Autor Thema: Zweierlei Gewebe  (Gelesen 583 mal)

Eleonore

  • Gast
Zweierlei Gewebe
« am: August 24, 2020, 12:52:13 »
Das Gedicht "Bin ich" von Dir, Alte Lyrikerin, hat mich an dieses von mir erinnert:

Zweierlei Gewebe

Sie halten ein Netz
das sie sozial nennen
Sie tun es aus Verpflichtung
nicht aus Lust, Freude oder Verwandtschaftsgefühl.

Ihre Gesichter sind freudlos
ihr Ton barsch
ihr Teint müde
und die Mimik entgleist

Sich in das Netz zu legen
kommt teuer zu stehen:
wirklich gelassen wird man dort nie.

Eine, die aussieht wie John Wayne
geht vor mir auf der Straße;
sie wiegt etwa dreißig Kilo zuwenig
und trägt die Aktenordner
in denen sie das Schicksal von Menschenleben verwaltet
wie Pistolen.

Ihre Häkchen wird sie ordentlich setzen
und nach Sachlage entscheiden
um sich
das Neueste Cowboy-Outfit zu leisten
und den Flug nach Nebraska.

Direkt zu ihren Füssen
weben die andern ihr Netz:
Die Ameisen, die Hummeln, Schmetterlinge, Spatzen
und Bienen.
Es riecht nach reifen Erdbeeren
und
nach Tomate mit Basilikum

Ein Ankommen ist nur dort :
Die Maschen sind filigran
und silbrig-schimmernd.
Mensch darf dort ruhen
solange er es braucht.
Dort zu ruhen
ist die pure Lust
und Angst ein Fremdwort.

Zahlen und Figuren
haben dort keine Gewalt
« Letzte Änderung: August 24, 2020, 12:53:50 von Eleonore »

Sufnus

Re: Zweierlei Gewebe
« Antwort #1 am: August 24, 2020, 14:58:13 »
Hi Eleonore!
Schöne und reiche Zeilen sind das! Du spannst ja hier einen unglaublichen Bogen von John Wayne (der in Gedichten bis dato eher wenig repräsentiert sein dürfte) bis Novalis ("wenn nicht mehr Zahlen und Figuren... ")...
... und Gedichte mit kulinarischen Anklägen mag ich sowieso ganz besonders! :)
Gerne gelesen! :)
S.

AlteLyrikerin

Re: Zweierlei Gewebe
« Antwort #2 am: August 24, 2020, 18:48:10 »
Liebe Eleonore,


gefällt mir sehr gut, Deine bildreiche Schilderung eines gut angepassten Menschen. Besonders gut gefällt mir das Bild von den Aktenordnern, die wie Pistolen getragen werden.


Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Eleonore

  • Gast
Re: Zweierlei Gewebe
« Antwort #3 am: August 24, 2020, 19:13:41 »
John Wayne , der in Gedichten bis dato eher wenig repräsentiert sein dürfte
Ich wollte ihm mit diesem Gedicht ein Monument setzen  >:D . Ne - Spaß  :D .

Ich weiß auch nicht, was ich da mit dem John Wayne hatte -- zu der Zeit, als dieses Gedicht entstand, sind öfter mal Cowboys und GenossenInnen in meinen Gedichten. Fällt mir jetzt grad erst auf.
Aber im Zusammenhang mit dem Kommentar von Dir, Alte Lyrikerin, der ja die Pistolen als Aktenordner bzw. umgekehrt so gut gefallen,
ergibt es Sinn.

Das sind diese sozialen VerwalterInnen, die Schicksale verwalten - hier im Bereich der beruflichen Rehabilitation -
und mit einem Häkchen ganze Lebenwege in andere Richtungen "schicken" können. Aggressv und hart ist das - oft - (jedenfalls zu den Zeiten, als ich noch id Branche tätig war - glaube allerdings, dass sich das eher zum noch Extremeren geändert hat, wenn ich mir die HartzVier Verordnungen anschaue).

Danke für Dein "reich", lieber Sufnus - das nehme ich mal als Kompliment. Eine Assoziationskette, der ich langgehangelt bin und bei einem meiner Lieblingsgedichte von Novalis gelandet :-).
Ja, die Geschmacksnerven auch mal mit bedenken bzw. bedichten ist gut - sie kommen poetisch eh eher zu kurz.

Hi liebe Alte Lyrikerin -
und Danke auch für Dein Gefallen. Ja, die verlängerten Arme der Arbeitsagenturen und Jobcenter sind oft gut angepasste Menschen. Was bin ich froh, dass ich aus der Branche gegangen bin!

lG Eleonore


Agneta

  • Gast
Re: Zweierlei Gewebe
« Antwort #4 am: August 26, 2020, 09:22:06 »
John Wayne kämpfte allerdings in seinen Filmen immer um das Gute. Er war quasi der Robin Hood. Als solches wird die Aktenordnerträgerin sicherlich nicht gesehen werden.
Manche nutzen ihre Stellung aus, wenn Bedürftige ihren Anspruch einlösen wollen. Ich habe das bei meiner Tochter gesehen, die mal Wohngeld beantragt hat. Ein Theater! Manche aber sind einfach nur überfodert in dem Spagat von sehr vielen echtenh Bedürftigen, Betrügern, und den Gesetzen, die Spielraum lassen. Ein heikless Thema, liebe Eleonore.
LG von Agneta