Autor Thema: Geschichtsunterricht  (Gelesen 298 mal)

Erich Kykal

Geschichtsunterricht
« am: August 16, 2022, 11:10:01 »
Weltgeschichte, bitte sehr:
Wir, gerechten Zorns, umnachten
uns mit jedem Völkerschlachten
immer nur ein bisschen mehr.

Weltgeschichte, bitte schön:
Wir entrechten die Besiegten,
weil wir nie genug noch kriegten
unter herrischem Getön.

Weltgeschichte, bitte sehr:
Wir zerschlagen das Erreichte
voller Inbrunst für das Leichte,
doch es hinterlässt uns leer.

Weltgeschichte, bitte gleich:
Wir verteilen die Gewinne
einzig nur in unserm Sinne,
nur die Gier macht alle reich.

Weltgeschichte, bitte sehr:
Wir verbergen uns in Worten
und entriegeln alle Pforten
ohne Maß und Gegenwehr.
« Letzte Änderung: August 29, 2022, 11:39:46 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Geschichtsunterricht
« Antwort #1 am: August 29, 2022, 05:27:05 »
Hallo Erich,

"nur die Gier macht alle reich." ist ein schöner Aphorismus.

Der Schluss will mich nicht überzeugen: Gegenwehr gibt es. Mir ist schleierhaft, warum du das ausklammerst. So lenkt das Gedicht ab. Man beginnt über jene nachzudenken, die sich wehren.

Bei Aphorismen ist das ähnlich: Wenn man etwas behauptet und dabei sagt: Immer oder alle oder nie. Dann fragt sich der Leser: Kann das sein? Und er fängt an, über die Ausnahmen nachzudenken.

Aus der Weltgeschichte habe ich gelernt, dass sie sich wiederholt. Hat immerhin den Vorteil, dass man weiß, was die Zukunft bringt und wie die Menschen enden werden.

Dir einen schönen Tag!

Rocco
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Geschichtsunterricht
« Antwort #2 am: August 29, 2022, 11:50:45 »
Hi Roc!

Natürlich gibt es Gegenwehr - würde jemand sonst soche Gedichte schreiben oder auch nur zu lesen wagen?

Du verkennst hier die dramatische Notwendigkeit für die Dynamik eines lyrischen Werkes mit Belehrungscharakter. Wie eindringlich wäre wohl die Botschaft, wenn ich noch ein paar Strophen unter dem Motto "Aber wir tun eh was!" anfügen würde? Wäre wohl nicht sonderlich aufrüttelnd oder zum Nachdenken anregend, wenn der Leser sich in einem "Ist eh soweit alles okay!" suhlen könnte, oder?
Nachdem der Durchschnittsbürger ohnehin bestenfalls erst dann den Arsch hochkriegt, wenn es 5 NACH Zwölfe ist, kann so ein Mahngedicht gar nicht polarisierend genug sein.

Zudem bleibt einzuwenden, dass es sehr darauf ankommt, WO in der Welt man gerade "eh was tut", weil man es überhaupt darf, ohne in Folterkeller verschleppt oder gleich hingerichtet zu werden! Mein Werk ist also immer irgendwo in der Welt gerade goldrichtig so - und so lang das so ist, bleibt der Text, wie er ist.  ;)

Vielen Dank für deinen Kommi!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.