Autor Thema: Hinkende Tierchen  (Gelesen 664 mal)

AlteLyrikerin

Hinkende Tierchen
« am: August 05, 2020, 13:53:56 »
Wenn klingende, springende Silben sich fügen
zur Wirklichkeit, die überm Alltagsgrau schwebt,
dann wissen nur Kritiker doch noch zu rügen,
weil irgendein Versbeinchen taktlos sich hebt.

Gewiss hilft die Strenge dem hinkenden Tierchen,
sein Ziel zu erreichen gemessenen Schritts.
Doch mir helfen fortan nur ein bis zwei Bierchen.
Dem Gleichschritt der Tierchen fehlt einfach der Witz.

Erich Kykal

Re: Hinkende Tierchen
« Antwort #1 am: August 05, 2020, 14:03:49 »
Hi AL!

Da ich ein Verfechter klarer und sauberer Metrik bin, könnte ich hier wohl pikiert reagieren und die obigen Zeilen als Seitenhieb auf mich und meine Art des Kommentierens interpretieren. Mach ich aber nicht.  ;)

Erstens spiel ich nicht gern beleidigte Leberwurst, und zweitens kann dein Werk durchaus jemand anders meinen, oder allzu regulativ abgewürgte Lyrik im Allgemeinen.

Gut geschrieben - nix zu "rügen" also - und gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

hans beislschmidt

Re: Hinkende Tierchen
« Antwort #2 am: August 06, 2020, 09:21:44 »
Liebe AlteLyrikerin,
welch ein Genuss diese Zeilen zu lesen.
Nicht, dass ich den metrischen Verdienst von dem geschätzten Erich schmälern möchte aber auch ich hatte schon öfters den Eindruck, dass gefällige Wortsubstitutionen oder tantchenhafte Füllsel wie "ach" und "oh" dem Werk nur eine vermeintliche Glätte verleihen, denn diese Begradigungen haben manchmal aus einem prägnanten, ins Auge stechenden Werk eine eintönige Wortdrehorgel gemacht, die man nach dem Lesen sofort wieder vergisst, weil sie den Leser nur über das Auge und nicht über den Geist erreichen. Im Grunde hat Erich schon Recht aber auch Musiker haben das erkannt.

Zitat
Mein Kollege Fritz Maldener (RIP) hat mir das mal daheim in seinem Studio erklärt, als er dabei war ein Jazzstück zu komponieren. Man kann am Computer sehr viel machen und ganze Sequenzen in der Tonart verändern, nur hat der Computer einen Fehler ... er macht keine Fehler und das spürt der Mensch. Schau mal hier zum Beispiel und er deutete mit dem Finger auf den Monitor und spielte danach diesen Set auf dem Piano. Klingt doch gut oder? Aber ich habe einen kleinen Fehler eingebaut. Dann spielte er die Sequenz noch mal mit der winzigen Veränderung. Ich konnte als Nichtmusiker keinen Unterschied erkennen. Fritz sagte dann, dass das auch nicht wichtig ist, denn das macht das Unterbewußtsein automatisch. Wichtig ist die Authentizität, die der Mensch wahrnimmt.

Mit der Lyrik ist es ähnlich, denn auch hier gibt es diese Prosodiewahrnehmung, was natürlich nicht heißen soll, dass man in Büttenredenmodus verfallen sollte.
Die Metapher mit dem hinkenden Tierchen ist deshalb so wunderbar.
Gruß vom Hans
.
++++++
Fritz Maldener
https://youtu.be/mo6w-Wjb06c


« Letzte Änderung: August 06, 2020, 09:33:58 von hans beislschmidt »
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Agneta

  • Gast
Re: Hinkende Tierchen
« Antwort #3 am: August 06, 2020, 22:43:12 »
ein nettes und humoriges hinkendes Tierchen, AL. Das wunderbar gleichmäßig läuft. Witzigerweise widerspricht es sich damit selbst, denn es wirkt ja nur deshalb so galant, weil die Metrik stimmt.
 >:D ;D
Ich persönlich habe mir im Gegensatz zu Erich abgewöhnt, Autoren zu belehren, wenn ihre Beinchen hinken, da die Erklärungen selbiger oftmals fantasievoller und blimenreicher sind als ihre Gedichte. Auch Fachausdrücke werden gerne bemüht wie Hebungsprall, Akzentuierung oder gar Amphibrachis. Ich finde das amusant.
Soll doch jeder schreiben wie er will.
Wie ich immer gerne sage: jeder blamiert sich so gut wie er kann ;D ;D ;D
LG von Agneta

AlteLyrikerin

Re: Hinkende Tierchen
« Antwort #4 am: August 12, 2020, 13:39:26 »
Hi Erich,
ich bin froh, dass Du Dir den Schuh nicht angezogen hast, denn er war wirklich nicht für Dich gemacht. Es geht mir darum, die Lyrik nicht festlegen zu lassen auf ein Stilmittel, das sich zwar Jahrhunderte lang bewährt hat, und von vielen Meistern in faszinierender Weise eingesetzt wurde, aber dennoch nicht für  quasi ewige Zeiten festzuschreiben vermag, wie Lyrik zu sein hat.
Dass ich hier die Metrik sehr beachtet habe, ist der ironischen Wirkung geschuldet und dem Versuch zu zeigen, dass es nicht an mangelndem Können liegt, wenn ich auf eine strenge Metrik meist verzichte.


Liebe Agneta,
herzlichen Dank für Deine Freundlichkeit zu meinem hinkenden Tierchen. Ja, diesmal durfte es nicht hinken, damit niemand sagen kann, es führe sich nur so tölpelhaft auf, weil es nicht anders könne.


Lieber Hans,
es freut mich, dass Dir die 8 Zeilen "Genuss" bereitet haben. Mir geht es darum, dass auch die Lyrik, wie alle Künste, nicht auf "Rezepte" festgelegt werden darf. Am Beispiel der Musik hast Du das schön beschrieben.


Herzliche Grüße Euch allen AlteLyrikerin.