Autor Thema: Lieber Tod!  (Gelesen 887 mal)

Erich Kykal

Lieber Tod!
« am: Juni 25, 2020, 13:04:41 »
Mit jeder Mühsal wirst du mir vertrauter,
die mir das Alter in die Tage legt.
Mit jedem Abend wirst du angeschauter,
und was dein Kommen in die Stunden trägt,
wächst auf in mir zu heiterem Erkennen,
gelassen hinzunehmen, was geschieht,
ein Geist zu sein, der deinen Namen nennen
und stehen kann, wenn er dich kommen sieht.

Die Jahre werden kürzer und verfliegen
wie Schemen bald, die nichts mehr halten wollen.
Es geht nicht mehr um Siegen und Besiegen,
und wie wir uns dem Ende stellen sollen.
Das Leben lehrt uns vieles zum Behufe
des Wachsens, das uns innen größer macht,
so gehen Stufe wir hinab um Stufe
zur größten Breite, die in allen wacht.

An diesen Wurzeln mag mein Eifer ruhen,
der nichts mehr graben muss in seiner Zeit
aus der Erinnerung zu vollen Truhen,
aus denen er sich sein Bestehen leiht.
Du legst dich sanft auf seine wunden Hände
und kühlst ihm stumm und zärtlich die Bedenken
um alles, was er sonst noch weiter fände,
uns Stille und Entledigung zu schenken.



(Inspiriert durch AlteLyrikerin)
« Letzte Änderung: Oktober 19, 2020, 00:01:34 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

AlteLyrikerin

Re: Lieber Tod!
« Antwort #1 am: Juni 26, 2020, 13:07:05 »
Hi Erich,


es freut mich dich zu einem Gedicht inspiriert zu haben. Ausnehmend gut gefällt mir die erste Strophe. Besonders die Zeile "Mit jedem Abend wirst du angeschauter," hat mich begeistert.
Mit der zweiten Strophe habe ich meine Schwierigkeiten. Aber ich denke, das liegt einfach an meiner anderes gearteten philosophischen Grundgestimmtheit.
Zitat
so gehen Stufe wir hinab um Stufe
zur größten Breite, die in allen wacht.
Es ershließt sich mir nicht, zu welcher "Breite" wir hinabsteigen. Da stehe ich einfach auf der Leitung.
Kann es sein, dass es in S2Z4 heißen muss "und wie wir uns dem Ende stellen sollen"?
Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Erich Kykal

Re: Lieber Tod!
« Antwort #2 am: Juni 26, 2020, 15:34:03 »
Hi AL!

Danke für den Hinweis auf den Tippfehler, wurde umgehend korrigiert.

Die Stelle mit der "größten Breite in uns" soll besagen: Dort, wo wir am stärksten sind, im Fundament unseres Bewusstseins, ganz tief in uns drin, an den Wurzeln unseres Wesens. Mit unserem "Wachsen, das nach innen größer macht" ist unser geistiges/moralisches Reifen gemeint, das uns befähigt, immer weiter in uns zu gehen, quasi hinabzusteigen, um uns selbst zu erforschen und an der "größten Breite" selbst zu begegnen, am Ort, wo wir uns nicht mehr selbst belügen können, wo wir zutiefst bei uns sind.

Den Komparativ "angeschauter" las ich selbst nur einmal: Bei Rilke, in einem seiner religiösen Werke. Eine kleine Hommage an ihn, ihn selbst zu verwenden.

Vielen Dank für deine freundlich wohlwollenden Zeilen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

stephanus mall

Re: Lieber Tod!
« Antwort #3 am: Juni 28, 2020, 15:40:19 »
Tja Erich,
ist natürlich wieder eine geschliffenes Gedichtchen
wie man es von Dir gewöhnt ist, nur eben der Inhalt
der natürlich vollkommen richtig ist, aber den man
lieber eher verdrängt.
Mit trüberen Gedanken kokoettiere ich ja auch mal ganz
gern, vor allem wenn das Wetter nicht ganz so positiv
wirkt wie man es sich wünschen würde, aber den Tod
versuche ich weniger zu besingen. Wir müssen ihn
akzeptieren aber zunächst noch ein wenig wegschieben ;).
Gern gelesen.
LG stm

Erich Kykal

Re: Lieber Tod!
« Antwort #4 am: Juni 28, 2020, 21:59:38 »
Hi Malle! (Ich hoffe, das stört dich nicht, es tippt sich viel leichter!  ;))

Vielen Dank für die lobenden Worte. Bei mir findest du meistens irgendwelche Schwergewichtslyrik zu oft unangenehmen Themen, bin eben ein schwermütiger, nachdenklicher Mensch, extrem selbstreflexiv und auch sonst alles hinterfragend. Das mag mich Leser kosten, (manchmal sogar Freunde und ganze Lyrikforen) aber so bin ich nun mal.
Ich bohre mit meinen lyrischen Finger in den Wunden dieser Welt, damit ich nicht alleine bluten muss, wenn ich mir wie so oft mal wieder den eigenen Schorf mit selbstkritischen Werken aufgekratzt habe ...  ;) >:D ::)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Lieber Tod!
« Antwort #5 am: Juli 02, 2020, 20:10:32 »
ein perfekt geformtes Werk, lieber Erich, das mit der Akzeptanz des Todes an sich auch eine Ode auf das Leben ist. Dem Tod ins Auge zu blicken, sei es durch schwere Krankheit, die man selbst hat oder geliebte Menschen oder Tiere, lässt uns reifen, wachsen. Auch, wenn wir es gar nicht vermuten. Zudem macht es bescheiden.
Wunderbare, wenn auch  stellenweise schmerzende Zeilen. Eine Reimform, die mich sehr anspricht.
LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Lieber Tod!
« Antwort #6 am: Juli 03, 2020, 01:34:23 »
Hi Agneta!

Das Thema schmerzt wohl einen jeden auf die eine oder andere Weise - aber da müssen wir eben alle durch, ob wir wollen oder nicht, sei es, was schmerzliche Verluste betrifft, oder sei es das eigene erbarmungslose Verwelken. Du hast es schön beschrieben, vielen Dank dafür.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

hans beislschmidt

Re: Lieber Tod!
« Antwort #7 am: Juli 03, 2020, 08:20:59 »
Sehr schöne und bewegende Zeilen, Erich, wenn ich auch ein bißchen Widerstand vermisse in deiner Schicksalsergebenheit. Kein Ärger? Kein Verzagen? Keine Anklage? - ... so als wärest du mit der handschriftlichen Quittung des Tandlers zufrieden?
Gruß vom Hans
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Erich Kykal

Re: Lieber Tod!
« Antwort #8 am: Juli 03, 2020, 13:02:07 »
Hi Hans!

Anders als manche begeisterte Fans meines Werkes halte ich mein Leben für keine besondere Leistung, messe ihm keine besondere Bedeutung bei. Also ja: Ich bin zufrieden mit der handschriftlichen Quittung des Tandlers.  8) Ich bin sogar dankbar, wenn ich überhaupt einen finde, der nimmt, was ich anzubieten habe ...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.