du hattest recht, das war einfach zu herbeikonstruiert im Bemühen, einen Reim auf "hat dich" zu finden.

Danke für den Tipp!  :)

LG, eKy
Titel: Re: Waldandacht
Beitrag von: Curd Belesos am Oktober 14, 2017, 00:24:18
moin moin Erich,

dem Reinen ist alles rein und dem Ingenieur ist nichts zu schwör  ::)

Deine Änderung ist, wie das Gedicht, sehr erbaulich geschrieben  ;)

Anerkennenden Gruß

CB
Titel: Re: Waldandacht
Beitrag von: cyparis am Oktober 15, 2017, 14:16:25
Lieber Erich,

ich schließe mich Günter und Agnetan:
Das Gedicht hat etwas Zwingendes, Bezwingendes und wirkt wie ein poetischer Holzschnitt - s e h r  eindringlich.
Und natürlich wieder wunderschön, man mag die Kruzifixe mögen oder nicht.

Lieben Gruß
von
Cyparis
Titel: Re: Waldandacht
Beitrag von: gummibaum am Oktober 21, 2017, 00:45:03
Ein nachdenklich machendes Thema, lieber Erich.

Das Gefühl des Verlassenseins hatte Jesus laut Überlieferung schon zu Lebzeiten (von den schlafenden Jüngern im Garten G, vom geglaubten Vater am  Kreuz). Es ist etwas, was wir gut nachfühlen können: wenn wir uns für andere abmühen und leiden, und diese bemerken es nicht einmal und lassen es sich in der gleichen Zeit unbekümmert gut gehen.

Zum Versmaß eine Frage: Der Daktylus hat für mich etwas Temperamentvolles, das eher dramatische Ereignisse unterstreicht. Den traurigen Gedanken, denen zu folgen man hier aufgerufen ist, entzieht  sein Wirbeln eher die Grundlage. Empfindest du das anders oder beabsichtigst du es?

Sehr gern gelesen.

LG gummibaum
Titel: Re: Waldandacht
Beitrag von: Erich Kykal am Oktober 21, 2017, 12:59:52
Hi Curd!

Danke für den zweiten Strauß!  :)

Hi Cypi!

Gruß an die angenehm Bezwungene! Auch dir Dank für deine Zeilen!  :)

Hi Agneta!

Ich wähle meinen Duktus, meine Schemata nie bewusst aus. Ich beginne mit einem Bild, einer schönen Phrase und spinne diese einfach instintiv fort. Wie bestimmte Formen wirken oder wirken sollen, darüber habe ich nie nachgedacht. Das ergibt sich beim Schreiben der ersten Zeile und meiner zugrunde liegenden Stimmung, sozusagen dem "Lied im Kopf", das ich dazu anstimme.
Hier wollte ich dem Text ein klares Wiegen verleihen, wie die Bewegung von Ästen und Wipfeln im Wind, weil ja der Wald Schauplatz ist. Dass es ein sog "Daktylus" ist, weiß ich erst seit deiner Erwähnung hier. Das plane ich nie voraus, dazu fehlen mir diesbezüglich auch das Fachwissen und die passenden Termini.
Ich dichte eben aus reiner Freude daran, ich mache keine Wissenschaft daraus.  ;) :)

Vielen Dank für deine Auseinandersetzung mit dem Thema. Die Übertragung des einsamen Götterbildes im Wald auf den isolierten Menschen ist interessant.  :)


LG euch allen!

eKy