die Lyrik-Wiese

Blumenwiesen => Verbrannte Erde => Thema gestartet von: a.c.larin am November 02, 2020, 10:23:53

Titel: Kehraus
Beitrag von: a.c.larin am November 02, 2020, 10:23:53
Trauer fällt wie Winterregen
auf die Bilder unsres Lebens:
Kalte Asche und kein Feuer!
Fehl Getanes, Ungesagtes,
kaum Gehofftes, nie Gewagtes
wiegt nun schwer, schmerzt ungeheuer,
lastet stumm auf allen Wegen.
War die Liebe denn vergebens?

Kummer nagt in Herzensgründen:
Wird die Zeit uns Antwort reichen?
Sind verklungen all die Lieder,
alles Träumen im Erkalten?
Lässt sich nichts mehr neu entfalten -
nur noch Abschied, immer wieder?
Flüsse, die ins Leere münden,
Ziele, die wir nie erreichen,

machen müd und tränenschwer.
Liebster, was ist vorgegangen,
dass du alles lassen willst?
Wann hat jener Weg begonnen?
Kraft und Liebe: Blass zerronnen!
Da du fernab Sehnsucht stillst,
bleibt der Himmel mir verhangen
und der Tag friert trüb und leer.


Titel: Re: Kehraus
Beitrag von: Erich Kykal am November 02, 2020, 12:19:35
Hi larin!

Eigentlich sollte dieses Werk von mir sein - ist ja genau mein trister, melancholischer Stil, oder? Jedenfalls ungewöhnliche Töne von der so lebensbejahenden larin! Ich hoffe, die Stimmung hat keinen (oder erträglicheren) Anlass im realen Leben!

Das LyrIch hadert letztlich mit einem Partner, der "alles lassen will" - wobei die Formulierung auf Suizidgefahr hindeuten kann, aber es kann natürlich auch heißen, dass er sich "nur" aus der Beziehung verabschieden will.
Diese scheint nach langer Zeit unerfüllt, unerquicklich geworden zu sein, warum auch immer. Der Inhalt legt nahe, es könnte der "normale" Alterungsprozess verantwortlich sein, der desillusioniert und abstumpft, ermüdet und abkühlt.


Mein Gedanke dazu: Menschen scheinen immer wieder überrascht zu sein, wenn derlei passiert. Wüssten sie mehr über die menschliche Natur, sie wären es nicht. Wir sind im Grunde schon psychisch nicht für "ewige" Liebe und lebenslange Partnerschaft ausgelegt.
Die durchschnittliche "Liebe", so haben Forscher herausgefunden, dauert um die 7 Jahre, was logisch erscheint, ist dies doch die schwierigste Zeit für die Aufzucht gezeugter Kinder, wo es wirklich einen überlebenstechnisch relevanten Effekt hat, wenn beide noch eng zusammenhalten und die Last gemeinsam schultern.

Rein anatomisch ist ein achtjähriges Kind schon in der Lage, bei der Versorgung der Steinzeitfamiie zu helfen: Fallen stellen, Früchte, Beeren, Wurzeln, Pilze sammeln, Nähen usw...
Was heute als Kinderarbeit gilt, war selbst vor nicht mal hundert Jahren und weniger am Land ganz selbstverständlich, und damals, als unser Verhalten geprägt wurde, galt es noch viel mehr.
Wenn also der Schutz im Stamm oder der dörflichen Gemeinschaft gegeben war, begann der Mann (er ist unterbewusst dahingegehnd geprägt, seinen Samen möglichst breit streuen zu wollen, möglichst viele Nachkommen zu zeugen), sich "anderswo" umzutun. Das macht ihn nicht "böse" oder "sündig", das sind alles viel später aufgepfropfte Kultur- und Religionsdogmata. Es dient einzig der genetischen Vielfalt und der so erhöhten Überlebenswahrscheinlichkeit einer Gemeinschaft. Natur und Evolution denken nicht in menschlichen Kategorien.

Leider haben die religiös durchseuchten und die patriarchalisch besitzergreifenden Kulturen der letzten Jahrtausende die Frau an sich entrechtet und herabgewürdigt, was sie völlig von ihren Männern abhängig, ja zu simplem Besitztum machte. Was in ihnen eine latente Angst vor Verstoßung auslöste, die sie besonders anhänglich und emotional sich bindend werden ließ. Ich wage zu postulieren: Das Problem vieler Frauen (ja, auch Männern, aber eindeutig seltener) ist der immer noch unterschwellig vorhandene, durch Erziehung und Kulturprägung induzierte Minderwertigkeitkomplex, der sie dazu treibt, sich emotional unselbstständig zu machen, sodass sie umso stärker unter dem Ende einer Liebe leiden, bzw. völlig davon überrascht werden, nahmen sie doch nur zu gern an, ein gesellschaftlich zementierendes Ritual wie die Hochzeit garantiere eine lebenslange Absicherung und beim Mann eine ebenso tiefe Bindung, wie sie selbst einzugehen offenbar bereit sind, um sich gegen kulturelle Minderstellung abzusichern.

Ja, heute sind Frauen gleichberechtigt - aber eben noch nicht wirklich! Jahrtausendelang eingeübte, ja eingeimpfte Vorurteile und Dogmen lassen sich nicht innerhalb weniger Dekaden über Bord kippen! Das dauert viel länger, bis die Frauen endlich dieses Gefühl der Unsicherheit innerhalb ihrer Kulturen abgelegt haben. Immer noch gibt es in der Erziehung unbewusste Prägung, und vielleicht - nach so langer Zeit der indirekten "Züchtung" auf Unterwürfigkeit und kulturellen Gehorsam - sogar noch Reste genetischer Neigung dazu.

Dieses moderne Frauenbild verdanken wir übrigens dem Prozess der Aufklärung sowie den Weltkriegen, die - vor allem auch den Frauen selber - gezeigt haben, dass sie bei Männermangel durchaus in der Lage sind, selbst den Laden zu schmeißen!
Hätte es bei uns keine strikte Trennung von Kirche und Staat gegeben, wir würden sehr wahrscheinlich Frauen heute noch so betrachten wie der Durchschnittsmann im strengen Islam: als Arbeitskraft und Gebärmaschine, als Sexspielzeug oder Besitztum, mit dem man handeln kann. Unmündig, unfähig, unwürdig, stumm und von Stoff im Gesicht geknebelt, entpersönlicht, anonymisiert, aus der Öffentlichkeit völlig entfernt.


Sorry, sollten meine Gedanken hier zu weit geführt haben! Eins gibt eben das andere ...  ::)

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Titel: Re: Kehraus
Beitrag von: gummibaum am November 02, 2020, 13:28:05
Liebe larin,

ich dachte auch schon bei der ersten Strophe, du steuerst auf Erich zu. Dann sah ich die November-Depression am Werk. Aber die letzte Strophe bringt  eine Partnerschaft zum Vorschein, aus der sich der eine entzieht...das gibt dem Gedicht die larinsche Note.

Sehr gern gelesen.
Grüße von gummibaum


 
Titel: Re: Kehraus
Beitrag von: a.c.larin am November 03, 2020, 18:43:33
hi erich, hi gum,

nein, keine novemberstimmung, kein wandeln auf erichs spuren, kein persönlicher tatsachenbericht....
der schreibende als beobachter schlüpft wie ein schauspieler in eine rolle und gestaltet sie aus.
wenn es persönlich und authentisch klingt, dann hat das schauspiel berührt.

nicht im voraus zu wissen, was passieren wird, ist normal - und dass wir uns im zusammenleben auf einander verlassen können wollen, wohl auch.
wenn menschen also etwas tun, womit andere nicht rechnen, so ist es wohl normal, erschüttert und betroffen zu sein.
das hat nichts mit einem mangel an lebensbejahung oder mit irgendeiner persönlichen schwäche zu tun: betroffen zu sein ist  der preis der liebe!

mein herz geht mit den betroffenen, mit all jenen, die im gewande der schwäche stark sind, stark sein müssen, weil man ihnen genommen hat, was sie liebten.

danke fürs lesen und komnentieren!

lg, larin