die Lyrik-Wiese

Blumenwiesen => Drum Ehrlichkeit und Edelweiß => Thema gestartet von: Agneta am Januar 10, 2019, 11:53:19

Titel: Und als sie ging
Beitrag von: Agneta am Januar 10, 2019, 11:53:19
Und als sie ging

I

Und als sie ging, hing etwas wie ein Ahnen
um dieses Haus, das seelenleer und stumm
im Winde stand, als wolle es sie mahnen,
als frage es sie vorwurfsvoll, warum.

Und als sie ging, da schmerzten ihre Glieder,
ein jeder Blick tat ihrer Seele weh.
Sie wusste doch, sie käme niemals wieder,
denn eine Stimme in ihr drängte: Geh!

Denn immer wieder war sie so gegangen,
ganz ohne sich noch ein Mal umzudrehen,
die Tränen wie im Eiskokon gefangen.
Nein, niemals sollte diese jemand sehen.

Sie ging - der Wind war immer ihr Gefährte -
und ignorierte, was er sie einst lehrte.

II


Der Wind war ihr stets wie ein Freund gewesen,
so oft trieb er sie an, voranzugehen.
Sie konnte in ihn horchen, in ihm lesen,
doch diesmal konnte sie ihn nicht verstehen.

Nun bläst er immer stärker um den Wagen
und heult, grad so, als wolle er ihr drohen.
Das Lenkrad rollt um ungelöste Fragen,
als wäre sie vor irgendwas geflohen.

Und neben ihr ergießt sich tiefes Tal.
Der große Wagen wirbelt wie ein Blatt,
er schleudert quer. Sie riecht verschmortes Leder.

Ein Bild schwebt ihr, so sanft wie eine Feder:
Wie sie ihr kleines Kind zum ersten Mal
in jenes alte Haus getragen hat.








Titel: Re: Und als sie ging
Beitrag von: Erich Kykal am Januar 10, 2019, 23:59:36
Hi Agneta!

Sehr schöne Sonette! Ein Weltverlassen, ausgebreitet wie ein intensives Schaubild mit großer Tiefe.


In der ersten Str. von Nr. I ist der Satz leider unvollständig: Da schwebte wie ein Ahnen - WAS? Das Ahnen selbst kann es in dieser Formulierung nicht sein, da es ja nur zum Vergleich herangezogen wurde: "wie ein".

Die Verwendung von "Kokon" mit Eis und negativer Konnotation stört mich etwas, da ich zumindest mit dem Wort etwas Beschützendes, Erhaltendes, Behütendes verbinde.

In der letzten Zeile würde ich einer natürlicheren Betonung zuliebe eine Inversion hinnehmen: "... was er einst sie lerhrte."


Das 2. Sonett gefällt mir insgesamt besser, es ist runder geschrieben, emotional unmittelbarer, intensiver, obwohl oder gerade weil vieles nur angedeutet wird.

Einzig der Begriff "Lenkrad" wirkt recht unlyrisch, aber "Steuer" würde eher an ein Schiff erinnern - das muss also hingenommen werden.


Sehr gern gelesen!

LG, eKy
Titel: Re: Und als sie ging
Beitrag von: Sufnus am Januar 11, 2019, 21:42:16
Liebe Agneta!
Auch Dir noch verspätet alles Liebe zum neuen Jahr! Schön Dich auch wieder hier zu lesen! :)
eKy möchte ich mich weitgehend anschließen... wirklich wieder sehr schöne Sonette von Dir - Du bist wahrlich eine Meisterin dieser Form! :) Auch ich finde das zweite noch (!) etwas runder als das erste (das mir aber auch ausnehmend gut gefällt).
Liebe Grüße!
S.
Titel: Re: Und als sie ging
Beitrag von: Agneta am Januar 12, 2019, 19:07:24
Lieber Erich, lieber Sufnus,

danke für euer Lob,das mich freut.
Ja, der Satz  mit dem Ahnen. Hm "Wie ein Ahnen" wäre Subjekt. Im Sinne von So etwas wie ein Ahnen. Ich könnte dies leicht korrigieren mit einem Adjektiv als Füllwort:Und als sie ging, da schwebte stilles Ahnen...".
Gefällt mir aber nicht wirklich, da es mir wichtig war, so etwas wie ein Ahnen. Ein Haus kann ja nix ahnen, sollte etwas Mystik  bringen.
Eine Ballade für alle, die etwas zurücklassen mussten. Das soll es sein.
LG von Agneta
Titel: Re: Und als sie ging
Beitrag von: Erich Kykal am Januar 12, 2019, 19:13:48
Hi Agneta!

Damit deine Version von "wie ein Ahnen" stimmt, müsstest du "etwas" davorsetzen: Etwas wie ein Ahnen schwebte um dieses Haus usw...

Tatsache bleibt, dass "wie ein Ahnen" ein Vegleich ist und kein Subjekt, das aus mehreren Worten besteht! Wenn du aber einen Vergleich anführst ohne etwas, womit es verglichen werden kann (und sei es nur das Wort "etwas"), bleiben Phrase und Satz unvollständig und unkorrekt. Ist nun mal so.

LG, eKy
Titel: Re: Und als sie ging
Beitrag von: Agneta am Januar 13, 2019, 12:16:50
das stimmt, lieber Erich. Ich werde es nochmal sacken lassen und darüber nachdenken, wie man das noch besser hinbekommen kann. LG von Agneta
Titel: Re: Und als sie ging
Beitrag von: Erich Kykal am Januar 13, 2019, 18:16:43
Mein Vorschlag:

Und als sie ging, hing etwas wie ein Ahnen"

Mehr wäre nicht zu ändern.

LG, eKy
Titel: Re: Und als sie ging
Beitrag von: Agneta am Januar 13, 2019, 19:34:13
Erich, du bist der Beste. Manchmal kommt man einfach nicht drauf. Damit wäre auch das "da" weg. Die Kombi ging, hing, die sich sehr nah ist, gefällt mir auch. Ich übernehme es gerne so.
Danke dir und lG von Agneta
Titel: Re: Und als sie ging
Beitrag von: gummibaum am Januar 14, 2019, 19:03:04
Liebe Agneta,

die beiden ungleichen Gedichte gefallen mir sehr. Schöne Bilder (Eiskokon)!

Der Wind bildet die Brücke zwischen ihnen. War er bisher der Freund und Ratgeber der Frau, so wird er jetzt, als sie seine Stimme überhört, (und das alte Haus, in das sie einst ihr Kind getragen hatte, nach lang unterdrückten Leid verlässt) zornig und bringt ihr Auto von der Fahrbahn ab. Das alte Haus kann daher auch die Frau selbst und der Wind der/ihr Lebensatem sein.

Begeistert gelesen.

LG gummibaum

 

Titel: Re: Und als sie ging
Beitrag von: Agneta am Januar 15, 2019, 10:09:05
du sagst es, lieber Gum, der Wind kann vieles sein, je nachdem, wie man es lesen möchte und einsteigen in die Zeilen. Danke dir, freue mich über deine Begeisterung und schicke liebe Grüße Agneta