die Lyrik-Wiese
Blumenwiesen => Drum Ehrlichkeit und Edelweiß => Thema gestartet von: Erich Kykal am Juli 10, 2019, 19:08:43
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Wie kommt es nur, dass wir am allerkleinsten Wink erkennen,
was jedes Gegenüber uns an Wesen offenbart?
Ein Zucken nur, ein Mienenspiel, erregter Augen Brennen,
an Haltung Wenigstes, das unser vager Blick gewahrt.
Wir lesen jedes unsrer Leiber noch so schwache Deuten
mit Leichtigkeit, als atmeten wir alles an uns ein:
Gefühle, Absicht und die Tat, die wir zuletzt bereuten,
den unerfüllten Wunsch, ein gänzlich anderer zu sein.
Wie blind hingegen sind wir, wo wir uns im Netz erfahren,
als zeilenweise Bilder dessen, was wir schriftlich sind:
Erdacht, ersehnt, erfunden nur vielleicht. Was wir bewahren
als echtes Bild von jenen, die wir schätzen, es zerrinnt
zu ungefähren Möglichkeiten, was die Geister fühlen,
die unsichtbar verbleiben, wie gesichtslos und geheim.
Wie Narren streiten wir dadurch, bis wir daran erkühlen,
und gehen doch einander immer wieder auf den Leim.
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Lieber Erich,
hier sind zwei Dinge angsprochen: Erstens, dass direkte Kommunikation überwiegend Körpersprache (durch lange Evolution vervollkommnet) ist, während schriftliche Kommunikation (ohne mimische, gestische und auditive Signale) wenig Informationen enthält.
Zweitens, dass das Fehlen dieser Signale die Täuschung (z.B. Irreführung oder Verführung im Internet) ermöglicht.
Ein schönes Gedicht, dass Sprache als umfassendes oder eingeschränktes Medium, als verlässliche und reiche Wissensquelle oder Mittel zu unterschlagen und zu täuschen vorführt.
Sehr gern gelesen.
LG g
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Hi Gum!
Die Schrift ist immer, was sie ist. Es hängt sowohl von der Intention des Schreibers, sei sie gut oder böse, als auch vom Umgang des Lesers damit ab, welche Frucht sie letztlich trägt, ob sie vergiftet ist oder süß!
Vielen Dank für deine freundlichen Einlassungen! :)
LG, eKy
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durchs Netz gefallen im doppelten Sinne, lieber Erich. Im Internet kann sich jeder so darstellen wie er will, das denkt mancher. Doch an seinen Kommentaren, an seinen eigenen Werken erkennt man ihn.Viele scheuen auch Autorentreffen, damit man eben ihr Gesicht nicht sieht. Ich mag es lieber, wenn man sich persönlich kennenlernt. Denn auch da, fällt mancher dann durch... ;D
LG von Agneta
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Hi Agneta!
Ich gehöre zu den "oft Durchfallern", wenn es ums persönliche Kennenlernen geht. Als Mensch bin ich wohl nicht eben pflegeleicht ...
Was mir zumindest aufgefallen ist: Ich lebe hermetisch, d.h., ich brauche im Grunde keine Selbstbestätigung von anderen (was natürlich nicht heißt, dass ich sie nicht gern mitnehme, wenn sie geboten wird...) und keine Gefühlsbekundungen, gegenseitiges Beziehungsbestätigen, wie in sozialen Bindungen üblich.
Wer mich liebt (fast unmögliche Vorstellung! >:D), hört nie ein "Ich liebe dich auch" von mir, ein Freund nie, wie sehr ich ihn schätze. Denn ich selbst erwarte ja auch nicht, derlei zu hören, will sagen, ich brauche es nicht und vergesse darum leicht, wie sehr manche ihre Beziehung zu mir davon abhängig machen. - Asperger-Grenzfall eben ... ::)
So gesehen kommt mir die emotionale "Übersichtlichkeit" im Netz sogar entgegen, begrenzt sie das emotionale Durcheinander sozialer Beziehungen durch den Mangel an Kommunikationsmöglichkeiten quasi automatisch auf ein für mich überschaubares und erträgliches Maß. Es gibt gewisse Regeln, und man kann sich jederzeit zurückziehen, oder zu einem selbst gewählten Zeitpunkt auf etwas zurückkommen. Im "wahren Leben" ist man der Gegenwart anderer, vor allem in engeren Beziehungen, ständig ausgeliefert - das würde mich sehr rasch überlasten und unleidig werden lassen! Nenn mich einen Kontrollfreak (ich weiß, jede Kontrolle ist Illusion, aber ich brauche offenbar auch Illusionen ...), aber eine täglich nörgelnde Ehefrau, die alles "diskutieren" will, ist mir schon als Vorstellung ein Greuel!
Das Netz ist mir also per se nicht unangenehm, ich mag nur die Vorspiegelung falscher Tatsachen und die Versteckspielerei nicht, die hier gang und gebe sind. Am schlimmsten finde ich die Trolle, die sogar absichtlich Unfrieden und Streit schüren, weil sie sich heimlich einen drauf runterholen, dass sie Menschen manipulieren können - welch jämmerliche Art der Selbstbestätigung! Diese Unarten habe ich im obigen Gedicht beschreiben wollen.
LG, eKy
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Hi eKy!
Auch ich schließe mich gerne dem Lob von gum und Agneta an! Sprachkritik in Sprachform ist wohl eine der ältesten (und bewundernswertesten) Übungen der Literatur - von Dir nun ein Beispiel von sprachlicher Internetsprachkritik im Internet. Metameta! :)
Nur ein winziges Grammatikdetail: jedes unsrer Leiber noch so schwache Deuten usw.
Gern gelesen und darüber meditiert! :)
S.
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Hi Suf!
Danke für das Lob und den Tipp bezüglich des kleinen Lapsus meinerseits!
Allerdings glaube ich, dass ich hier richtig liege. Schau mal:
Wir lesen jedes unsrer Leiber noch so schwache Deuten
mit Leichtigkeit,
So siehst du den Bezug, und in diesem Fall wäre das "s" auch falsch. Aber ich lese es so:
Wir lesen jedes unsrer Leiber noch so schwaches Deuten
mit Leichtigkeit,
Eine Genitivkonstruktion, die - wie ich meine - hier den Vorrang hat, weil "unsrer Leiber" näher dran ist, das "jedes" nur attributiv der ganzen folgenden Phrase bis "Deuten" vorangestellt.
Nicht dass ich jetzt darum streiten wollte, aber mein Sprachgefühl sagt mir, dass es hier in diesem Falle mit "s" irgendwie richtiger klingt.
LG, eKy
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Hi Suf!
Hab mich jetzt soch für deine Option entschieden. Mit abstanf betrachtet muss ich dir recht geben.
Also 'schwache'. Danke für den Tipp.
LG, eKy