Autor Thema: Lieblingsdichter und Lieblingsgedichte  (Gelesen 24664 mal)

Seeräuber-Jenny

Re:Lieblingsdichter und Lieblingsgedichte
« Antwort #30 am: M?RZ 04, 2011, 23:37:53 »


Detlev von Liliencron

Trutz, Blanke Hans

Heut bin ich über Rungholt gefahren,
die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren.
Noch schlagen die Wellen da wild und empört,
wie damals, als sie die Marschen zerstört.
Die Maschine des Dampfers zitterte, stöhnte,
aus den Wassern rief es unheimlich und höhnte:
            Trutz, blanke Hans.

Von der Nordsee, der Mordsee, vom Festland geschieden,
liegen die friesischen Inseln im Frieden.
Und Zeugen weltenvernichtender Wut,
taucht Hallig auf Hallig aus fliehender Flut.
Die Möwe zankt schon auf wachsenden Watten,
der Seehund sonnt sich auf sandigen Platten.
            Trutz, blanke Hans.

Im Ozean, mitten, schläft bis zur Stunde
ein Ungeheuer, tief auf dem Grunde.
Sein Haupt ruht dicht vor Englands Strand,
die Schwanzflosse spielt bei Brasiliens Sand.
Es zieht, sechs Stunden, den Atem nach innen,
und treibt ihn, sechs Stunden, wieder von hinnen.
            Trutz, blanke Hans.

Doch einmal in jedem Jahrhundert entlassen
die Kiemen gewaltige Wassermassen.
Dann holt das Untier tiefer Atem ein
und peitscht die Wellen und schläft wieder ein.
Viel tausend Menschen im Nordland ertrinken,
viel reiche Länder und Städte versinken.
            Trutz, blanke Hans.

Rungholt ist reich und wird immer reicher,
kein Korn mehr faßt selbst der größte Speicher.
Wie zur Blütezeit im alten Rom
staut hier täglich der Menschenstrom.
Die Sänften tragen Syrer und Mohren,
mit Goldblech und Flitter in Nasen und Ohren.
            Trutz, blanke Hans.

Auf allen Märkten, auf allen Gassen
lärmende Leute, betrunkene Massen.
Sie ziehn am Abend hinaus auf den Deich:
»Wir trutzen dir, blanker Hans, Nordseeteich!«
Und wie sie drohend die Fäuste ballen,
zieht leis aus dem Schlamm der Krake die Krallen.
            Trutz, blanke Hans.

Die Wasser ebben, die Vögel ruhen,
der liebe Gott geht auf leisesten Schuhen.
Der Mond zieht am Himmel gelassen die Bahn,
belächelt der protzigen Rungholter Wahn.
Von Brasilien glänzt bis zu Norwegs Riffen
das Meer wie schlafender Stahl, der geschliffen.
            Trutz, blanke Hans.

Und überall Friede, im Meer, in den Landen.
Plötzlich wie Ruf eines Raubtiers in Banden:
Das Scheusal wälzte sich, atmete tief
und schloß die Augen wieder und schlief.
Und rauschende, schwarze, langmähnige Wogen
kommen wie rasende Rosse geflogen.
            Trutz, blanke Hans.

Ein einziger Schrei - die Stadt ist versunken,
und Hunderttausende sind ertrunken.
Wo gestern noch Lärm und lustiger Tisch,
schwamm andern Tags der stumme Fisch.
Heut bin ich über Rungholt gefahren,
die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren.
            Trutz, blanke Hans?

Vertont von Achim Reichel: http://www.youtube.com/watch?v=4i6TXKRx9A8
« Letzte Änderung: M?RZ 05, 2011, 20:11:10 von Seeräuber-Jenny »
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

Seeräuber-Jenny

Re:Lieblingsdichter und Lieblingsgedichte
« Antwort #31 am: M?RZ 15, 2011, 00:33:12 »


Georg Heym

Der Frühling

Er stirbt am Waldrand. Mit verhaltnem Laut
Klagt schon sein Schatten an des Hades Tor.
Der Kranz von Lattich, den sein Haupt verlor,
Fiel unter Disteln und das Schierlingskraut.

Den Pfeil im Hals, verschüttet er sein Blut,
Das schwarze Faunsblut, in den grünen Grund
Der abendlichen Halde aus dem Mund
Drauf schon der Tod, ein schwarzer Falter, ruht.

Der Himmel Thrakiens glänzt im Abend grün,
Ein Silberleuchter seinem Sterbeschrei,
Auf fernen Bergen, wo die Eichen glühn.

Tief unter ihm verblaßt die weite Bai,
Darüber hoch die weißen Wolken ziehn,
Und fern ein Purpursegel schwimmt vorbei.
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

Guenter Mehlhorn

Re:Lieblingsdichter und Lieblingsgedichte
« Antwort #32 am: M?RZ 15, 2011, 14:21:07 »
Nu ma äährlich.

Wozu ist denn dieses Faden gut?
Googlen kann doch jeder selbst!
Reich ist, wer Zeit zum Vertrödeln hat.Mein 2. bis 22. Buch MENSCH MEIER könnt ihr kostenlos, auch als e-books, über meine eigene Homepage (siehe mein PROFIL) laden.Auf youtube 5 Videos unter: guentermehlhorn.
(GRAF von und zu KOKS von der GASANSTALT-BERLIN-BRANDENBURG-SACHSEN-POMMERN-SPITZBERGEN)

Seeräuber-Jenny

Re:Lieblingsdichter und Lieblingsgedichte
« Antwort #33 am: M?RZ 15, 2011, 17:02:08 »
Naja, in einer Suchmaschine findet man ja nur etwas, was man sucht. Wer Georg Heym nicht kennt, hätte vermutlich nicht nach ihm gegoogelt.
Doch ich finde, er und andere Lieblingsdichter sind es wert, einem größeren Leserkreis vorgestellt zu werden. Deshalb dieser Faden.

Deiner Argumentation folgend dürfte es in anderen Foren auch keine Fäden "I'm currently listening"/"Was ich gerade höre" geben.
Doch habe ich dort schon Musik entdeckt, die ich noch nicht kannte und die mir überaus gut gefiel. Oder Songs, die ich kannte, aber schon lange nicht mehr gehört hatte.

Lieben Gruß
Jenny
« Letzte Änderung: M?RZ 15, 2011, 17:05:22 von Seeräuber-Jenny »
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

Guenter Mehlhorn

Re:Lieblingsdichter und Lieblingsgedichte
« Antwort #34 am: M?RZ 15, 2011, 19:14:06 »
Nu hab ick dia aber uffn Schlips jetreten, wa?
Currently in andre Foren?
Jeh ick nich!

Küsschen. Jünta.
Reich ist, wer Zeit zum Vertrödeln hat.Mein 2. bis 22. Buch MENSCH MEIER könnt ihr kostenlos, auch als e-books, über meine eigene Homepage (siehe mein PROFIL) laden.Auf youtube 5 Videos unter: guentermehlhorn.
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Seeräuber-Jenny

Re:Lieblingsdichter und Lieblingsgedichte
« Antwort #35 am: M?RZ 15, 2011, 19:25:55 »
Umso schlimmer, wenn man bedenkt, dass ich nur einen Schlips und sonst nichts trage...
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

cyparis

Re:Lieblingsdichter und Lieblingsgedichte
« Antwort #36 am: M?RZ 16, 2011, 10:05:52 »
Ich  l i e b e   diese Rubrik.
Mit einem Klick kann ich viele meiner Lieblingsdichter und Lieblingsgedichte aufrufen.
Und immer wieder hinzufügen.

Sonst müßte ich dauernd in meine ca 50 Gedichtbänden rumwühlen.

Also kein Gemähre, bitte, mein Liebster!

cyparis :)
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Guenter Mehlhorn

Re:Lieblingsdichter und Lieblingsgedichte
« Antwort #37 am: M?RZ 16, 2011, 15:31:22 »


Na, wenn eine Administratorin die andere nicht unterstützt,
zumal sie das ja erfunden haben, watn denn?

Jenausojut und mit der gleichen Bejründung könnt a ja ooch ne Rubrik:

MEINE LIEBSTEN ANGELPLÄTZE.
MEINE LIEBSTEN NACKTEN SCHAUSPIELER,
MEINE LIEBSTEN KIFFER,
MEINE BESTEN PUFFADRESSEN, (Bitte weitere Vorschlage!) u.s.w. uffmachen.

Ha, Hah, Hah, Grööööhl!!!

Denn is aba hier wat los!

Die PETRA mitn Schlips vorm Bauch,
Und die ANNE mit ne Fliege.
Der JÜNTA, der liebt sowat auch.
Ob ick LARIN dazu kriege?

Mann, kann ick mia beöln!!!
« Letzte Änderung: M?RZ 24, 2011, 22:41:51 von Seeräuber-Jenny »
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cyparis

Re:Lieblingsdichter und Lieblingsgedichte
« Antwort #38 am: M?RZ 23, 2011, 12:03:00 »
Mööönsch, Jünta!

Mach doch mal!
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
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cyparis

Re:Lieblingsdichter und Lieblingsgedichte
« Antwort #39 am: M?RZ 24, 2011, 18:15:54 »




Lebensweg



Ich bin durchs Leben auf dich zugegangen,
so fest und klar, wie übers grüne Land
die Taube flog, die lange eingefangen
und doch den Weg zur süßen Heimat fand.
 
Und denke ich an Sturm und Streit und Streben,
an meiner Jugend Wandern dort und hier,
so ist mir oft: Es war mein ganzes Leben
ein stiller, unbeirrter Weg zu dir.



 
Börries Freiherr von Münchhausen 1845-1931
 





Liebe Jenny!
Hab Dank für das Portrait!
« Letzte Änderung: M?RZ 25, 2011, 10:41:45 von cyparis »
Der Schönheit treu ergeben
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Seeräuber-Jenny

Re:Lieblingsdichter und Lieblingsgedichte
« Antwort #40 am: M?RZ 24, 2011, 22:18:21 »


Joachim Ringelnatz

Frühling

Die Bäume im Ofen lodern.
Die Vögel locken am Grill.
Die Sonnenschirme vermodern.
Im übrigen ist es still.

Es stecken die Spargel aus Dosen
die zarten Köpfchen hervor.
Bunt ranken sich künstliche Rosen
in Faschingsgirlanden empor.

Ein Etwas, wie Glockenklingen,
den Oberkellner bewegt,
mir tausend Eier zu bringen,
von Osterstören gelegt.

Ein süßer Duft von Havanna
verweht in ringelnder Spur,
ich fühle an meiner Susanna
erwachende neue Natur.

Es lohnt sich manchmal, zu lieben,
was kommt, nicht ist oder war.
Ein Frühlingsgedicht, geschrieben
im kältesten Februar.
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

Seeräuber-Jenny

Re:Lieblingsdichter und Lieblingsgedichte
« Antwort #41 am: April 04, 2011, 02:17:28 »


Martin Pohl

Das Dein-und-Mein-Lied

Dein Bauch ist ein voller Bauch,
meiner ist ein leerer.
Voller Bauch und leerer Bauch,
welcher Bauch ist schwerer?

Dein Schuh ist ein ganzer Schuh,
meiner ein entzweier.
Deiner einen Sechser kost',
meiner einen Dreier.

Dein Bett ist ein reines Bett,
meins ist ein beflecktes.
Du schläfst rein, ich schlafe raus,
freilich, beiden schmeckt es.

Dein Gott ist ein reicher Gott,
meiner ist ein armer.
Deiner ist ein Halsabschneid',
meiner ein Erbarmer.

Dein Hund ist ein braver Hund,
meiner ist ein böser.
Deiner bellt und meiner pißt
an die Welterlöser.
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

cyparis

Re:Lieblingsdichter und Lieblingsgedichte
« Antwort #42 am: April 16, 2011, 10:20:42 »
Heimweh


Wann seh ich wieder Dich, geliebtes Tal,
mit Schlüsselblumen jetzt auf Deiner bunten Wiese,
mit Deinem Birkengrün, dem Wasserfall,
all Deiner Schönheit, die so fremd hier diesen
verlornen Plätzen mit ein wenig Grün,
wo selbst die Luft drückt wie zu schwere Lasten,
die Ströme dunkel mich und traurig ziehn.
Wann seh ich wieder Dich, geliebtes Tal,
wo ich zu Haus bin, alles nah ist, mein -
Nicht fremd wie hier, wo überall
das große Heimweh nur will bei mir sein.



A.E. Meißner-Lugenbiehl
geschrieben 1939
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Seeräuber-Jenny

Re:Lieblingsdichter und Lieblingsgedichte
« Antwort #43 am: Juni 24, 2011, 19:21:49 »


W enn das SCHLIEMANN* aus ist dann
I st das LSD** im hades
R ollt des ökospießers fades

B unt heran: no way no sun
L aßt nur eure hiwis machen
E ure zivis laßt nur los
I hr zieht kuckuckskinder groß
B rühheiß wird’s wenn die erwachen
E twas buckelt sich und bockt
N achts wenn ihr in totsanierten

A ufgemotzt modernisierten
L uxuskalten häusern hockt
L äden runter spinnen: webt
E in gespenst geht um: das lebt

Hel Toussaint

*   Legendäre Hausbesetzerkneipe in der Schliemannstraße, Prenzlauer Berg, die vor einem Jahr schließen musste. Heute befindet sich in den Räumen eine Cocktailbar.
** Das "LSD"-Viertel, benannt nach den Anfangsbuchstaben der parallel liegenden Straßen Lychener, Schliemann-, Dunckerstraße.

Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

Seeräuber-Jenny

Re:Lieblingsdichter und Lieblingsgedichte
« Antwort #44 am: September 30, 2011, 19:37:58 »


Richard Dehmel

Chinesisches Trinklied
Nach Li-Tai-Pe

Der Herr Wirt hier - Kinder, der Wirt hat Wein!
Aber laßt noch, stille noch, schenkt nicht ein:
ich muß euch mein Lied vom Kummer erst singen!
Wenn der Kummer kommt, wenn die Saiten klagen,
wenn die graue Stunde beginnt zu schlagen,
wo mein Mund sein Lied und sein Lachen vergißt,
dann weiß Keiner, wie mir ums Herz dann ist,
dann wolln wir die Kannen schwingen -
die Stunde der Verzweiflung naht.

Herr Wirt, dein Keller voll Wein ist dein,
meine lange Laute, die ist mein,
ich weiß zwei lustige Dinge:
zwei Dinge, die sich gut vertragen:
Wein trinken und die Laute schlagen!
Eine Kanne Wein zu ihrer Zeit
ist mehr wert als die Ewigkeit
und tausend Silberlinge!-
Die Stunde der Verzweiflung naht.

Und wenn der Himmel auch ewig steht
und die Erde noch lange nicht untergeht:
wie lange, du, wirst Du's machen?
du mitsamt deinem Silber- und Goldklingklange?
Kaum hundert Jahre! Das ist schon lange!
Ja, leben und dann mal sterben, wißt,
ist Alles, was uns sicher ist;
Mensch, ist es nicht zum Lachen?!-
Die Stunde der Verzweiflung naht.

Seht ihr ihn? Seht doch, da sitzt er und weint!
Seht ihr den Affen? Da hockt er und greint
im Tamarindenhain, hört ihr ihn plärren?
über den Gräbern, ganz alleine,
den armen Affen im Mondenscheine? -
Und jetzt, Herr Wirt, die Kanne zum Spund!
jetzt ist es Zeit, sie bis zum Grund
auf einen Zug zu leeren -
die Stunde der Verzweiflung naht.

(Hans Baluschek, Bildnis Richard Dehmel)
« Letzte Änderung: September 30, 2011, 19:40:10 von Seeräuber-Jenny »
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz