Lieber mall!

Dieses schöne Gedicht von Dir ist ganz unverdientermaßen durch die Kommentierungsmaschen gerutscht... Du schilderst ein wohl vierhunderttausendfach (wenn das reicht) sich tagtäglich abspielendes Ritual... der Pendler verabschiedet sich sehr früh morgens - die Sonne ist gerade erst aufgegangen - von seiner Partnerin, um dann erst am späten Abend heimzukehren. Abschied und Heimkehr bilden also den mondbeschienenen Rahmen in S1 und S4, die Zugfahrt zur Arbeitsstätte und zurück bilden die mittleren Strophen, die Arbeit selbst wird nicht geschildert, scheint in ihrer öden Routine nicht der dichterischen Rede wert zu sein.
Was für eine Allerweltsszenerie also, die aber in stupendem Kontrast in der sehr artifiziellen Sprache "klassischer" Lyrik geschildert wird und die - in Form des allabendlichen Blumengrußes - mit einem überaus anrührenden Symbol der beiderseitigen Liebesvertrautheit schließt.
Das Metrum ist einigermaßen frei gehalten und die Reime geben sich auch eher diskret. Die Sprache ist aber insgesamt gehoben und insbesondere die Inversionen, die in S1 besonders auffällig sind, verweisen auf das lyrische Sprechen vergangener Epochen.
Ich persönlich hätte vielleicht eine um eine Nuance modernere Sprache bevorzugt, aber der - oben ja von mir angesprochene - Kontrast zwischen Alltagsszene und sprachlichem Duktus ist offenkundig das poetische "Programm" dieser Zeilen, die mich sehr berühren.
Ob das Gedicht wohl autobiographisch angehaucht ist? Um der immerwiederkehrenden öden Zugfahrten willen mag ich es kaum hoffen, um der innigen Beziehung zur Freundin und Frau darf man es der Stimme des Gedichts (ob nun nur lyrisches Ich oder auch Autor) gerne gönnen.

In der Hoffnung auf dann & wann erneuerten Genuss Deiner Werke liebe Grüße vom S.
