Autor Thema: Teufelchen - Ein Märchen  (Gelesen 938 mal)

Aspasia

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Teufelchen - Ein Märchen
« am: September 05, 2014, 22:26:23 »
Das Dorf

Es war einmal ein kleiner, unerfahrener Teufelsjunge, der in einem unbewachten Augenblick, als seine Eltern gerade ein Schwefelbad nahmen, diesen entwischte und von Abenteuerlust getrieben auf der Höllenleiter nach oben stieg.

Am Ende des Schachtes angekommen, drückte er vorsichtig das Verschlußgitter auf, lugte ins Freie und schnüffelte die ungewohnte, kühle Abendluft. Er befand sich am Rande eines Dorfplatzes, der zu dieser fortgeschrittenen Stunde nahezu menschenleer war. Unter einer Kastanie saßen zwei alte Männer, die noch ein letztes Pfeifchen rauchten, ohne von ihrer Umgebung Notiz zu nehmen, und so faßte er Mut und sprang flink wie ein Äffchen aus seinem Versteck.

Er verharrte im Schutz der Häuserschatten und sah sich aufmerksam um. Die Händler hatten ihre Läden Schlag acht geschlossen, und die Fenster der Wohnungen waren mit Licht verhangen, hinter dem sich die Konturen der Bewohner hin und her bewegten, die das Abendessen auftischten und die Bettstatt für die Nacht aufschlugen. Er hörte, wie die beiden Alten ihre Pfeifen ausklopften und sich ebenfalls auf den Weg nach Hause machten.

In der nächtlichen Ruhe des Dorfplatzes schlich der Teufelsjunge zu einem schwach erleuchteten Fenster und warf einen Blick in das Zimmer. Es war ein Schlafgemach, klein und spärlich möbliert. Auf dem Nachttisch brannte eine Kerze, in deren Schein eine junge Frau auf dem Bettrand saß und mit dem Fuß eine Kinderwiege wippte. In der Hand hielt sie einen geöffneten Brief, und sie weinte bitterlich. Der Teufelsjunge erschrak, denn er hatte noch nie Augen gesehen, aus denen eine Flüssigkeit trat, und dazu in solch reinen Tropfen.

Er huschte von Haus zu Haus, bis er vor einer hohen, reich verzierten Holztür stand. Sie war der Seiteneingang zum größten Gebäude des Dorfes, an dem alle hiesigen Bürger ein Eigentumsrecht besaßen. An seiner Stirnseite ragte ein Turm empor, zu dessem Fuß sich der wuchtige Haupteingang befand und in dessem Haupt ein Arrangement an Glocken verschiedener Größen hing. "Das muß eine Kirche sein," dachte der Teufelsjunge, der seine Eltern von diesen satansfeindlichen Einrichtungen oft hatte sprechen hören, aber nie eine rechte Vorstellung hatte, um was genau es sich dabei handelte.

Die Tür war ihm nicht geheuer, und einen Augenblick lang dachte er daran, schnell wieder in seinen Schacht zu flüchten. Aber nicht nur bei Menschen, auch bei Teufeln ist der freie Wille eine umstrittene Angelegenheit. Und so ertappte sich der Teufelsjunge dabei, sachte den Türgriff zu erproben. War es Glück oder Unglück? Die Tür war nicht verschlossen, und er trat ein.

Der Raum war noch kühler als die Nachtluft draußen, und er verwandelte sich in ein fröstelndes Tier, das in der Hitze einer Sandwüste aufgewachsen war, sich jetzt aber auf dem Eise Finnlands ausgesetzt sah. Langsam schritt er die Gänge ab und betrachtete sich die Gemälde an den Wänden. Am meisten störten ihn die Madonnenbilder. Er fand, daß ihre Gesichter etwas Falsches hatten. "Ihr Blick ist so ergeben verklärt und dämlich,"dachte er.

Plötzlich stand er vor einem steinernen Becken, das mit einer Platte aus Metall bedeckt war. Neugierig schob er sie zur Seite und gewahrte eine Flüssigkeit, die er so klar nur in den Tränen des Mädchens im Schlafgemach gesehen hatte. Da war keine Ahnlichkeit mit der braunen, stinkenden Brühe, die er aus der Unterwelt kannte. Er tunkte einen Finger hinein und kostete behutsam. Es fühlte sich weich an, ohne das gewohnte Brennen auf der Zunge. Und es schmeckte.

Er formte die Hände, schöpfte und trank, schöpfte und trank, nochmal und nochmal. Es ging ihm gut.

Dann schlug die Turmuhr. Eine halbe Stunde war vergangen! Er eilte zum Ausgang, lief geduckt über den Dorfplatz, schlüpfte auf und davon und kam unentdeckt in seinem Jugendzimmer an.

Seine Eltern tummelten sich noch immer im Schwefelbad, dessen Gestank sie inspirierte, weitere kleine Teufelchen zu zeugen. Und so konnten sie nicht ahnen, welch wundersame Wandlung sich in ihrem Söhnchen alsbald vollziehen sollte.

Die Unterwelt

Wochen vergingen. Eines Morgens unterbrach Mutter Teufel die Planungen ihres Mannes, wo im nächsten Halbjahr die böse Saat, die er zu streuen gedachte, wohl am besten aufgehen könnte.

"Ich mache mir Sorgen," begann sie.

"So, worüber?" brummelte er, ohne von der Weltkarte aufzublicken.

"Über den Bub. Mit dem stimmt etwas nicht."

Jetzt blickte Vater Teufel auf. "Ist mir auch schon aufgefallen. Ihm sollten allmählich Hörner wachsen, zumindest die Knospen müßten in seinem Alter erkennbar sein."

"Das ist ja nicht alles," seufzte Mutter Teufel. "Er verhält sich so merkwürdig. Wenn ich ihm Braunbrühe zu trinken gebe, wird ihm schlecht und er bricht sie aus, ich habe seinetwegen schon den halben Weinkeller leergemacht. Und wenn wir uns eine Komödie anschauen, kann er gar nicht mehr lachen."

"Genauer?"

"Da war der Film, in dem zwei Soldaten wegen angeblicher Fahnenflucht exekutiert werden, und er hat angewidert weggesehen, als ihnen die Leiber mit Gewehrkugeln zerfetzt wurden. Und bei dem Agentenfilm, in dem Sean Connery in einen Hinterhalt gelockt und von einem Maschinengewehr durchsiebt wird, ist er trotz des schönen vielen Blutes in Tränen ausgebrochen. Das ist doch nicht normal!"

"Sehr bedenklich, Frau, das muß ich bestätigen." Vater Teufel faltete die Weltkarte zu¬sammen und stand auf. "Ich werde ein Auge darauf haben und die Sache notfalls seiner satanischen Hoheit vortragen, nur fur für den Fall, daß es sich um eine unbekannte Krankheit handelt, die vielleicht epidemisch ist. Das sind wir unserer Art  schuldig."

Die Verbannung

Nun stand der Teufelsjunge unter Verdacht. Zwar kannte niemand sein Geheimnis, aber er war anders als die anderen, und das war sein Verhängnis.

Über den Teufelsjungen wurde von höchster Stelle die Verbannung ausgesprochen. Seine Eltern mußten sich dem Urteil beugen, aber sie waren nicht sonderlich traurig, da ihnen eine Last genommen wurde. Sie schnürten ihm ein Bündel und geleiteten ihn nach oben in die Menschenwelt. Er ließ sich willig führen, um nicht zu verraten, wie vertraut ihm die Höllenleiter war.

Als das Gitter geöffnet wurde und er Abschied nehmen mußte von seinen Eltern, zerriß es ihm das Herz. Er weinte bitterlich und irritierte seine Mutter so sehr, daß sie als erste den Fuß nach unten setzte, um in ihre Welt zurückzukehren.

Sein Vater blieb gefaßt. "Sohn, ich hoffe, du schlägst dich durch. Sollten dir die Hörner doch noch wachsen, komm zurück."

Damit entließ er ihn auf den Dorfplatz und schloß das Gitter.

Der Wald

Da stand der verlassene Teufelsjunge in einer vertrauten Umgebung, in der er aber keine Freunde hatte und wo er nicht bleiben durfte. Der Morgen kündigte sich an, und bald würde das Dorf erwachen. Er fing an zu laufen, denn die Menschen würden ihn erschlagen, wenn sie ihn entdeckten, als wäre er ein tolles Tier. Irgendwo hinter sich hörte er einen Hund bellen – einen großen Hund, von der Stimmlage her zu urteilen. Und so forderte er seinen Beinen ab, was herzugeben sie bereit waren, bis er über den Rand des Dorfes hinausgelangt war. Dort, in einer Wiese, gönnte er sich eine Pause.

Als die Morgensonne ihre ersten Stahlen sendete, brach er zum Wald auf. Hier fühlte er sich sicher. Er betrachtete die Bäume, betastete das feuchte Moos, freute sich an dem Gesang der Vögel und sah fasziniert dem Treiben der Insekten zu.

Bis er Töne vernahm, die ihm nicht irdisch dünkten. Er ging ihnen nach und gelangte zu einer Lichtung. Dort lag im Schatten eines Baums ein sonderbares Wesen, das ihn an seinen Vater erinnerte, denn es hatte Bocksfüßte und trug Hörner. Mit geschlossenen Augen genoß es sein Spiel auf der Schalmei.

Er trat zu ihm und tippte ihm auf die Schulter. "Deine Melodie gefällt mir. Wer bist du?"

Das Wesen öffnete die Augen. "Ich bin ein Faun. Und was bist du?"

"Ich bin ein Teufel."

"Aha, und ausgerechnet dir gefällt meine Musik? Was hast du überhaupt hier zu suchen?"

Da erzählte ihm der Teufelsjunge seine Geschichte, die immer wieder unterbrochen wurde von dem meckernden Lachen des Fauns.

Als die Geschichte zu Ende war, nahm der Faun das Teufelchen an die Hand und sprach: "Komm mit, ich habe mir schon immer einen Sohn gewünscht. Vergiß die Höllenbrut, die dich gezeugt hat. Ich werde dir die Genüsse des Lebens zeigen."

Und dann schickte er noch einmal sein meckerndes Lachen gen Himmel: "Du da oben hast es faustdick hinter den Ohren. Dir sind die Engel ausgegangen, und jetzt läßt du kleine Teufel fallen!"
« Letzte Änderung: September 05, 2014, 22:29:52 von Aspasia »

cyparis

Re:Teufelchen - Ein Märchen
« Antwort #1 am: September 09, 2014, 20:46:01 »
Einfach wun - der - schööön!

Hier sehe ich einmal mehr, wie delikat Sprache sein kann, wenn ein Erzähler sie gekont beherrscht und als das behandelt, was sie ist:
Eine Kostbarkeit.


Ich bin hingerissen, liebe Aspasia!



Cyparis
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