Autor Thema: Sonnenwind  (Gelesen 482 mal)

gummibaum

Sonnenwind
« am: Dezember 15, 2020, 02:48:09 »
Sonnenwind, ein Strom von Teilchen,
lässt Kometenschweife sehen,
nachts die Nordlichtfahnen wehen,     
zeigt sich mir darin ein Weilchen.

Sonnenwind in meinen Adern
lässt Kometen durch mich schweben,
Nordlicht mir die Himmel weben,
mich mit keiner Nacht mehr hadern…


Sufnus

Re: Sonnenwind
« Antwort #1 am: Dezember 15, 2020, 12:17:33 »
Hi gum!
Da hast Du formidabel den Sprung von der Naturbeobachtung zum eigenen Ich gewagt!
Ich habe diesen Vorgang - auf Benns Theorie des "Andichtens" verweisend - mal in einem Faden als Merkmal "altmodischer" Lyrik problematisiert ("Probleme der traditionellen Lyrik"). Du zeigst hier, wie es funktioniert! :)
Der Sprung vom Naturgegenstand zum eigenen Ich wird nicht als Plattform für platte Deutungen missbraucht, vielmehr bleibt das LI in S2 ganz bei seinem inneren Erleben. Auch wird keine 1:1-Gleichsetzung betrieben der Art: "So wie das Nordlicht nur Minutenlang leuchtet, so leuchtet auch meine Seele usw.", vielmehr werden Natur und Ich ganz bündig neben einander gestellt ohne interpretatorischen "Brückenbau", der das Gedicht einengen und auf eine Schmalspur-Lesart festlegen würde.
Das liest sich viel einfacher als es ist! Meisterhafte Verskunst wieder einmal, lieber gum! :)
Begeisterte Grüße!
S.

P.S.
Vor dem Hintergrund meiner obigen Poetolgie fällt mir gerade auf, dass es vielleicht noch etwas wirksamer wäre, aus S1 das LI ganz herauszuhalten und ihm dafür in S2 den großen Auftritt quasi ohne Anmoderation zu ermöglichen.
Vorschlag für Z4: Plasmaspiele für ein Weilchen.
Ist aber ein typisches Sufnuskinkerlitzchen.... :)

gummibaum

Re: Sonnenwind
« Antwort #2 am: Dezember 15, 2020, 21:20:53 »
Lieber Sufnus,

ich freue mich, dass dir mein kleines Gedicht gefällt und danke herzlich für deinen interessanten Kommentar. 

Alles Liebe von gummibaum


« Letzte Änderung: Dezember 16, 2020, 03:02:22 von gummibaum »

Sufnus

Re: Sonnenwind
« Antwort #3 am: Dezember 16, 2020, 10:51:50 »
Hi gum!
Sehr gerne doch! :)
Übrigens hattest Du, entweder hier in einer Vorversion Deiner Antwort oder irgendwo anders, wo ich es gerade nicht finden kann, auf mein wiederholtes zitieren von Benn hingewiesen :) und daraus ganz richtig auf eine Vorliebe meinerseits für diesen Dichter geschlossen. :)
Ich lese in der Tat seine Verse sehr gerne und auch seine theoretischen Überlegungen finde ich selbst in der aktuellen Zeit noch recht erhellend (wenn auch nicht mehr 100% übertragbar auf "heutiges" Schreiben).
Vom Werk-Standpunkt würde ich allerdings den Zeitgenossen Brecht noch vorziehen, er hat das, wie ich finde, abgerundetere Oeuvre hinterlassen. Aber gerade der fragmentarische (und manchmal, man muss es so sagen auch etwas hingestrudelte) Charakter von Benns Versen bietet besonders viel Anknüpfungspunkte zum "Weiterschreiben". Was soll man bei Brechts wunderbaren Balladen, den versauten Liebessonetten, seinen knapp gefassten Betrachtungen oder seiner kindlich-artistischen Lyrik noch "draufsetzen"? Das ist sehr abgeschlossen (und dadurch zwar "groß", aber auch etwas statisch).
Also die Reihe meiner meistbewunderten, deutschsprachigen Dichter liest sich: Goethe und dann - mit einigem Sicherheitsabstand - Brecht und Heine. Danach wird es dann schwierig und wechselt auch etwas mit den Jahreszeiten und dem augenblicklichen Interesseschwerpunkt. :)
LG!
S.
« Letzte Änderung: Dezember 16, 2020, 10:55:51 von Sufnus »

gummibaum

Re: Sonnenwind
« Antwort #4 am: Dezember 17, 2020, 08:22:55 »
Ja, lieber Sufnus,

ich hatte den Namen hier stehen, wollte dich dann aber nicht festlegen. Das wenige, was ich von Benn kenne, gefällt mir. Ich habe auf keinem Gebiet eine Favorienliste.

Liebe Grüße von gummibaum