die Lyrik-Wiese

Blumenwiesen => Wo Enzian und Freiheit ist => Thema gestartet von: wolfmozart am August 10, 2019, 11:50:34

Titel: Berg's Sehnsucht
Beitrag von: wolfmozart am August 10, 2019, 11:50:34
Im Tal
Verschmachtet die Liebe. -
Da eil ich mit Riesschritt die Berge hinauf
Daß sie mir noch länger verbliebe

In Tales
Verenden die Träume. -
Da eil ich mit Riesschritt die Berge hinauf
In zaghafter sterbende Räume

In Luften
ist's sprachlose Ruh.
Fern Föhren starren den Himmel hinan
Und blinken mir lächelnd zu

Auf Erden
Sprießt goldgelber Wein.
Sein Kummer greift dankbar die Mauern hinan
Ins taubstumme Fenster hinein

In Tälern
Fließt seidener Saum. -
Da schreit mir der Greif seine Ängste herauf
Vom endlos verwundeten Baum

In Nächten
Verweint sich der Sinn. -
Da eil ich mit Riesschritt die Berge hinauf
Zu ferneren Sternen hin
Titel: Re: Berg's Sehnsucht
Beitrag von: Sufnus am August 13, 2019, 12:07:16
Hi Wolf!
Ehrlich gesagt, bin ich nicht so 100% überzeugt, dass die Poetik von "Berg's Sehnsucht" außerhalb von komischer Lyrik funktioniert. Die schräge Orthographie (wie bei der Setzung des Apostrophs hinter Berg) und Grammatik (In Tales, In Luften), die eigenwilligen Wortumformungen (Riesschritte), die gravitätisch-veraltete Sprache und das seltsame Fehlen von Logik (lächelnde Föhren, der Kummer von goldgelbem Wein) erzeugen eine Mixtur, die mehr als nur Anklänge an Spaßlyrik hat und etwas an vogonische Dichtung gemahnt.
Das ist für mich ein bisschen schwerverdauliche Kost, außer es war wirklich als Schabernack gedacht... aber das war nicht die Intention, oder?
Ganz liebe Grüße & nichts für Ungut!
S.
Titel: Re: Berg's Sehnsucht
Beitrag von: Agneta am August 13, 2019, 18:16:15
Sufnus hat nicht unrecht, lieber Wolf. Die letzten 3 Verse sind gut, beinah oxymorotisch symboilisiert und würden ein gutes Gedicht abgeben. LG von Agneta
Titel: Re: Berg's Sehnsucht
Beitrag von: Sufnus am August 13, 2019, 19:44:09
Ja, die letzten drei Strophen könnten die Basis für ein leicht ins Raunige spielendes Gedicht bilden. :)
Hochoriginelle Einfälle hast Du eh immer lieber Wolf, aber ich habe den Verdacht, es fehlt noch ein bisschen am technischen Handwerkszeug.
Das ist wie beim Backen: Wenn man nicht weiß, was der Unterschied zwischen französischer, italienischer und schweizer Baisermasse ist, gelingt vielleicht durch langes Üben oder Zufallstreffer das ein oder andere Rezept, aber man wird keine verlässliche Patisseriequalität erreichen.
Mein Mantra für das Schreiben von vorzeigbarer Lyrik ist, dass man viele viele viele Gedichte der verschiedensten Meister ihres Fachs gelesen haben sollte, möglichst auch das ein oder andere Werk mit einer beigesellten, klugen Interpretation, um sich so ein paar "Tricks" anzueignen.
Das Basisprogramm wären z. B. die wichtigsten Gedichte von Fleming, Sibylla Schwarz, Goethe, Eichendorff, Heine, Möricke, Rilke, Lasker-Schüler, Brecht, Morgenstern, Celan, Bachmann, Jandl, Rühmkorf und Grünbein. Und dass hier jeder an Lyrik in ihrer ganze Breite Interessierte aus dem Stand ein halbes Dutzend und mehr Namen deutschsprachiger Lyriker nennen könnte, der Fehlen in meiner Shortlist eine sträfliche Sünde ist, und die Dichter aus aller Welt noch gar nicht berücksichtigt sind, zeigt, wie unglaublich weit dieses Feld ist.
LG!
S.
Titel: Re: Berg's Sehnsucht
Beitrag von: wolfmozart am August 17, 2019, 12:20:37
Hallo Sufnus und Agneta,
 
Tatsächlich war dieses Poem nicht als Spassgedicht gedacht.
Ich erlaube mir immer wieder verschiedenste Experimente mit Orthograpie und Grammatik.
Obs gut ankommt ist eine andere Frage.

Aber klar ist dieses Gedicht eine Herausforderung für den Leser und auch ein Experiment.
Ich brauch das um eine möglichst breite Streuung meiner Werke zu erreichen.

Andere - bekannte - Autoren zu lesen ist sicher nur förderlich für die eigene Dichtkunst und beeinflusst auch meinen Stil.

Dank euch beiden

wolfmozart
Titel: Re: Berg's Sehnsucht
Beitrag von: Sufnus am August 19, 2019, 16:57:40
Ich hab wirklich nix gegen Experimente! :) Aber warum nur Riesschritt? Das ist doch wirklich ein seltsames Wort und klingt nicht mal besonders gut... man kann mit diesem Wort ganz sicher hervorragende Nonsenslyrik schreiben - fast juckt es mich - aber in ernst gemeinter Poesie ist das wirklich schräg...
Wie dem auch sei: Lass Dich von meinen Anmerkungen ja nicht verdrießen, sondern mach Dein Ding! Du hast so originelle Ideen... es käme halt nur einfach viel mehr dabei heraus, wenn Du Dich wenigstens etwas mit der Formenlehre (Klang, Reim, Metrik, Versbau) beschäftigen und mehr Gedichte von Könnern lesen würdest. Da Du einen sehr pathetischen (das meine ich jetzt nicht negativ!) Stil pflegst, wäre vielleicht die Lyrik von Thomas Bernhard etwas für Dich (Gesammelte Gedichte, Suhrkamp)? Oder als bewusstes "Gegenmittel" gegen diesen Stil eine Lektüre der lakonischen Gedichte von Peter Maiwald (Ich ging den Worten auf den Leim, Edition Virgines)?
Titel: Re: Berg's Sehnsucht
Beitrag von: wolfmozart am August 24, 2019, 13:16:54
Hi Sufnus, seh schon dass dir persönlich meine Schrift-Experimente nicht so zusagen.
Der größte Teil meiner Gedichte ist in gutem Deutsch geschrieben und müsste daher auch für dich zugänglich sein.
Ich mach die Ausdrucks-Experimente ja nicht weil ichs nicht besser kann sondern bewußt.
Werd mal deine vorgeschlagenen Autoren etwas schnuppern, vielleicht ists eine Bereicherung für mich.
Ich freu mich über deine Rezensionen immer, mögen sie nun mehr zustimmend  oder mehr kritisch sein.

Lieben Gruß wolfmozart
Titel: Re: Berg's Sehnsucht
Beitrag von: Sufnus am August 25, 2019, 19:19:31
Hi Wolf,
wie ich beim vorherigen Post schon schrieb: Mach ruhig weiter Dein Ding! :) Meine Anmerkungen sind nie böse oder herabsetzend gemeint und letztlich ist die Frage, was nun gelungene oder weniger gelungene Lyrik (oder andere Kunst) ausmacht, eine immerwährende Herausfordung.
Ich würde allerdings nicht soweit gehen wollen, diese Frage völlig jedem Einzelnen anheim zu stellen und damit dieser Frage ein für allemal aus dem Weg zu gehen.
Ich denke, es gibt einen, immer etwas instabilen und zeitgebundenen Konsens der allgemeinen Bevölkerungsmehrheit, was ästhetisch gelungen sei (und dieser Konsens läuft m. E. immer bestenfalls auf Mittelmaß heraus). Und dann gibt es einen, noch viel volatileren Konsens von "Experten", also Leuten mit einer gewissen ästhetischen Bildung.
Im Bereich der Lyrik sind das meinethalben Menschen, die mehr als 1000 (hier gerne auch eine beliebig höhere oder niedrigere Zahl einsetzen) Gedichte von nicht-hobbymäßigen Lyrikern (Leuten, die irgendwo einmal Gedichte veröffentlicht haben) gelesen haben.
Allen Unkenrufen zum Trotz ist der Kreis dieser Experten gar nicht so klein und wenn man hier eine Mehrheitsumfrage durchführte, käme ein von einer Fußgängerzonenumfrage deutlich abweichendes Urteil über ästhetische Maßstäbe zustande. Ich habe - ganz undemokratisch (gegen meine sonstige Art) - gewisse Sympathien für dieses aristokratische Ästhetik-Modell.
Aber - siehe oben - ich finde, der entscheidende Sinn aller ästhetischen Diskussion ist gerade, dass sie niemals abschließend entschieden werden. :)
LG!
S.