Autor Thema: Der Abend ist ein Schloss  (Gelesen 1675 mal)

Laie

  • Gast
Der Abend ist ein Schloss
« am: November 30, 2017, 09:50:57 »
Der Abend ist ein Schloss, in seinen Gärten
erblühen Feuerlilien; und wie
ein König schweife ich durch die verklärten
Gefilde dieser Blütensymphonie.

Da wächst die Nacht tiefblau aus allen Hagen
und öffnet sich und wirkt fast traumgereift.
Und leise stirbt mit jedem Lidaufschlagen,
was tagesschwer nach meiner Seele greift.

Erich Kykal

Re: Der Abend ist ein Schloss
« Antwort #1 am: November 30, 2017, 19:44:19 »
Hi Laie!

Hier zum Vergleich die Rilke-Version:

Der Abend ist mein Buch. Ihm prangen
die Deckel purpurn in Damast;
ich löse seine goldnen Spangen
mit kühlen Händen, ohne Hast.

Und lese seine erste Seite,
beglückt durch den vertrauten Ton, -
und lese leiser seine zweite,
und seine dritte träum ich schon.


Es gibt nur 3 Möglichkeiten:

1) Es gibt Seelenwanderung DOCH! Oder ihr seid zumindest höchst verwandte Seelen.
2) Du liest immer Rilke, ehe du selbst dichtest.
3) Du nimmst bewusst Rilke-Gedichte her und füllst die lyrischen Rahmen und Gerüste mit eigenen Phrasen und Wendungen.

Anders ist mir diese gleichbleibende Ähnlichkeit in Stil und Aufbau nicht erklärlich. Deine 2. Strophe erinnert mich nämlich an ein anderes Rilkegedicht, das ich jetzt nicht extra raussuche (er hatte es meist nicht so mit Titeln, das macht jede Suche schwierig), aber du darfst mir glauben, dass es auch da frappierende Ähnlichkeiten gibt!

Wie oft gesagt, ich unterstelle dir keine böswillige Täuschungsabsicht. Dafür mag ich deine ihm so artverwandten Werke viel zu sehr.

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Laie

  • Gast
Re: Der Abend ist ein Schloss
« Antwort #2 am: Dezember 01, 2017, 20:09:43 »
Hi eKy,

bei mir ist es nie - oder ganz ganz selten - so, dass ich ein Gedicht von Anfang bis Ende in wenigen Minuten runterschreiben kann. In 90% der Fälle habe ich einfach einen Anfang, den ersten Vers, mehr nicht. Vom Rest habe ich zwar eine Ahnung, aber keine Worte. Ich muss sie mir oft tage- bis wochenlang abringen. So war es auch hier. Die ersten Worte "Der Abend ist ein Schloss, in seinen Gärten erblühen Feuerlilien" hatte ich beim Betrachten eines wunderschönen Abendrots sofort. Und fast zeitgleich ist mir die Ähnlichkeit zu dem Rilke-Gedicht aufgefallen, dass du gepostet hast. Ich beginne meine Gedichte relativ häufig mit "Der/Die/Das Irgendwas..." - nicht gerade sehr virtuos  ;D - und vielleicht klingen dadurch einige Anfänge ähnlich  ??? Dazu kommt natürlich, dass ich hin und wieder Rilke, aber auch ebenso oft Goll und seit neuestem Lenau (danke dafür übrigens  ;)) lese. Irgendwo im Hinterstübchen werden besonders die beiden erstgenannten immer stecken und so auch in gewisser Weise Einfluss auf mein Schreiben nehmen. Und ganz ehrlich: Was sollte mir das Kopieren bringen? Ich halte meist eh nicht viel von meinen eigenen Leistungen, egal ob beim Sport, im Studium oder beim Dichten. Wie sollte ich dann stolz auf ein Plagiat sein? Und wenn du mitbekommen würdest, wie ich mich bei meinen Zwei-Strophen-Gedichten quäle, könntest du dir sicher sein, dass ich dabei kein fremdes Gerüst vor mir habe, das ich dann nur noch mit neuen Wörtern schmücken muss ;D


Gruß,
Laie

Erich Kykal

Re: Der Abend ist ein Schloss
« Antwort #3 am: Dezember 01, 2017, 22:10:34 »
Hi Laie!

Umso schöner die Ergebnisse deines tagelangen Ringens!  :)

Bei mir ist das anders - kein Gedicht kostet mich kaum je mehr als etwa eine halbe Stunde, meist bin ich früher fertig. Das entfließt mir wie aus einem Guss in einer Art Halbtrance, in der verschiedene Hirnregionen unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen und sich quasi zuarbeiten.

Dafür kann ich dieses Konzentrationslevel nicht lange halten. Das meiste waren mal 6 Gedichte an einem Tag oder so, danach ist sozusagen Schicht im Schacht bei mir im Kopf.

Meist aber - im normalen Modus - sind es im Schnitt so ca. 2-3 Gedichte pro Woche. Im Moment ist aber Flaute bei mir.

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juli 15, 2021, 12:33:34 von Erich Kykal »
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Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Laie

  • Gast
Re: Der Abend ist ein Schloss
« Antwort #4 am: Dezember 02, 2017, 15:21:24 »
Hi eKy,

solche Trancezustände kenne ich leider nicht. Ab und an schießt ein Geistesblitz vorbei und ich kann eine Strophe schnell fertig schreiben, aber mehr auch schon nicht. An 6 Gedichte an einem Tag mag ich gar nicht denken. Wenn ich die im Monat annähernd schaffen würde, wäre ich schon froh  ;D Ich hatte in den letzten zwei, drei Monaten für meine Verhältnisse sowieso eine sehr produktive Phase. Jetzt ist wieder Normalität eingekehrt und mir gelingt nicht allzu viel  ::)


Gruß,
Laie

Erich Kykal

Re: Der Abend ist ein Schloss
« Antwort #5 am: Dezember 02, 2017, 16:49:19 »
Es funktioniert eben bei jedem anders, denke ich. Jedes Gehirn ist individuell und einzigartig! Auch ich kenne Durststrecken - hab grad eine! Die bisher längste Phase ohne Lyrik (abgesehen von den 25 Jahren, die ich es aufgegeben hatte, weil ich dachte, für gereimte Lyrik würde sich ohnehin niemand mehr interessieren in den dürren Zeiten der "Moderne") dauerte 2012 ca. ein halbes Jahr! Zuvor hatte ich gerade mein erstes Buch (Weltenwege) veröffentlicht, und danach schrieb ich in kurzer Zeit mein zweites (Seltsame Sonette).

Geh also nur deinen eigenen Weg! Wie gesagt - das Ergebnis zählt!  :)

LG, eKy
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Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Curd Belesos

Re: Der Abend ist ein Schloss
« Antwort #6 am: Dezember 02, 2017, 23:41:16 »
Hi Laie,
moin moin Erich,

wäre ich ein Spross aus der Line des Gaius Maecenas, würde ich euch tragen, seid ihr doch mit eurer Kunst mehr als Labsal meiner Seele.

Einen anerkennenden Gruß

Curd Belesos
Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch