Autor Thema: Spaltung  (Gelesen 644 mal)

gummibaum

Spaltung
« am: Juni 04, 2025, 19:40:04 »
Der liebe Gott sieht alles, hieß es immer,
und wer nicht artig ist, den straft er bald,
er blickt durch jeden Vorhang tief ins Zimmer
und in der Kinderseele kleinsten Spalt.

Seit damals weilt ein Blick an meiner Seite,
es ist nicht Gott, es ist mein zweites Ich,
mit dem ich mich bei allem Tun begleite,
es richtet unerbittlich über mich.

Ich kann mich daher niemals frei entscheiden
und frage in Gedanken stets erst an,
um nicht an einem Peitschenhieb zu leiden, 
zu dem der Blick enttäuscht gerinnen kann.

Und immer, wenn ich zweifle am Gelingen
von Eigenem, so suche ich Kontakt,
damit er mir den Wink gibt, flott zu springen,   
und mich bei Schaudern an der Ehre packt.

So bleibe ich dem Wächter streng verbunden,
mein Leben weiterhin in seiner Hand.
Kein Mensch hat je zu seinem Weg gefunden,   
der nicht aus allerersten Ängsten fand…
« Letzte Änderung: Juni 07, 2025, 01:11:01 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Dopplung
« Antwort #1 am: Juni 05, 2025, 08:11:27 »
Hi Gum!

Vorletzte Strophe - wäre da ein 'MIT Schaudern' nicht leichter lesbar?

Der Titel 'Dopplung' bedeutet nicht Teilung in zwei unterschiedliche Dinge, sondern exakte Vervielfältigung, also das Erstellen einer Kopie des Ausgangsmaterials. Daher finde ich ihn für dieses Werk unzutreffend, wo es um eine Spaltung geht.

Ach ja, unsere Kindheitsängste. Meine Eltern haben mich zum Glück weder politisch noch religiös indoktriniert (bei letzterem waren sie leider nie konsequent, denn den Religionsunterricht in der Schule musste ich dennoch mitmachen, mit der ganze Klasse in die Kirche Beichten gehen usw., und getauft und gefirmt wurde ich auch), moralisch aber sehr wohl. Ein guter Beweis, dass das keine per se zusammenhängenden Dinge sind, wie manche Glaubensfreunde heute noch anzunehmen scheinen.

Meine eindrücklichsten frühkindlichen Ängste stammen aus Träumen: Gejagt zu werden und beim Rennen nicht von der Stelle zu kommen, zu fliegen und abzustürzen (dieser Traum war der erste, den ich aktiv zu beeinflussen lernte: Am Ende konnte ich mich jedes Mal knapp über dem Boden abfangen, so knapp, dass die Grasspitzen mich am Bauch kitzelten, wenn ich darüber flog.
Etwas später kam die Angst vor dem dazu, was unter meinem Bett war. Für mich bestand der Horror aus riesigen katzengroßen, aber zum Glück lichtscheuen Ameisen, die mich mit ihren Madibeln packen und unter das Bett zerren würden, um mich dort lebendig zu fressen, sobald ich im Dunkeln aufzustehen wagte.


Gern gelesen!

LG, eKy

Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Dopplung
« Antwort #2 am: Juni 07, 2025, 01:10:26 »
Lieber Erich,

"bei Schaudern" meint, wenn ich schaudere

Mir "Spaltung" hast du recht. Danke.

Schön von deinen Kindheitsängsten zu lesen.

LG g