Autor Thema: Die afrikanische Schwanzraupe  (Gelesen 2070 mal)

Ingo Baumgartner

Die afrikanische Schwanzraupe
« am: November 06, 2010, 16:10:36 »

Ich mochte so an die sieben Jahre gewesen sein, als ich bei einem meiner Streifzüge rund um das Dorf auf den Blättern einer Kartoffelstaude ein Tier entdeckte, das sich jeder systematischen Zuordnung, zu der ich damals fähig war, entzog. Fast erschreckte sein Aussehen, obwohl seine nackte Haut an Farbenpracht kaum zu überbieten war – und es hatte etwas, was mich augenblicklich fesselte und ein Blitzgewitter in meinen Synapsen (damals hätte ich das anders formuliert) auslöste. Der offensichtlich sehr elastische, in allen Dimensionen veränderbare kurzschlangenförmige Nachtschattengewächsnager (wiederum im Modus gewisser Umständlichkeit der Erwachsenen) hatte einen Schwanz.

Bald konnte ich mich mit dem Gedanken anfreunden, dass es sich um eine Raupe handeln musste, um eine Riesenraupe allerdings - und eine geschwänzte noch dazu. Zu diesem Zeitpunkt war aber auch mein Plan schon fix und fertig. Der Fund musste ausgeschlachtet werden, finanziellen Ertrag bringen. Wie, wusste ich auch schon. Wer exotische Tiere ausstellen will – in einer Menagerie etwa, musste zuerst einmal einen entsprechenden Käfig zur Verfügung haben – an Freianlagen dachte damals noch niemand. Vor allem hatte ich das Tier als Art zu benennen. Ich war mir vollkommen sicher, dass es sich nur um eine „afrikanische Schwanzraupe“ handeln konnte und das stand dann auch kurz darauf in Großbuchstaben auf der Außenseite des Schuhkartons, der zugleich Käfig, Schauraum und Auslauf war.

Innerhalb weniger Stunden konnte man an Scheunen, Stalltüren und Hausmauern Plakate bestaunen, die für einen Eintrittspreis von fünf Groschen ein unvergleichliches  Erlebnis, nämlich die Besichtigung eines extrem seltenen Exemplars der afrikanischen Schwanzraupe versprachen.

Und die Leute kamen, nicht übermäßig viele, neben Vater und Mutter waren es vier Nachbarkinder, der Bauer, auf dessen Feld die Kuriosität gefunden wurde und eine Tante. Sie alle zahlten, in Summe 40 Groschen. Meine Schwestern warfen auch einen Blick auf die zugegeben ziemlich einseitige und klar umrissene Tierschau, zahlten aber nicht.

Ich war zufrieden, der Erlös erlaubte mir den Ankauf eines Linienspiegels (von dem ich glaubte, er wäre ein technisches Gerät mit optischen Komponenten) und von drei Stollwerk mit Zitronengeschmack.

Die Raupe wurde von meiner Mutter in Betreuung genommen. Als tierliebende Frau hatte sie den Buntwurm  bestimmt wieder auf dem Kartoffelacker ausgesetzt. So nehme ich an, dass mir der spätere Totenkopfschwärmer seine politisch unkorrekte Verwendung zu kommerziellen Zwecken verziehen hat.




Guenter Mehlhorn

Re:Die afrikanische Schwanzraupe
« Antwort #1 am: November 06, 2010, 16:40:04 »
Hallo Ingo.

Eine schöne Geschichte, aus der Zeit, da es noch so etwas gab.
Bei uns in Berlin gibt es keine Maikäfer, Mücken und nur ganz selten
mal einen Schmetterling zu sehen.
Nun weiß ich endlich, wie die Raupe eines Totenkopfschwärmers
aussieht.
Damal habe ich Schmetterlinge gefangen, erstochen und auf ein
Sperrholzbrett gepiekt.
So ein Totenkopfschwärmer wurde Opfer einer Fahrrad- Karbid- Lampe
und meine größte Trophäe.

Na ja, Schwamm drüber.

Gern gelesen.

Günter.
Reich ist, wer Zeit zum Vertrödeln hat.Mein 2. bis 22. Buch MENSCH MEIER könnt ihr kostenlos, auch als e-books, über meine eigene Homepage (siehe mein PROFIL) laden.Auf youtube 5 Videos unter: guentermehlhorn.
(GRAF von und zu KOKS von der GASANSTALT-BERLIN-BRANDENBURG-SACHSEN-POMMERN-SPITZBERGEN)

Ingo Baumgartner

Re:Die afrikanische Schwanzraupe
« Antwort #2 am: November 06, 2010, 17:26:52 »
Hallo Guenter!
Diese schönen Schwärmerraupen sind heute wohl nur mehr ganz ganz selten zu finden. Wie überhaupt die Natur durch den Einsatz von
Pestiziden, etc. auch auf dem Land Schritt für Schritt verarmt.
Danke fürs Lesen. LG Ingo

cyparis

Re:Die afrikanische Schwanzraupe
« Antwort #3 am: November 07, 2010, 19:55:32 »
Lieber Ingo,


welch drollige, vergangenheitsschwangere und wohlformulierte Geschichte!

Ich wähnte den Totenkopfschwärmer bei uns  n i c h t  heimisch, war aber jetzt zu träge, im Lexikon nachzusehen.

Hab Dank für den belehrenden und ergötzlichen Beitrag!

(Deine wahrhafte "Tierliebe" erinnert mich an Durell!).

Lieben Gruß
von
cyparis
« Letzte Änderung: Dezember 04, 2010, 17:19:13 von cyparis »
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Ingo Baumgartner

Re:Die afrikanische Schwanzraupe
« Antwort #4 am: Dezember 04, 2010, 11:54:01 »
Ja, cyparis, ich brauche unendlich lange zum Antworten. Kannst du mir sagen, ob es möglich ist, bei Antworten eine Benachrichtigung zu erhalten? Ich übersehe so viele. Danke LG Ingo

cyparis

Re:Die afrikanische Schwanzraupe
« Antwort #5 am: Dezember 04, 2010, 17:20:44 »
Lieber Ingo,

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Ganz lieben Gruß
von
cyparis
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