Das Problem ist die Radikalisierung an sich.
Seit Jahren beschleicht mich das Gefühl, dass der Ton zwischen Menschen, Gruppen und Nationen immer ein wenig härter wird, ein Stück weit weniger vergebungswillig oder von dem Bemühen um Einsicht getragen. Man fühlt sich eher gern pauschal angegriffen, am besten gleich von ganzen Kulturen und Völkerscharen, oder plitischen Einstellungen.
Wisst ihr noch, wann es zuletzt so war in Europa? Ja, richtig, immer vor den großen Weltkriegen! Da hetzte ein Kaiser gegen die Briten und Franzosen, Anarchisten gegen Adelshäuser, Arbeiter gegen ausbeuterische Unternehmer und Unternehmer gegen revolutionäres Gesindel!
Und ein paar Jahrzehnte später hetzte ein Herr Hitler erfolgreich gegen die jüdische Weltverschwörung, den Bolschewismus und degenerierte Demokratien. Die Kommunisten hetzten gegen die Kapitalisten und Bürgerlichen, und jene gegen die rote Gefahr!
Alles suchte sich ein Feindbild, möglichst pauschal zum bequem drauf Eindreschen. Keiner wollte mehr hören, dass das ja auch Menschen waren! Die Folgen sind bekannt: Rassedünkel, Fanatiker, Diktatur, Terror, Gewaltherrschaft, Besetzung, Verfolgung, Massenmord, Genozid, Weltkrieg. (Und sicher nicht nur bei den Deutschen - Stalin hat sogar mehr Menschen auf dem Gewissen, was befohlene Morde angeht, als Hitler. Der größte aller Massenmörder, rein nach Zahlen, war aber Mao in China - wer hätt's gewusst?)
Man kann eine Meinung haben und sie vertreten, keine Frage. Ich beispielsweise bin kein Freund von Religionen, und den Islam empfinde ich als besonders restriktiv, widersinnig und demütigend für jeden frei denkenden Menschen. (Interessantes Detail: Als das Christentum in loderndem Glauben an die Gottgewolltheit ihres Handelns in grausame Kreuzzüge zog, war der Islam entgegengesetzt dazu die wesentlich tolerantere und friedfertigere Religion - das ändert sich heute ...)
Der entscheidende Faktor ist: Die Radikalisierung.
Zitat aus Krieg der Sterne: "Der Sith ist fanatisch. Er kennt nur Extreme. Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn. In seiner Welt gibt es nur Schwarz oder Weiß."
Das trifft für alle zu, die man gemeinhin als grausam und wahnhaft kennt, oder als "große Führer" - je nachdem, wer letztendlich gewonnen hat ...
Ob ein fanatischer Terrormuslim, der glaubt, sein Gott will den Tod aller Ungläubigen, oder ob der (nicht immer nur muslimische) Mann, der allein aufgrund seines Geschlechtes das Recht zu haben glaubt, seine und alle Frauen wie Dreck behandeln, verprügeln, verstümmeln, wie Vieh verkaufen oder sogar ermorden zu dürfen, ob der giftspeiende Hassprediger, der immer auf der Suche nach leicht manipulierbaren Gemütern ist, denen er Bombengürtel umschnallen kann - oder ob der Neonazi, der sich in all seiner proletarischen Bildungsferne als rassisch überlegen sehen will, weil er sonst weder Talente oder Geistesgaben hat, mit denen er beeindrucken oder etwas erreichen könnte, ob der rechtskonservative Demagoge, der in Provinzbierzelten auf Seelenfang geht für seine Mär von der "Wohltemperierten Grausamkeit", oder ob ein Dichter, der in jedem Forum, das er besucht, früher oder später seine Brandgedichte postet, weil er glaubt, nur so zu den "Guten" zu gehören (denn er ist ja überzeugt davon, dass das, was er tut, berechtigt ist und positive Früchte tragen sollte) ...
- letztendlich unterscheiden sie sich im Grad ihrer Verstiegenheit, darin, wie weit sie gehen würden, um ihre Sicht zu verwirklichen, aber eins vereint sie alle in unterschiedlichem Ausmaß: Die Radikalisierung.
Sie verhindert, dass sie objektiv Gesamtbilder evaluieren (wollen), Einzelschicksale noch wahrnehmen (wollen), sie sehen sich als aufrichtige Mahner, pauschalisieren und verdammen aber wieder ganze Gruppen, Kulturen, Völkerscharen - wie damals. Sie sind für einfache, radikale Lösungen, die rasch und endgültig funktionieren - denn so wollen sie die Welt haben: Einfach, überschau- und vor allem berechen- und kontrollierbar.
Angst essen Seele auf, machen hart und kalt.
Es gibt sie sicher, und es gibt sie überall: Die Wahnsinnigen, die Eiskalten, die Machtbesessenen, die Soziopathen, die Hetzer, Verführer, Kontrollmonster und Sadisten! Und weil immer mehr Menschen ihr Spiel zu spielen bereit sind, gewinnen sie an Boden und Gehör. Wieder einmal. Die Waage neigt sich erneut zur anderen Seite. Ich fühle eine neue Dunkelheit heranwachsen, und sie trägt viele Namen.
Hüte dich, Jedi.
LG, eKy