die Lyrik-Wiese

Blumenwiesen => Mit Löwenzahn und Lebensfreude => Thema gestartet von: Friedhelm am April 16, 2020, 17:01:38

Titel: Wiesengreis
Beitrag von: Friedhelm am April 16, 2020, 17:01:38
Ich bin ein alter Wiesengreis,
der viel von Lebenskrisen weiß.
Ich esse gerne weißen Grieß
und lebe auf der Greisenwies.
Titel: Re: Wiesengreis
Beitrag von: Erich Kykal am April 16, 2020, 17:58:46
Hi Friedhelm!

Eine Greisenwiese gibt's bei uns aber nicht - das wäre sinngemäß dann wohl ein eigener Bereich für Senioren, sowohl was das Alter der Dichter betrifft, als auch den Inhalt der Werke.  ;) ;D

Schön geschüttelt!  :)

LG, eKy
Titel: Re: Wiesengreis
Beitrag von: Agneta am April 17, 2020, 19:31:00
Habe deine Sch?ttler schon vermisst, Friedhelm. Sch?n, dass es sich hierher verschlagen hat. LG von Agneta
Titel: Re: Wiesengreis
Beitrag von: Eisenvorhang am April 17, 2020, 23:23:08
Schoen geschuettelt, lieber Friedhelm!!
Ich glaube, ich bin hier der juengste in den Kreisen!  :'( :-[

Huch, was ist denn im Moment mit dem Forum los? Da haben sich wohl softwareseitig Fehler eingeschlichen!

t?st

Test, test, test
Titel: Re: Wiesengreis
Beitrag von: Sufnus am April 19, 2020, 15:42:07
Ein echter Friedhelm! Und ich liebe übrigens Grieß, ob als Brei, Klößchen oder in süßen Aufläufen und Kuchen... von daher: Wo geht's hier bitte zur Greisenwies? :)
Titel: Re: Wiesengreis
Beitrag von: Erich Kykal am April 19, 2020, 16:34:14
Da bist du doch schon, guter Sufnus: Genau hier auf der Lyrik-Wiese, wo die meisten anderen außer Eisenvorhang und vielleicht dir alte Säcke und Säckinnen sind ...  ;) ;D
Titel: Re: Wiesengreis
Beitrag von: Sufnus am April 19, 2020, 19:29:13
Hömma! Ich erhebe gefälligst auch Anspruch auf vollen Greisenstatus! Innerlich bin ich eh schon 110... mindestens… zumindest, wenn morgens der Wecker klingelt! ;D
Titel: Re: Wiesengreis
Beitrag von: Erich Kykal am April 19, 2020, 23:03:30
 ;D ;D ;D Na, dann huste der Welt mal schön etwas vor ...  ;)
Titel: Re: Wiesengreis
Beitrag von: Friedhelm am April 21, 2020, 09:19:18
Variation:

Vor seinem Ritterschlosse ein armer Wiesengreis,
der auf dem Schlitterrosse von Lebenskrisen weiß.
Er isst als Schlotterriese, weil billig, weißen Grieß,
Nach Bankerott er schließe ab auf der Greisenwies.

LG Friedhelm
Titel: Re: Wiesengreis
Beitrag von: Sufnus am April 21, 2020, 10:20:25
Sehr schöne Variation, liebe Friedhelm!  ;D

Ich würde - um den Senkungsprall nach jedem Halbzeilenschüttler zu vermeiden - vielleicht vorschlagen, hier ausnahmsweise mal die Binnenreime durch Zeilenumbrüche zu ersetzen, weil das m. E. die Verse etwas flüssiger lesbar macht: An die Stelle einer Zäsur innerhalb der Zeilen tritt so die (gewohntere) Sprechpause beim Zeilenwechsel.

Hier mal ein Vorschlag mit entsprechenden kreuzgereimschüttelten Dreihebern anstelle der paargereimten Sechsheber mit Binnenreim (hab außerdem noch ein paar Formulierungsideen mit eingebaut... ) :)


In seinem Ritterschlosse
verarmt der Wiesengreis
und malt vom Schlitterrosse
sich alle Krisen weiß.

Nur mehr ein Schlotterriese,
genießt er weißen Grieß,
halb bankerott: er schließe
bald ab die Greisenwies.

:)
Titel: Re: Wiesengreis
Beitrag von: Friedhelm am April 21, 2020, 14:55:55
Hi Sufnus,

vielen Dank, dass du dich so intensiv mit meinen Schüttelreimen befasst hast. Ich habe vergessen zu erwähnen, dass es sich hier um eine Schüttelvorgabe handelte, nämlich um sechshebige französiche Alexandriner, die die Besonderheit aufweisen, dass auf beiden Ästen links und rechts der Zäsur bei den Schüttelreimen jeweils auch die Vokale ausgetauscht werden. Gelöst von dieser Vorgabe, gefällt mir deine Variante, auch inhaltlich, sehr gut.

LG Friedhelm
Titel: Re: Wiesengreis
Beitrag von: Sufnus am April 21, 2020, 15:53:59
Hi Friedhelm,
damit erklärt sich natürlich die besondere metrische Form, da die diversen Alexandriner-Derivate heutzutage nicht besonders in Mode sind, dürfte der ungeübte Leser beim ersten Durchgang metrisch leicht stolpern, bis der Kniff mit der Mittelzäsur klar wird. :)
VG!
S.

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Und nur noch als formales Teaching in die Runde (to whom it may concern):

Als Alexandriner bezeichnet man üblicherweise 6-hebige Verse mit einer Zäsur (Sprechpause) in der Mitte, die die Verse in zwei Halbverse gliedert, wobei ein Binnreim zwischen dem ersten und dem zweiten Halbvers vorkommen kann, aber keineswegs kanonisch ist.
Der klassische französische Alexandriner ist (meines Wissens) strikt zwölfsilbig mit je sechs Silben vor und nach der Zäsur, es gibt aber - zumal in anderen Sprachen - davon Abweichungen. Bei Friedhelm haben wir übrigens sieben Silben vor und sechs nach der Zäsur.
Der in Deutschland in der Barockzeit definierte Alexandriner (quasi die "klassische" deutsche Variante) ist ein 6-hebiger Jambus (unbetont-betont) mit Mittelzäsur nach der dritten Hebung (also nicht nach einer Senkung wie in Friedhelms Beispiel), so dass der erste Halbvers in der klassischen deutschen Form sechs Silben umfasst. Der zweite Halbvers hat ebenfalls eine jambische Grundstruktur und endet entweder betont, so dass er auch sechs Silben umfasst oder unbetont (weibliche Kadenz), in dem an den letzten Jambus noch eine unbetonte Silbe "angehängt" wird (dieses Anhängen einer Extrasilbe nennt man Hyperkatalexe, ein eindrucksvolles Fremdwort ;) ).
Bsp. für einen klassischen Alexandriner von Andreas Gryphius (bezieht sich nicht auf die Epoche der deutschen Klassik, sondern auf seine Formstrenge):

Der schnelle Tag ist hin, // die Nacht schwingt ihre Fahn'
und führt die Sterne auf, // der Menschen müde Scharen
verlassen Feld und Werk, // wo Tier' und Vögel waren,
traurt jetzt die Einsamkeit. // Wie ist die Zeit vertan!

Wo ich lesehilfhalber die zwei // hingetippt habe, ist jeweils die den Alexandriner mitdefinierende Zäsur zu lesen, ein kleines Verschnaufepäuschen. :)
Der Halbvers vor der Zäsur hat drei Hebungen und sechs Silben, der Halbvers nach der Zäsur hat auch drei Hebungen und je nach betontem oder unbetonten Vers-Ende entweder sechs oder sieben Silben. Voilà ein Alexandriner. :)
Titel: Re: Wiesengreis
Beitrag von: Erich Kykal am April 21, 2020, 19:08:17
Hi Suf!

In der 4.Zeile deines Alexandriners hat das "traut" ein "r" zuviel eingefangen ...
Titel: Re: Wiesengreis
Beitrag von: Sufnus am April 21, 2020, 19:18:35
Hi eKy!
Ich hab die, immerhin bald 400 Jahre alten Zeilen von old Gryph behutsam an unsere Rechtschreibung angeglichen, ohne ihm ins semantische Handwerk zu pfuschen, er hat "trawrt jtzt die Einsamkeit" im Sinne von "trauert jetzt die Einsamkeit" geschrieben... das lässt sich leider nicht metrisch sauber ins aktuelle Standarddeutsch übertragen, daher das verkürzte "traurt" im Sinne von "trau'rt" - ein Kompromiss...
LG! :)
S.
Titel: Re: Wiesengreis
Beitrag von: Erich Kykal am April 21, 2020, 19:21:17
Hi Suf!

Ich hätte frech ein "weint" eingesetzt. Das versteht man wenigstens ...
Titel: Re: Wiesengreis
Beitrag von: Friedhelm am April 21, 2020, 19:54:38
Hi!

Sufnus vielen Dank für deinen Diskurs über den Alexandriner.

Im Deutschen geht der flexible Rhythmus des französischen Alexandriners leicht verloren. Deshalb haben erfahrene Übersetzer – wie Paul Celan in seiner Nachdichtung von Rimbauds berühmtem Langgedicht "Das trunkene Schiff (Le Bateau ivre)" – den Vers durch eine zusätzliche, unbetonte Silbe vor der Zäsur ergänzt:

Hinab glitt ich die Flüs-se, ‖ von träger Flut getragen,
da fühlte ich: es zo-gen ‖ die Treidler mich nicht mehr […] 

Bei meinen französischen Alexandrinern folge ich diesem Beispiel.

LG Friedhelm