Autor Thema: Der Mensch  (Gelesen 897 mal)

wolfmozart

Der Mensch
« am: August 03, 2019, 11:37:58 »
Der Mensch
Sich klammernd
An einen seidenen Faden
Des Name ist
Leben

Die Lust er gierig einsaugt
Und das Glück er himmlisch genießt

Doch ihm graut vor dem Leiden
Den Abgründen
Den tiefen

Doch noch mehr ihm graut
Vor dem Tod

Dem Leben ist Leiden gewiss
Doch dem Tod ist alles ungewiss

Der Mensch
Sich klammernd
An sehr dünnen Faden…

Erich Kykal

Re: Der Mensch
« Antwort #1 am: August 03, 2019, 11:44:43 »
Hi WM!

Moderne Lyrik ist nicht meine Baustelle, aber ein Rat: Inversionen (verdrehte Satzstellung) kommen weder in klassischer noch in zeitnaher Lyrik gut rüber! Ich markiere dir mal die Stellen:

Der Mensch
Sich klammernd

An einen seidenen Faden
Des Name ist
Leben

Die Lust er gierig einsaugt
Und das Glück er himmlisch genießt


Doch ihm graut vor dem Leiden
Den Abgründen
Den tiefen

Doch noch mehr ihm graut
Vor dem Tod

Dem Leben ist Leiden gewiss
Doch dem Tod ist alles ungewiss

Der Mensch
Sich klammernd

An sehr dünnen Faden…


Einiges könntest du mit Kommasetzung entschärfen, indem du Gliedsätze und attributive Einschübe kreierst, aber Einiges muss einfach umgestellt werden, um natürlich zu klingen. Hier  als Beispiel:

Der Mensch,
sich klammernd
an einen seidenen Faden,
genannt: Das Leben!

Die Lust saugt er gierig ein,
und das Glück genießt er himmlisch.

Doch ihm graut vor dem Leiden,
den Abgründen,
den tiefen ...

Doch noch mehr graut ihm
vor dem Tod!

Dem Leben ist Leiden gewiss,
doch im Tode ist alles ungewiss.

Der Mensch,
sich klammernd
an sehr dünnen Faden …


LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Der Mensch
« Antwort #2 am: August 03, 2019, 17:14:16 »
Hey WM!
Ich mag (auch) Versuche in moderner Lyrik! Und eKy's Korrekturen stellen m. E. eine deutliche Verbesserung des sehr interessanten Ausgangsmaterials dar.  :)
Einige Inversionen, wie "Die Lust er gierig einsaugt / Und das Glück er himmlisch genießt" klingen nach Yoda-Sprech und sind unfreiwillig komisch. Und auch die Bibelsprache wie in "Des Name ist Leben" wirkt etwas sehr gewollt. Weniger Schnörkel und sprachliche Verstiegenheiten kommen dem Endprodukt i. d. R. zugute. :)
Liebe Grüße,
S.

wolfmozart

Re: Der Mensch
« Antwort #3 am: August 10, 2019, 12:22:24 »
Hi Erich,

Dank dir für deine Bearbeitung meines Poems.

Dein 'Grade-Richten' meiner Inversionen trägt zur leichteren Lesbarkeit bei.
Die verdrehten Satzstellungen waren beabsichtigt, aber ich seh schon es kommt nicht so gut an.

Lassen wir beide Versionen stehen, für den Leser ein Gewinn da er vergleichen kann.

Dank auch dir Sufnus für deine Stellungnahme.

Lieben Gruß euch beiden

wolfmozart

Sufnus

Re: Der Mensch
« Antwort #4 am: August 13, 2019, 11:33:31 »
Dein 'Grade-Richten' meiner Inversionen trägt zur leichteren Lesbarkeit bei.
Die verdrehten Satzstellungen waren beabsichtigt, aber ich seh schon es kommt nicht so gut an.

Hi Wolf! :)
Mit verbesserter Lesbarkeit hat eKys Berichtigung der Inversionen m. E. nichts zu tun. Ein Gedicht darf ruhig auch mal schwer lesbar sein! Aber darum geht es hier nicht.
Eine Inversion macht für einen normalgeübten Leser einen Text nicht wirklich schwer lesbar aber sie ist eben ein auffälliger Regelverstoß und jedermann wird sich dann doch fragen, warum das wohl so formuliert ist. Wenn es dafür aber beim besten Willen keinen zwingenden formalen oder inhaltlichen Grund gibt, wirkt es im besten Fall verschroben, im schlimmsten Fall effekthascherisch.
Hinzu kommt noch, dass die Inversion beim gereimten Gedicht (wozu Deines ja nicht gehört) ein häufiges Anzeichen von Stümperei ist. Man muss schon ein Genie sein, um dichten zu dürfen "ich weiß nicht, was soll es bedeuten" anstelle von "ich weiß nicht, was es bedeuten soll". Beim Heine funktioniert das wunderbar, weil hier ein perfektes Sprachgefühl genau den richtigen Ton trifft. Der normalbegabte Dichter wird beim invertieren in der Regel gnadenlos abstürzen.
Liebe Grüße,
S.

wolfmozart

Re: Der Mensch
« Antwort #5 am: August 17, 2019, 12:13:24 »
Dank dir Sufnus für deine ausführliche Analyse.

Nur so lernt ma andere Standpunkte und Ansichten kennen.

Ich hab bei diesem Poem gutgemeinte Inversionen verwendet, und diese Ausführung passt auch für mich.
Aber ich lese mit Interesse  auch andere Auffassungen.

LG wolfmozart