Autor Thema: Erweiterter Suizid zu Graz  (Gelesen 1036 mal)

Erich Kykal

Erweiterter Suizid zu Graz
« am: Juni 10, 2025, 20:20:21 »
Ihr habt mich derb verspottet und verachtet,
habt mich gebrochen, weil ich anders war.
An eurem Ungeist ist mein Selbst verschmachtet
und wurde kleiner nur mit jedem Jahr.

Ertrunken bin ich in brutaler Kränkung,
gehäutet von dem Spott aus eurem Mund.
Jetzt komme ich zurück aus der Versenkung
und gehe nicht als einziger zugrund!

Egal, dass hier längst andere verweilen,
es ist der Ort, den ich vernichten will,
an dem ich sterbe, um mich selbst zu heilen,
ist nur das Kreischen in mir endlich still!


Geschrieben nach dem Amoklauf von Graz, von einem, der als junger Mensch selbst jahrelang von solch einer Schreckenstat geträumt hat, zumindest als heimliches Ventil für die unerträglichen höhnischen Kränkungen durch mehrere meiner damaligen Klassen'kameraden' – ein gemobbter, erniedrigter Sonderling (Sozial isoliertes und gehemmtes Einzelkind).
Ich kenne diesen Artur nicht, kann wie alle also nur über seine Gründe spekulieren und mutmaßen. Vielleicht war er ja auch gar kein Mobbingopfer, sondern einfach nur total bestusst und soziopathisch, wer weiß? Nachforschungen werden erweisen, was ihn trieb – oder auch nicht.
Nicht dass ich derlei je wirklich fertiggebracht hätte – aber wer nie jahrelang gemobbt wurde, wird niemals verstehen, was das mit einem macht, wie innerlich gedemütigt, zerstört, klein, verworfen und verloren man sich fühlt, einsam, isoliert und missverstanden. Wie alles verschlingend die Spirale von Hass und Selbstverachtung werden kann – bis man jeden objektiven Blick verliert.
Ich applaudiere solch einer Tat nicht (und versuche auch nicht das Leid der Toten, Verletzten und Angehörigen zu verhöhnen), zumal sie obendrein praktisch immer nur Unschuldige trifft (nicht dass andererseits die Schuldigen gleich den Tod dafür verdient hätten, bloß weil sie als Jugendliche Arschlöcher waren oder ihr Opfer selbstgerecht für eines gehalten haben …), ich konstatiere nur, dass ich das psychologische Drehmoment solch einer Tat aus eigener bitterer Erfahrung nachempfinden kann.
Dass es nicht nur die mangelnde Reife des Täters ist, die immer wieder zu derlei finalen Befreiungs- oder Rundumschlägen führt, sondern auch die mangelnde Reife und Empathie jener, die durch ihr grausames, höhnisches Mobbing, oft über Jahre hinweg, solche Täter überhaupt erst produziert haben.
Meine Erfahrung: Amokläufer sind per se nicht psychisch kranker oder 'böser' als andere Menschen – erst durch die Umstände ihrer fortgesetzten kränkenden Herabwürdigung während einer für das Selbstbewusstsein und die Selbstachtung überaus sensiblen Lebensphase werden sie dazu gemacht. Man bedenke: Wie allumfassend, alles durchdringend muss das empfundene Leid sein, wenn so ein Täter nicht einmal mehr das Leid wahrnehmen kann, das er anderen damit antut, dass er keinen Gedanken an Unschuldige verschwendet, weil seine finale Rachefantasie ihn bodenlos überwältigt?
Amokläufe machen nichts mehr gut. Wo ein Täter nur noch um sich schlagen will, um wenigstens einen Bruchteil des Erlittenen in die Welt zurückschleudern zu können, egal wen es trifft (oder um seinen Peinigern so – zumindest in seiner Vorstellung – ein lebenslanges schlechtes Gewissen dafür zu machen, dass sie ihn so gequält und damit zum Täter gemacht haben – dass sie erkennen müssen, dass es ihre Schuld ist, dass dies geschehen musste), versagen alle Versuche, derlei bewältigen zu wollen.
Es bleibt nur Trauer.
« Letzte Änderung: Juni 14, 2025, 11:23:50 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Erweiterter Suizid zu Graz
« Antwort #1 am: Juni 11, 2025, 11:50:34 »
Lieber Erich,
die Tat erschüttert und ich finde es mutig von dir, Verständnis für den Täter aufzubringen und ihn im Gedicht aus deiner Perspektive über sich sprechen zu lassen. Diese Perspektive könnte auch die seine gewesen sein.
Das Gedicht zeigt ihn als Opfer langer und perfider Quälerei durch die Mitschüler an der Schule. Hier sprichst du, wie deine angefügten Erklärungen zeigen, aus eigener Opfererfahrung. Das Nachwirken dieser Herabsetzungen hat sein Leben zerstört und er weiß sich keinen anderen Ausweg als den eigenen Tod und die Rache um jeden Preis.
Das Gedicht geht mit den anonymen Tätern ins Gericht, die diesen Mörder hervorbrachten. Es zeigt sensibel, was durch in der Seele eines jungen Menschen passiert, bis er durch Verzweiflung völlig gefühllos für das Leid anderer wird. Es geht nicht nur um Graz und Arthur A., sondern um alle ähnlichen Brutstätten seelischer Misshandlung.

Erschütternd geschrieben.
Bewegt gelesen.
LG g

(vor „Kreischen“ fehlt ein „das“)     
« Letzte Änderung: Juni 11, 2025, 12:29:56 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Erweiterter Suizid zu Graz
« Antwort #2 am: Juni 12, 2025, 02:57:19 »
Hi Gum!

Danke für den Tipp bezüglich der Schlamperei - meine Augen werden schlechter, und die Schrift in diesem Forum ist winzig. Sowas passiert mir immer öfter.

Wir wissen nicht, was wirklich hinter dieser Untat stand, aber ich mutmaßte eben aus meiner eindeutig gefärbten Perspektive - ohne Anspruch auf klinische Objektivität.

Meine Gedanken sind heute bei den Opfern, den Verletzten und den Hinterbliebenen. Erschütternd ist immer die Sinnlosigkeit solcher erweiterter Suizide.

Falls es Mobber waren, die den Täter praktisch innerlich zerstört haben, so tragen sie eine schwere Mitschuld an diesem Massaker. Ich finde, man sollte sie wegen seelischer Grausamkeit anklagen, sollte die Ermittlung ihre Identitäten aufdecken. Sie sollten Schmerzensgeld an die Überlebenden und die Familien der Opfer zahlen!

Danke für deine freundlichen Zeilen!

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juni 16, 2025, 12:26:51 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.