die Lyrik-Wiese

Blumenwiesen => Das Blöken der Lämmer => Thema gestartet von: gummibaum am Juni 29, 2020, 09:44:32

Titel: Traumreise
Beitrag von: gummibaum am Juni 29, 2020, 09:44:32
Heute Morgen sang mir leise
eine Stimme in mein Ohr:
„Mach dich endlich auf die Reise,
bleib nicht liegen, sei kein Tor.“

Zögernd schnürte ich den Ranzen,
der vor meinem Lager stand,
doch die Welt fing an zu tanzen,
weil sie mich so mutig fand.

Unbegrenzte Wege liefen
plötzlich wie für mich gemacht
in die Weite, und es riefen
nach mir ferne Himmel sacht.

Ich ging los, doch bald vor Wonne
flog ich, leichter als Papier,       
immer westwärts mit der Sonne,
und so blieb der Tag bei mir.

Städte sah ich, Länder liegen
unter mir in großer Zahl,
über Meeren mich zu wiegen
war mein Reiseareal.

Endlich machte ich mal Pause,
und als ich mich umgeschaut,
fand ich mich auch schon zu Hause,
und der Wecker schrillte laut… 

Titel: Re: Traumreise
Beitrag von: AlteLyrikerin am Juni 29, 2020, 12:36:32
Hallo gummibaum,


ja, wenn die Reiseeindrücke ganz lebendig sind und das Gefühl von Weite und Leichtigkeit ganz intensiv, dann genau schrillt der Wecker.
Das hast du sehr anschaulich beschrieben. Gefällt mir.
Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.
Titel: Re: Traumreise
Beitrag von: Agneta am Juni 29, 2020, 13:39:33
manchmal bleibt einem nur die Traumreise, lieber Gum. Aber auch sie macht uns reciher. LG von Agneta
Titel: Re: Traumreise
Beitrag von: Erich Kykal am Juni 29, 2020, 15:00:40
Hi Gum!

Erinnert mich ein wenig an das bekannte Rilkegedicht:

Der Fremde

Ohne Sorgfalt, was die Nächsten dächten,
die er müde nichtmehr fragen hieß,
ging er wieder fort; verlor, verließ -.
Denn er hing an solchen Reisenächten

anders als an jeder Liebesnacht.
Wunderbare hatte er durchwacht,
die mit starken Sternen überzogen
enge Fernen auseinanderbogen
und sich wandelten wie eine Schlacht;

andre, die mit in den Mond gestreuten
Dörfern, wie mit hingehaltnen Beuten,
sich ergaben, oder durch geschonte
Parke graue Edelsitze zeigten,
die er gerne in dem hingeneigten
Haupte einen Augenblick bewohnte,
tiefer wissend, dass man nirgends bleibt;
und schon sah er bei dem nächsten Biegen
wieder Wege, Brücken, Länder liegen
bis an Städte, die man übertreibt.

Und dies alles immer unbegehrend
hinzulassen, schien ihm mehr als seines
Lebens Lust, Besitz und Ruhm.
Doch auf fremden Plätzen war ihm eines
täglich ausgetretnen Brunnensteines
Mulde manchmal wie ein Eigentum.


Du löst in der Conclusio das Ganze zu einem Traum auf (was spätestens nach dem "leicht wie Papier"-Bild klar gewesen sein sollte ...  ;)). Wie immer sorgen deine kurzen, heiter tanzenden Zeilen für fröhliche Gelassenheit.

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy


PS: Ich hab 12 neue Gedichte am Start hier (ja, ich schreibe wieder, extra für euch!), falls es dich (oder sonstwen von der alten Riege) interessiert.
Titel: Re: Traumreise
Beitrag von: Agneta am Juni 29, 2020, 20:10:24
das Rilke-Gedicht ist ja ein Traum, kannte ich nicht. Ja, der war schon ein Meister. LG an euch beide von Agneta
Titel: Re: Traumreise
Beitrag von: Erich Kykal am Juni 29, 2020, 22:27:19
HI Agneta!

Eins meiner absoluten Lieblingsstücke von ihm. Lies sein lyrisches Gesamtwerk (Inselverlag), du wirst sehr viele Perlen finden!

LG, eKy
Titel: Re: Traumreise
Beitrag von: gummibaum am Juni 29, 2020, 23:02:54
Liebe AlteLyrikerin, lieba Agneta, lieber Erich,

habt Dank für eure positiven Kommentare. Schön, dass auch Rilke sich hier zu Wort meldet. Sein Gedicht ist große Klasse!

Gute Nacht wünscht euch
gummibaum
Titel: Re: Traumreise
Beitrag von: gummibaum am Juni 29, 2020, 23:23:38
Lieber Erich,

12 neue Gedichte, wie schön! Ich werde sie gern lesen.

Alles Liebe von g
Titel: Re: Traumreise
Beitrag von: Erich Kykal am Juni 30, 2020, 16:10:07
Lieber Erich,

12 neue Gedichte, wie schön! Ich werde sie gern lesen.

Alles Liebe von g

Herrschaftzeiten! >:(::) KOMMENTIEREN sollst du sie, nicht bloß lesen! Echt jetzt ...  ;) ;D >:D 8)