Autor Thema: Alserkind vom Ammenhaus  (Gelesen 999 mal)

wolfmozart

Alserkind vom Ammenhaus
« am: Dezember 21, 2013, 15:02:11 »
Du langst in meine Gruft hinein
Alserkind vom Ammenhaus
Greifst zart nach meinen Äugelein
Und holst noch einmal sie heraus

Führst sie in einen Blätterwald
Von fahlem Glanz und Mondenschein
Wir schweben durch den Äther kalt
Und niemand lädt uns ein

Ich seh Dich an der Ecke stehn
Dein Flachs zerstrählt im Wind
Ich werde in die Wüste gehn
Wo keine Menschen sind.

Du bist in Land und bist in Stadt
Wohin ich seh: Dich überall
Vergessen, wer verloren hat
Verlorenheit im Hechsental

Erich Kykal

Re:Alserkind vom Ammenhaus
« Antwort #1 am: Dezember 21, 2013, 20:26:42 »
Hi, wm!

Bei Gedichten, vor allem den gereimten, gibt es einen Takt, den man halten sollte. Man zählt dazu die Anzahl der Heber in den Zeilen. Wichtig ist auch, ob man die Zeilen betont oder unbetont beginnt. (Dann gibt es noch betonte und unbetonte Zeilenenden, die sog. männlichen oder weiblichen Kadenzen, aber die sind nicht ganz so entscheidend)

In diesem Falle haben wir 4 Heber pro Zeile, unbetont beginnend:
Du LANgst in MEIne GrUFT hiNEIN

Schon die 2. Zeile beginnt aber betont, was den Rhythmus stört. Ich korrigiere die Rhythmusfehler mal in deinem Zitat:


Du langst in meine Gruft hinein,
O Alserkind vom Ammenhaus.
Greifst zart nach meinen Äugelein
Und holst noch einmal sie heraus.

Du führst sie in den Blätterwald
Von fahlem Glanz und Mondenschein.
Wir schweben durch den Äther kalt,
Und keine Seele lädt uns ein.

Ich seh Dich an der Ecke stehen,
Dein heller Flachs zerstrählt im Wind.
Ich werde in die Wüste gehen,
Wo keine bösen Menschen sind.



S2Z4 war um einen Heber zu kurz, ebenso S3Z2 und S3Z4.

Bei S2Z1 war das Betonungsschema des Einstiegs indifferent - normalerweise tendiert man dazu, das "Führst" zu betonen, und das wäre hier falsch. Daher die Korrektur, die den unbetonten Einstieg nun eindeutig macht.

S4 ist mE. so verquer konstruiert und so wirr formuliert - die würde ich schlicht streichen!

So wie es nun dasteht, liest es sich rund und rhythmisch einwandfrei. Qualitativ übrigens bereits Welten von deinen "frühen" Werken entfernt, wie ich betonen möchte - richtig gut sogar!

Inhaltlich allerdings stellen sich noch logische Fragen - wie zB man laut S3 "in die Wüste gehen" kann, wenn man schon "in der Gruft" liegt, wie S1 erklärt. Auf solche Details solltest du zukünftig deutlicher achten, denn sie werfen den Leser beim Verfolgen deines roten Fadens sozusagen "aus der Bahn".

Gern gelesen und beklugfummelt!

LG, eKy
« Letzte Änderung: Dezember 21, 2013, 20:31:25 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Alserkind vom Ammenhaus
« Antwort #2 am: Dezember 21, 2013, 21:33:11 »
Lieber Wolfmozart -

wir haben wahrlich mit Erich das große Los gezogen!
Was er an analytischem und lyriktechnischem Können und Wissen besitzt, läßt mich immer wieder frohlocken.

So auch hier bei Deinem Gedicht:
Er kann wunderbar klar und deutlich machen, wo es hapert und bringt gleich die Unterstützung dazu.

Dein Gedicht ist für mich sehr geheimnisvoll, magisch, fremd, anziehend.
So recht nach meinem Geschmack, wenn ich selbst am Sinistren lehne.

Ganz lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

wolfmozart

Re:Alserkind vom Ammenhaus
« Antwort #3 am: Dezember 28, 2013, 11:31:15 »
Hallo Erich,

Dank an dich dass du dich dieses kleinen Werkes von mir so detailliert angenommen hast.
Ich habs mir genau angesehen: Deine Verbesserungsvorschläge haben Hand und Fuß, sind lyrisch von Wert. –Ich weiß deine Bemühung zu schätzen!

Die Herausforderung beim Gedichte-Verbessern ist für mich diese: Lasse ich nachträgliche Veränderungen zur besseren Lesbarkeit / besserem Verständnis und besserem Takt zu – oder stehe ich zu der Ur-Version, wie ich sie aus Intuition / unbewußt niederschrieb?

Ich persönlich bin ein sehr konservativ/bewahrender Menschentyp und neige eher zur Bewahrung der UrVersionen.

Ich lasse einfach beide Ausführungen – die ursprüngliche und die verbesserte – gleichberechtigt nebeneinander stehen; möge sich der Leser durch Vergleich zusätzlich bereichert fühlen.

Ich würde mich freuen, wenn du auch in Zukunft hin und wieder Zeit fändest, eines meiner Werke zu  lesen bzw. zu kommentieren.

Mit lieben Grüßen an dich und auch an cyparis, den ich für seine wohlwollende Kritik schon so manchen Dank schulde.

wolfmozart

P.S.: Deine FASCHINGSROMANZE ist wahrlich erfrischend!