Autor Thema: Die Dornenhose  (Gelesen 510 mal)

Erich Kykal

Die Dornenhose
« am: M?RZ 06, 2021, 11:02:34 »
Ich trage jeden Tag mein Büßerkleid,
und es erregt in meinen Kreisen Neid:
Dem Flagellanten, dessen Schrauben lose,
steht hoch der Sinn nach meiner Dornenhose!

Die Spitzen stehn im ganzen Schritt nach innen,
um Einkehr und Enthaltung zu gewinnen,
denn jede Regung tut entsetzlich weh,
wenn ich Begehrenswertes vor mir seh.

Und gar ihm nachzulaufen ist unmöglich -
der Schmerz wird nachgerade unerträglich!
So bleib ich rein, muss ich auch dafür bluten:
Ich wär der Welt nicht anders zuzumuten.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

AlteLyrikerin

Re: Die Dornenhose
« Antwort #1 am: M?RZ 06, 2021, 14:31:33 »
Hallo Erich,

pflegte ich die moderne Sprachlosigkeit der jungen Leute, dann wäre mein Kommentar wohl "voll krass".
Ich frage mich, warum das LyrIch der Welt ohne die krankhafte Geißelung seiner selbst nicht zuzumuten wäre.
Eine solche Haltung passt eher in die geistige Welt des christlichen Mittelalters als in unsere Zeit (Gott sei Dank  ;D).
Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Erich Kykal

Re: Die Dornenhose
« Antwort #2 am: M?RZ 06, 2021, 17:40:42 »
Hi AL!

Selbstkasteiung, -geißelung, -verstümmelung ist ein unleugbarer Teil der menschlichen Natur. Teenager "ritzen" sich, nur um sich noch irgendwie zu spüren, sich der eignen Lebendigkeit zu versichern, oder weil sie Opfer und Ausgelieferte waren oder sind, und der selbstinduzierte Schmerz - so verdreht es sich anhört - ihnen einen Hauch eigener Kontrolle über ihren Lebensbereich suggeriert.

Trauma, Schuldbeladenheit, Masochismus, Traditionsritual (Kulturerbe), Erlangen einer Trance, religiöse Verzückung, Lust - und viele Gründe mehr treiben den Menschen dazu, sich selbst Schmerz zuzufügen, als gefeiertes Opfer woran auch immer, oder zur Bestrafung oder Buße zur Linderung der eigenen Gewissensbisse.

Meist als Wegezoll oder Leitungskanal hin zur Erringung von Transzendenz oder innerer Reinheit. Welch süße Illusion ...

Die Erfindungen dazu sind vielfältig, und sowas wie die oben beschriebene Dornenhose stünde da nicht weiter besonders hervor.


Hier nähere ich mich der Thematik mal eher von der ironischen Seite, aber die Ernsthaftigkeit jener, die ihr Sein nicht anders bewältigen als durch solche Selbstverletzung, dringt natürlich jederzeit durch.

Ich dachte beim Schreiben der obigen Zeilen an einen von kleinauf erzkatholisch indoktrinierten Mann, zur Reinheit der Seele geprügelt von wahnhaft bibeltreuen "Eltern", für die jeder Widerspruch, ja selbst die "Sünde des Onan" bereits eine absolute Unerträglichkeit darstellte, die drakonisch bestraft werden musste. Für so einen Menschen muss jede natürliche Regung des Körpers bereits unerträgliche Gewissensqual verursachen, und er wird alles tun, um gottgefällig leben zu können, wenn er nie die Kraft findet, sich aus der seelenvergewaltigenden Weltsicht seiner Erziehungsberechtigten zu lösen.

Solche Menschen tragen "Büßergürtel", "Büßerschuhe", geißeln sich für jeden "unreinen Gedanken", als fänden sie im Schmerz Erlösung, und nicht nur Betäubung für eine kleine Weile.

Viele aber, die derlei tun, kommen ganz von sich aus zu solchen Handlungen, siehe SM-Sex oder zwanghafte masochistische Vorstellungen aller Art bis sogar dahin, sich selbst Stück für Stück zu skelettieren oder von jemandem bei lebendigem Leib und Bewusstsein aufgegessen zu werden.

LG, eKy

« Letzte Änderung: Juni 30, 2021, 13:11:29 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

hans beislschmidt

Re: Die Dornenhose
« Antwort #3 am: M?RZ 07, 2021, 19:45:48 »
Mein lieber Erich,
nichts gibt es, was es nicht gibt und wer Hanibal Lecter gesehen hat und das mit Secretary verquirllt, hat einen schönen Ausflug durch die verschwitzte Psyche gemacht aber in deinem Fall wandelt er doch wohl eher auf Niño de Guevaras Pfaden und erfährt das Schaudern einer gescheiterten Psyche.
So soll es sein.  Mir kommt jedenfalls nix Spitzes in Pimmelnähe ... hehe ...
Mit unglaublichen Staunen gelesen. Ich brauch jetzt nen Obstler. Schönen Sonntag und Gruß vom Hans
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Erich Kykal

Re: Die Dornenhose
« Antwort #4 am: M?RZ 07, 2021, 20:04:13 »
Hi Hans!

Da du nicht zutiefst Schuld empfindest und dich auch keinem strafenden Gott verantwortlich wähnst, der alles sieht und jedes noch so kleine Vergehen, selbst nur im Geiste begangen, akribisch wie drakonisch bestraft, wären solche Selbstzüchtigungsgeräte auch nicht für dich geeignet.

Wenn man obigen Satz liest, fragt man sich unwillkürlich, wer überhaupt an so einen Gott glauben will ...  ::) Aber die Menschheit hat eben mit objektiver Gewichtung von Wahrscheinlichkeit und Logik und verifizierender Gedankenleistung insgesamt immer noch reichlich wenig zu tun ...  :o ::)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.