Autor Thema: Gedichte Archiv Beisl 22  (Gelesen 11585 mal)

hans beislschmidt

Re: Gedichte Archiv Beisl 22
« Antwort #45 am: Januar 21, 2023, 23:20:19 »
Vormittag

Es ist nicht nur der Ausdruck des Gesichts,
der dich so fragend sieht und flüchtig zeigt
wie er über Kinn und rote Wangen steigt,
bis dein Augenaufschlag schwimmt ins Nichts.

Es ist der Atemzug, der dich umringt,
wie ein Corset, das langsam niederfällt,
so leicht entschwebt und mich In Händen hält,
wie ein Zweifel, der fragend mich durchdringt.

Du lässt los und hälst mich doch gefangen,
die Sehnsuchtskrone, die so weit verzweigt
erlöst die Scham auf deinen Wangen.

Ich bin ein Sehender, der Fragen hört,
du bist die Sprechende, die für mich schweigt
und liebst den Vormittag, der mich betört.

■■■■■


Lotterie

Wenn aller Anfang war ein Urknall,
sind wir kaum mehr als Lotterie -
die Overtüre oder Nachhall
der Götterfunken-Melodie.

Es macht sich jeder doch was vor,
wenn er an Zukunftspläne denkt
und seinen Jugendtraum verlor,
durch brave Schuldigkeit verdrängt.

Du bringst beim Kreuzen deiner Klingen
so manches Menschenopfer dar,
es lässt sich keine Burg bezwingen,

die stets von Vorbehalt gesperrt
und 0auch die Lügen werden wahr,
wenn sie ans Tageslicht gezerrt.
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

hans beislschmidt

Re: Gedichte Archiv Beisl 22
« Antwort #46 am: Februar 05, 2023, 17:10:20 »
Wie läuft's denn so?

Ich sah dich stets nur steif gefroren
und später eckig auf dem Tisch,
gebacken, grätenlos, verloren,
sag du mir jetzt, wo lebt der Fisch?

Nur einmal möchte ich ihn sehen
im blauen Meer und lebensfroh,
ich möcht' ihn fragen und verstehen:
Kein Kopf, kein Schwanz, wie läuft's denn so?



Bin nur ein Flegel

Ich bedau're nichts, bin nur ein Flegel,
der seinen Hut nicht zieht und nicht versteht.
Ich setze lieber Berlichingens Segel,
bin außen vor, auch wenn der Wind sich dreht.

Ich halt' schon gar nicht meine Backe hin
und irgendeinen Tod muss man ja sterben,
bin nur geschnitzt im Schaft der Kerben,
weil ich der Unverbesserliche bin.

Wie die Fluchenden der Welt entschwinden,
so plätschern auch die Braven durch die Zeit
und werden keine heile Welt erfinden.

Ich bin zwar nur ein Flegel, doch bereit -
es wird die Liebe uns nur dann verbinden,
wenn wir als Staubkorn uns vom Staub befreit.
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

hans beislschmidt

Re: Gedichte Archiv Beisl 22
« Antwort #47 am: Februar 05, 2023, 17:11:45 »
Zebras Streifen

Ein Zebra ging am Straßenrand
und wollte auf die andre Seite,
bis Zebra diese Streifen fand,
zog sich das endlos in die Breite.


Doch endlich kam der Zebrastreifen
und Zebra dachte, oh wie schön,
dann quietschten plötzlich Autoreifen,
da war's um Zebra schon geschehn.

"Herr Richter", sprach der Fahrer verzweifelt vor Gericht,
"ein Zebra sieht man leicht – doch hier tat ich es nicht ..."


Borstenvieh

Ein Wildschwein ist ein borstig' Vieh
und seine Hauer sind gefährlich.
Es bürstet seine Borsten nie,
auch Wasser, Seife sind entbehrlich.

Ein Wildschwein steht von Fall zu Fall
im Wald viel lieber als im Stall
und sperrt man's doch ins Schweinehaus,
lässt Wildschwein schnell die Sau heraus.
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

hans beislschmidt

Re: Gedichte Archiv Beisl 22
« Antwort #48 am: Februar 19, 2023, 18:34:54 »
Dackelkacke

Schreibt ein Kritikus vernichtend
und ein Streitgespräch nicht schlichtend,
gibt's 'ne Ladung Dackelkacke
auf die Journalistenbacke.

Der Künstler hat sich zwar gerächt,
hat dafür aber lang geblecht.
.
Gedichte Hans Beislschmidt 02.2022

Balletchef Goeke ist kein Einzelfall.
Kritiker wurden auch schon erschossen.

https://www.ndr.de/kultur/buehne/Ex-Ballettchef-Marco-Goecke-Hundekot-Attacke-geschah-im-Affekt,goecke114.html

So schlecht fand ich die Kritik gar nicht.

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/wiebke-huesters-theaterkritik-ueber-marco-goeckes-neues-stueck-18669800.html

■■■

Buchfink und Bücher

Der Buchfink ist mit Büchner nicht verwandt,
in Büchereien hätt' er sicher Nöte,
auch hat er Reich Ranicki nicht gekannt
und schon gar nicht Schiller oder Goethe.

Der Buchfink liebt nun mal die Buchen,
auch Eichendorf gehört nicht zum Resort.
Man hört den Buchfink selten fluchen,
jedoch beim Schmierfink kommt das eher vor.

Auf Büchermessen ist er nie gewesen,
der Buchfink kann vermutlich gar nicht lesen.


"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

hans beislschmidt

Re: Gedichte Archiv Beisl 22
« Antwort #49 am: Februar 27, 2023, 09:46:37 »
Der Niemandsmensch

Du dienst dem Pack zur Stilisierung!
Es wird das Gamma-Reich entstehen,
verpackt als Bildungszelebrierung,
wenn morgen raue Winde wehen.

Bald werden wieder Bücher brennen,
als wollten sie den Untergang begrüßen
und wenn die Woken sich verrennen,
tritt man das alte Recht mit Füßen.

Geopfert mit vemeintlich großen Zielen -
wir kennen das aus der Vergangenheit,
wenn Zwerge mit Kanonen spielen,
bleibt keine Lüge kompromissbereit.

Du spürst doch ganz genau wie dich dein Blindsein schleift,
wie lange dauert's, bis ein Niemandsmensch begreift?
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

hans beislschmidt

Re: Gedichte Archiv Beisl 22
« Antwort #50 am: M?RZ 27, 2023, 08:50:32 »
Platzwart

als Platzwart geht er auf und ab
entlang der weißen Linien
die Trillerpfeife im Anschlag
wacht er über schnittiges Grün
und spricht Platzverweise aus
vom Vorstand geduldet
ein nützlicher Idiot
mit Baseballmütze

rübergemacht

zu gern verließ ich meinen Posten
und machte rüber in den Osten
hier ist's so abgezockt und durchgewokt
wo Bessermensch olivgeblümt
die schöne neue Welt bedient
na denn - auf geht's nach Halle
wer will den schon nach Malle


Schwallheinz

Der Popanz blökt nur Zwischenrufe
und Anstandsregeln sind ihm fremd.
"Versteh nur Bahnhof" ist die Stufe,
wie man den Schwallheinz gleich erkennt.

Walle, Walle, Gift und Galle,
seht nur her der Einfaltspinsel
greift gar zu Eigenlob im Falle
von allzu dürftigem Gewinsel.

Häme treibt die Schreiberfratze
wie Kackestreifen - fehl am Platze.


Karibik 

auf Cuba leben
er denkt sogar in orange
schon seit zehn Jahren


Der Plapperstorch

Er steht auf einem roten Bein
und Frosch ist seine Lieblingsspeise,
steckt hie und da den Schnabel rein,
doch in der Regel schwätzt er "Gülle".

Es geht von ihm nichts Gutes aus,
weil ihm der Geifer ständig tropft,
er lässt zu gern die Sau heraus,
bis einer ihm den Schnabel stopft.

Dann geht er "nix wie wech" stolzieren,
man sollt ihn einfach ignorieren.
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

hans beislschmidt

Re: Gedichte Archiv Beisl 22
« Antwort #51 am: M?RZ 29, 2023, 08:52:10 »
Operation fatigue

Mit Wärmepumpen und Verbrenneraus
Holt die Ökodiktatur zum Tiefschlag aus
Wer nicht investiert fliegt aus dem Haus

Wer nicht produziert fällt nur zur Last
Wer nur opponiert ist schnell verhasst
So werden die Senioren zum Ballast

Du sagst dass höh're Mächte sind im Spiel
Doch Krieg und Inflation hat nur ein Ziel
Das Geld muss fließen - so läuft der Deal

Die Menschen fügen sich fatigue drein
Und keiner stellt den Mächtigen ein Bein
Man sitzt daheim und zieht sich Kekse rein
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

hans beislschmidt

Re: Gedichte Archiv Beisl 22
« Antwort #52 am: April 06, 2023, 13:13:32 »
Flötenklänge konjunktivisch

Wer da schwömme durchs Krötenreich
dem säße im Anus die Flöte
und sänge er gar für den Wiesenlaich,
es küsset ihn mancherlei Kröte.

Ach höbe er an im Flatusverein
mit bläsernder Kraft in die Röhre,
verschlösse alsbald viele Löchelein,
er brächte Melodeien zu Gehöre.

Wie weiland vergäße man Karajan,
und Sinfonien hinieden im Graben,
mitnichten die Klänge von Blödian,
die nur sinnfrei kalfakt'rische Gaben.
.
Der Konjunktiv wird vielfach unterschätzt,
dabei lassen sich viele lustige Texte kreieren.
Wir kennen alle die Arschgeige aber die Arschflöte?
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

hans beislschmidt

Re: Gedichte Archiv Beisl 22
« Antwort #53 am: Juni 23, 2023, 11:58:24 »
Was haben wir ihnen nicht alles gegeben
Gute Worte, Geld und Unterstützung
Dazu noch Marder,  Leos und Haubitzen
Ok, ein großer Teil wurde vertickt
Die Mafia will ja auch leben
Schwarzmarkt ist nun mal so

Jetzt ist der Westen doch geschockt
Denn die Russen Panzer sind zwar alt
Aber reichen für den Stellungskampf
Hat sich nix verändert seit Verdun
Also einbuddeln und Stellung halten
Wer flieht wird erschossen

Und nun?

"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

hans beislschmidt

Re: Gedichte Archiv Beisl 22
« Antwort #54 am: Juni 23, 2023, 12:02:24 »
Rammelstein

Shelby fährt ganz stolz zu Rammelstein
und kommt umsonst beim backstage rein.
Bei wilder Party mit der Crew,
dröhnt sich alles erst mal zu.

Am nächsten Morgen folgt der Schrecken,
an Arm und Bein nur blaue Flecken.
Was ist in der Nacht passiert? --
fragt sich Shelby ganz schockiert.

Gestern  Nacht ist ihr der Film gerissen
und jetzt geht's ihr ganz beschissen.
Da lief doch irgendeine Schweinerei!
Hilfe, Hilfe, Polizei.
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

hans beislschmidt

Re: Gedichte Archiv Beisl 22
« Antwort #55 am: Juni 25, 2023, 14:56:55 »
Am Fluss

ich sitze gemütlich am Fluss
heute waren es zwei oder drei
kühles Wasser ümspült meinem Fuß
die Leichen der Feinde treiben vorbei
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

hans beislschmidt

Re: Gedichte Archiv Beisl 22
« Antwort #56 am: August 06, 2023, 12:18:01 »
Geh ohne Zorn

Wir brechen auf zum letzten Gang.
Mit Wasser füllen sich die Spuren.
Der Anfang ist am Ende Zwang
und Wellen brechen die Konturen.

Ich lasse Stück um Stück mich fallen.
Von Kleiderlast bin ich nun frei.
Wozu noch länger fest sich krallen?
Zu spät für falsche Heuchelei.

Mein Schmuck ist nunmehr bloße Haut.
Mein Wanderstab ist nur aus Holz.
Der Weg erscheint mir altvertraut.
Wie schnell verschwindet früh'rer Stolz.

Den Schluss musst du alleine gehen.
Wir sind den Weg bis hier gekommen.
Er hat uns beide her gebracht.

Dort drüben wirst du aufgenommen.
Sei ohne Zorn, geh' unbedacht.
Die Spuren wird die Zeit verwehen.
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

hans beislschmidt

Re: Gedichte Archiv Beisl 22
« Antwort #57 am: September 09, 2023, 17:22:42 »
Profiteure

Die Blöden schuften unterm Steuerjoch,
wenn geile Profiteure unbemerkt
vergraben uns im schwarzen Schuldenloch.
Bei Korkenknallen, durch Gewinn bestärkt,

verzocken sie den letzten Rest vom Land.
Bedienen sich der lausig, linken Schar
von Helfershelfern, die längst ausgebrannt
und für das Land nur selten Stütze war.

Die Kannibalen reiben sich die Hände
und teilen fies die Knochen unter sich.
Die Blöden mit der Augenblende
zahln die Kosten und bemerkens nich.
.
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

hans beislschmidt

Re: Gedichte Archiv Beisl 22
« Antwort #58 am: November 08, 2023, 16:07:32 »
Stunden und Tage         

Ich hab' sie oft schon verstreichen lassen,
die wertvollen Stunden und Tage,
als könnt' ich sie mehrfach verprassen
und sie wären nur endlose Plage.

Wer hat Zeit jemals wiedergewonnen?
Wir verspielten naives Vertrauen,
denn beim Spaß ist sie stetig zerronnen,
anstelle was Großes zu bauen.

An diesen leichten und nutzlosen Tagen,
wurden die Zeiger der Uhr nur zerschlagen..
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

hans beislschmidt

Re: Gedichte Archiv Beisl 22
« Antwort #59 am: November 10, 2023, 15:31:09 »
Besserwisser

Wenn er durch faule Nächte geistert,
fühlt er ein Mindersein, das ständig glüht,
doch niemals brennt - nur Tage meistert.

Wie ein Monolith, der übersäuert,
sich selbst ins Formalin hinunterzieht
und Taten hundertfach beteuert.

Wenn ein Besserwisser ständig frisst -
das Los von zügellosem Raffen -
er seinen Makel allzu schnell vergisst.

Deshalb er niemals Sättigung erfährt
in seiner Kammer voller Waffen,
doch sind sie alle das Papier nicht wert.
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)