die Lyrik-Wiese
Blumenwiesen => Wo Enzian und Freiheit ist => Thema gestartet von: Agneta am Oktober 20, 2018, 11:15:02
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Eruption
Aufgesprungen
ist die Kruste alter Fragen.
Worte wälzen sich
wie Lavamasse
über Gegenwart.
Ausgespuckt
aus Seelenkratern,
rollen Magmazungen
über Schein und Heiligkeiten
von vier Jahrzehnten,
bahnen mir den Weg
zur Freiheit.
Endlich
ist ein jeder Strom.
Kein Gras wächst jemals noch darüber.
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Hi Agneta!
Das Gedicht schildert eindringlich einen Vulkanausbruch nach dem "kein Gras mehr (drüber) wächst". Diese wahrhaft plinianische Eruption ist natürlich ein metaphorisches Katastrophengeschehen und was hier im übertragenen Sinn explodiert, ist das LI, das "Schein und Heiligkeiten" um sich herum nicht mehr erträgt und das sich mit "Magmazungen" die freie Rede erkämpft, auch um den Preis, dass, nachdem einige unbequeme Wahrheiten ausgesprochen wurden, nicht mehr zur Tagesordnung übergangen werden kann.
Ich mag dieses Bild und die Verknüpfungen von vulkanischer Tätigkeit mit dem Wortausbruch sehr, vor allem die Magmazungen haben es mir dabei ganz außerordentlich angetan! Sehr gerne gelesen!!! :)
Etwas der Wortspielebene verhaftet und ohne einen zwingenden Sinnzusammenhang zum Restgedicht scheint mir nur: "Endlich ist ein jeder Strom." Die angestrebte Doppeldeutigkeit von "endlich" als Ausruf (na endlich!) und als Bezeichnung für die Endlichkeit erzwingt eine etwas sperrige Stellung von "ein jeder", um die Aussagen: "endlich ist jeder ein Strom" vs. "ein jeder Strom ist endlich" in eins zu fassen. Nichts gegen syntaktische Widerborstigkeiten, aber der "Endlichkeitsaspekt" scheint mir sonst in dem Gedicht keine Rolle zu spielen und kommt mir hier etwas "zuviel" vor.
(oje... hoffentlich bring ich einigermaßen verständlich rüber, was ich meine!)
Hab ich schon geschrieben, wie gerne ich die Zeilen gelesen habe? Hab ich wohl... schreib ich aber nochmal gerne: sehr gerne!!! :)
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Ich freue mich sehr über deinen Kommi, lieber Sufnus, da er punktgenau analysiert und sogar die Doppeldeutigkeit des "endlich" herausgespürt hat. Das hat man selten, solche Leser! Danke dafür.
Das endlich ist ein jeder Strom:
auch hier trügt dich dein Instinkt nicht. Natürlich ist die "etwas sperrige Satzstellung "begründet in dem Bestreben, das endlich in dem doppeldeutigen Sinne an den Anfang zu stellen.
Dieses müsste ich also, um den Effekt zu erzielen, hinnehmen.
Endlich ist der Strom, der die letzten 40 Jahre bestimmt hat und gegen den das LI nicht geschwommen ist. Offenbar gegen seine eigene Persönlichkeit, denn er es empfindet diesen Ausbruch als erlösend und befreiend. Aber auch als traurig, dass es nicht anders ging, denn endlich ist auch der Strom des Ausbruchs, der Magmazungen. Irgendwann sind sie erschöpft und dann kann man eben nicht, wie du so schön sagst "zur Tagesordnung übergehen". Die Tagesordnung gibt es nicht mehr, sie ist untergegangen in den Magmazungen.
Endlich ist eben beides, sogar die Tagesordnung.
Es ist ein verwandtschaftliches Bziehungsgedicht und die Bziehung ist seit dem Ausbruch beendet. Gut so.
LG von Agneta