die Lyrik-Wiese
Blumenwiesen => Wo Enzian und Freiheit ist => Thema gestartet von: gummibaum am April 08, 2020, 12:28:33
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Uns Menschen ist die Wahrheit nicht geheuer.
Wir sehen lieber lebenslang gebannt
in einer Höhle Schatten auf der Wand
als draußen, was sie wirft im Licht am Feuer.
Und würde einer sich ins Freie ringen,
uns sagen, was und wie die Dinge sind,
wir lachten nur und hielten ihn für blind
und eiferten danach, ihn umzubringen...
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Hi Gum!
Immer wieder verdichtet, dieses Höhlengleichnis - ich kenne schon zig Versionen, wobei deine natürlich im absoluten lyrischen Spitzenfeld rangiert!
Es beschreibt das simplifizierende Beharrungsvermögen der menschlichen Natur sehr gut. Leider wird es von Religionsvernarrten auch immer wieder bemüht, um eine mögliche göttliche Metaebene im Universum zu etablieren, so nach der völlig unbewiesenen Prämisse, dass außerhalb unserer Höhle irgendetwas "Göttliches" sein müsse: "Wir sind solche Würmer, was wissen wir schon!?" usw. - Ich kann da nur immer antworten: "Wir wissen durchaus schon eine ganze Menge, abgesehen von den ganzen beweisbaren Fakten und der dadurch immer marginaler werdenden Wahrscheinlichkeit für die Existenz göttlicher Überwesen zum Beispiel auch, dass man auch völlig ohne Anbetungsgestalt und die ihren rigiden Systemen anhängige Unterwürfigkeit auskommen und ein moralisch mündiges und zerebral eigenverantwortliches Leben führen kann, ohne ständig irgendwelchen Propheten nachzulaufen! ;D 8)
Sehr gern gelesen! :)
LG, eKy
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Auch ich mag dieses philosophische Lehrgedicht sehr!
Und es hat noch eine, finde ich, ganz verblüffende und zur Anregung stiftende Pointe: Der da in diesem Gedicht spricht, weiß offenkundig um die Existenz des Feuers außerhalb der Höhle, rechnet sich aber durch die Verwendung der 1. Person Plural ("wir sehen lieber lebenslang gebannt... ") zu den Höhlenbewohnern. Was steckt da wohl dahinter? Bescheidenheit? Angst vor den "Mit"menschen? Ironie?
Sehr gerne gelesen... :)
… und übrigens scheint mir der Bereich philosophischer Gleichnisse sehr ergiebig für weitere Gedichte zu sein... ich denke z. B. an Zenos Pfeil-Paradoxon (vgl. auch Quanten-Zeno-Effekt), Heraklits Bildnis vom sich ständigen wandelnden Fluss, Plutarchs Gedankenexperiment zum Schiff des Theseus, Ockhams Rasiermesser, Buridans Esel, das Mühlenbeispiel von Leibnitz, das Wittgensteinsche Käfergleichnis, Hilary Putnams Gehirn im Tank, das chinesische Zimmer von Searle usw. Ich persönlich würde mich nicht gewachsen fühlen, hierzu griffige und sprachlich elegante Gedichte zu verfassen... aber vielleicht.... ;)
LG!
S.
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Was steckt da wohl dahinter? Bescheidenheit? Angst vor den "Mit"menschen? Ironie?
Huhu,
Ich denke wie folgt:
Wenn sie gebannt sind, sind sie ja ausgegrenzt respektive abgegrenzt... Das zieht ein Gefühl des Fremdseins nach sich, da sich hier die Bilder teilen und zwei verschiedene Welten ansprechen, scheint die eine Welt gleichsam fremd wie die andere zu sein. In Deiner Aufzählung, lieber Suf, möchte ich gern noch die Monaden ergänzen.
vlg
EV
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Danke, lieber Erich, für das Lob (Spitzenfeld). Ja, das Gleichnis hat immer wieder die Gemüter bewegt und verschiedenen Auffassungen Vorschub geleistet. Die Einvernahme durch die Religion für ihre Zwecke hast du gut verdeutlicht.
Danke, lieber Sufnos für die Aufdeckung der Ambivalenz in der der Erzählerstimme und die vielen Beispiele für Gleichnisse im philosophischen Schrifttum.
Danke, lieber Eisenvorhang, für weiterfühende Gedanken zur Fokalisierung und die Ergänzung Sufnusscher Beispiele.
Euch herzliche Grüße von gummibaum
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Hi nochmal!
Meine bevorzugte Deutung des Gleichnisses ist ja, dass die Menschen in der Höhle im Grunde durchaus wissen, dass es mehr gibt und ein Draußen, aber sie bleiben freiwillig in der Dunkelheit, zufrieden mit den Schatten von den Dingen an der Höhlenwand. Das hält ihre Welt übersichtlich und geordnet, erklärbar und berechenbar.
Die wenigsten haben den Mut, vor die Höhle zu treten, um Neues zu lernen und sich womöglich in Gefahr zu bringen. Und wenn einer diesen Mut doch hat und sie solcherart beschämt, vorführt und düpiert, steinigen sie ihn aus Scham und Feigheit und schieben vor, ihn für das höhere Gut ihres wahren Glaubens an die tröstende Dunkelheit und die sicheren Wände der Höhle geopfert zu haben, innerhalb derer ihr Geist sich bewegt.
LG, eKy
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Tjajaja....
Ein Geistlein sieht man durch das Wiesengatter blitzen….
Ihr beide habt ja einen ähnlichen Verstand.
Du Erich machst mal wieder frostig die Notizen,
mein Prinzlein geht durchs dunkle Blut im öden Land.
Je nun, das Häppchen zur Nacht.
Verlockend, zur rechten Zeit mal die Lösung dieses alten Dilemmas zu begrübeln!
Die Rasenden, die Rachelustigen, die Kreuziger: schon oft kam her die Kunde.....
Im Übrigen: wo bei Psyche die Steinchen fliegen ohne Anlaß und Begreifbarkeit,
wären die unheimlichen Ängstlich-Aggressiven eigentlich ein Aufstieg.
Man nehme sich vielleicht doch eine klare Rüstung, auch wenn es in der asketischen Seele schmerzt.
Blieben noch die Gefahrenquellen.
Für die Wut des kranken Abschaums bin ich zuständig....
Religionen sind nicht mehr en vogue....
Was Religion anbelangt: im männlich geprägten Islam tritt das Phänomen nicht auf...
Na ja.
Geistergrüße
M.