Autor Thema: Isolation  (Gelesen 1247 mal)

Erich Kykal

Isolation
« am: Juli 20, 2013, 11:06:50 »
Vor den Fenstern treiben Tage
mir vorbei wie eine Sage,
die aus einem fremden Land
Eingang in mein Grübeln fand -
doch ich glaube nicht daran,
weil ich mir nicht trauen kann.

Was ist Wirklichkeit, was Lüge?
Wer bin ich, und wen betrüge
täglich ich am Spiegelrand?
Diese Augen, die ich fand
gleichen meinen, und sie schauen
jeden Tag dasselbe Grauen.

Unter tausend Spiegelungen
meiner selbst, mir abgerungen,
sitze ich im trauten Raume,
halte zügelnd mich im Zaume,
stell mir vor, was Leben sei -
und bin dennoch nie dabei.
« Letzte Änderung: Februar 02, 2022, 21:21:39 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Daisy

Re:Isolation
« Antwort #1 am: Juli 22, 2013, 17:30:34 »
Hallo Erich,

du wirst doch hoffentlich keinen Ferien-Koller haben!  :)

Die kurzen Verse und Paarreime hämmern einem das "Grauen" regelrecht ein, deprimierend.
Das Gedicht ist beeindruckend, aber es stimmt recht nachdenklich und traurig.

Man ist versucht zu rufen: Kopf hoch, es wird schon wieder!

Alles Liebe und herzlichen Gruß von
Daisy

Erich Kykal

Re:Isolation
« Antwort #2 am: Juli 22, 2013, 19:40:29 »
Hi, Daisy!

Oh, das Gedicht beschreibt eigentlich mein Leben seit der Teenagerzeit, als ich mich nach jahrelangen Demütigungen und Mobbingattacken Gleichaltiger nachhaltig von den meisten zwischenmenschlichen Aktivitäten zurückgezogen hatte. Natürlich gibt es Aufs und Abs, aber im Großen und Ganzen kommt es hin.
Anders als das Lyrich in der 3. Str. weiß ich allerdings immer, wer ich unter all den Masken wirklich bin, die ich der Welt oder mir selber zeige - da kommt mir nichts durcheinander! Allerdings gibt es Phasen, wo einem diese selbstgewählte Isoaltion doch mal auf den Kopf fällt. Solch ein Gedicht ist dann ein willkommenes Ventil: Man schreibt sich den Frust von der Seele und kann weitermachen. :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Isolation
« Antwort #3 am: Juli 25, 2013, 10:54:30 »
Dein Kommentar versöhnt mit dem tristen Gedicht, mag es noch so hinreißend geschrieben sein.
Ich persönlich habe immer den Eindruck, daß Du die ruhende Mitte Deiner Welt bist, von keinem Selbstzweifel "angekränkelt".
Aber das mag auch eine Maske sein?


Dankbare Grüße, lieber Erich,


von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Isolation
« Antwort #4 am: Juli 25, 2013, 11:02:15 »
Hi, Cypi!

Meiner Erfahrung nach bestehen wir NUR aus Masken, die wir einander - und sogar uns selbst zeigen, wenn nötig. Haben wir nach der kompletten Schälung der Zwiebel überhaupt noch einen nennenswerten Kern? Keine Ahnung - so weit bin ich nie vorgedrungen...die Augen tränten zu sehr! ;)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Isolation
« Antwort #5 am: Juli 25, 2013, 11:15:47 »
Ich selbst habe zwar ein falsches (geschöntes) Bild meines Äußeren (da hilft keine Maske), aber ansonsten halte ich mich für unversteckt und unverdeckt.
Auch vor mir selbst verstecke ich mich nicht.

Kann auch Selbsttäuschung sein, wer weiß?
Der Schönheit treu ergeben
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Erich Kykal

Re:Isolation
« Antwort #6 am: Juli 25, 2013, 11:40:07 »
Nach einer gängigen Theorie ist unser "Selbst" ja selbst eine Täuschung: Eine Art "Ich-Simulation", die das rasche Denken erleichtert und im evolutionären Schnitt ein besseres Überleben des Gesamtorganismus garantiert. Man hat festgestellt, dass unser Stammhirn und der Körper schon Nanosekunden VOR uns wissen, wie etwas entschieden wurde und entsprechend reagieren. Das "Ich" wird also sozusagen als letztes informiert, darf aber zwecks Aufrechterhaltung seiner Illusion glauben, es selbst hätte diese Entscheidungen getroffen. Interessant, oder?
Man hat dies mit simplen Tests herausgefunden. Einer davon: Der Proband wurde verdrahtet und sollte aus zwei zu drückenden Knöpfen vor sich beliebig einen auswählen, den er mit dem linken oder rechten Arm drücken sollte, je nachdem, auf welcher Seite der gewählte Knopf sich befand. Welchen, wann und wie lange er drückte, war ihm überlassen. Man fand heraus, dass Nervenreaktionen im Körper abliefen, die den Arm in entsprechender Richtung in Bewegung setzen, BEVOR das Großhirn selbst aktiv wurde! Man konnte also um Sekundenbruchteile die Entscheidung des Probanden voraussagen - immer richtig übrigens!
Das gibt zu denken, nicht wahr?

LG, eKy
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Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Isolation
« Antwort #7 am: Juli 25, 2013, 11:59:23 »
Ja, ich habe darüber einen sehr ausführlichen SPIEGEL-Artikel gelesen.
Aber wenn uns ein Restselbstbewußt sein bleibt - muß das trotz aller deduktiven Vernunft unbedingt zur Maskierung führen?
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Isolation
« Antwort #8 am: Juli 25, 2013, 12:18:04 »
Ja - weil es etwas wie absolute Objektivität nicht gibt. Wir WOLLEN immer irgendwie sein, niemand akzeptiert sich so, wie er IST! Wir WOLLEN in einer bestimmten Welt leben, niemand akzeptiert sie so, wie sie IST (abgesehen davon, dass ohnehin kein menschlicher Verstand soviel Komplexität verstünde)!
Also betrachten wir uns und die Welt so lange wie irgend möglich durch die rosa Brille unserer Sehnsüchte, Wünsche und Illusionen. Uns selbst machen wir dabei mindestens ebenso viel vor wie der Welt, wenn nicht sogar mehr! Wir tun das, um uns selbst und die Welt irgendwie ERTRAGEN zu können. Es scheint ein überlebenswichtiger Mechanismus für unser Häufchen Verstand zu sein.
So zumindest sehe ich das aus meinem Erfahrungshintergrund heraus. Weisheit bedeutet im Grunde also nichts anderes, als diese Brille abzunehmen, zumindest so lange, wie erträglich... ;D

LG, eKy
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Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Isolation
« Antwort #9 am: Juli 25, 2013, 12:27:29 »
Meine rosarote Brille ist vor gut 20 Jahren zurück an den Absender gegangen! ;) :-*
Der Schönheit treu ergeben
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