Autor Thema: Die Füße im Feuer  (Gelesen 703 mal)

gummibaum

Die Füße im Feuer
« am: November 11, 2018, 00:00:39 »
Laut heult der Sturm, und ein Gewitter
entlädt sich abends um das Schloss. 
Es flackern fahl die Fenstergitter,
der Donner dröhnt im Turmgeschoss. 

Da hör ich Hufschlag, Schnauben, Lärmen.
Es pocht ans Tor. Der Junker geht
hinab, macht auf, damit sich wärmen
und schützen kann, wer draußen steht.

Ein Mann tritt ein, mir nicht geheuer.
Er rühmt sich laut, er sei Kurier
des Königs. Setzt sich plump ans Feuer
im Herd des Ahnensaals: zu mir.

Dann sinkt sein Blick in meine Flammen
und auf ein Ölbild an der Wand:
Ein junges Weib. -  Er zuckt zusammen,
als ob er ihren Mörder fand.

Er selbst ist der, der damals fragte
„Wo steckt dein gottverdammter Mann?“
Dann drohte er, als sie nichts sagte,
der Hugenottin Folter an.

Doch eisern schwieg sie, und er steckte
ihr beide Füße in den Herd,
auf dass ich sie gesprächig leckte.
Die Flamme ihren Stolz bekehrt.

Sie wand sich. Stumm. Die Füße zuckten. -
Nun schwitzt der Gast. Fühlt alles nah.
Verflucht, dass ihn die Wetter duckten,
und er das Wappen übersah.

Er ahnt, man kennt ihn, wird sich rächen. 
Als er zum Abendessen geht,
sind dort die Kinder. Doch sie sprechen,
als sie ihn sehen, kein Gebet.

Er senkt den Blick, er stürzt den Becher.
Ein feiger Mensch im Dienst der Macht.   
Er taumelt in die Schlafgemächer.
Ich höre, wie der Riegel kracht.

Dann kommt der Junker. Wie entgeistert.
Von seinen Kindern eingeweiht.
Er hat, was aufwühlt, nicht gemeistert
und betet eine lange Zeit.

Noch immer stürmt es. Meine Flamme
wird aus den Lüften angefacht.
Sie faucht im Glauben, Gott verdamme:
„Der Folterknecht sei umgebracht!“

Dann weicht der Sturm, und sie verzichtet.   
Des Junkers Haar ist aschengrau.
Er weckt den Gast.  Der Morgen lichtet
den Saal. - Ich träume von der Frau…


(nach Meyers Ballade)
https://www.deutschelyrik.de/index.php/die-fuesse-im-feuer.html
« Letzte Änderung: November 11, 2018, 13:34:16 von gummibaum »

Agneta

  • Gast
Re: Die Füße im Feuer
« Antwort #1 am: November 11, 2018, 09:16:48 »
eine Ballade wie sie sein soll, mysterisch, geheimnisvoll und lehrreich. Toll geschrieben, lieber Gum. Musste es ein paar Mal lesen, weil doch viele Personen vorkommen und das LI als Beobachter auftritt. Der Schlüsseslatz ist: Ein feiger Mensch im Dienst der Macht.
Darum ist es auch heute noch aktuell.
LG von Agneta

gummibaum

Re: Die Füße im Feuer
« Antwort #2 am: November 11, 2018, 12:04:46 »
Herzlichen Dank, liebe Agneta, für deinen schönen Kommentar. Ja, das scheint mir auch der Schlüsselsatz zu sein.

Dir einen schönen Tag.

LG gummibaum

 

Erich Kykal

Re: Die Füße im Feuer
« Antwort #3 am: November 11, 2018, 13:11:05 »
Hi Gum!

Sehr schön geschrieben, der Spannungsbogen lässt nichts zu wünschen übrig! Deine Version halte ich übrigens für lyrisch wesentlich gelungener als das doch etwas verquaste und reimlose Original.

Einzig der "Ahnensaal" in S3Z4 hat ein paar Buchstaben zuviel.

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Die Füße im Feuer
« Antwort #4 am: November 11, 2018, 16:21:02 »
Vielen Dank, lieber Erich. Dein Lob freut mich immer. Ich hoffe, es geht dir gut. Ich war gerade ein bisschen im Laub unterwegs.

Liebe Grüße
gummibaum