Autor Thema: Der gescheiterte Stylit  (Gelesen 657 mal)

Erich Kykal

Der gescheiterte Stylit
« am: M?RZ 13, 2019, 19:03:16 »
Hoch erhoben über alle Niederungen
eines Volkes, das ihm weiland nicht entsprach,
saß der krumme Heilige und lechzte nach
der Erleuchtung, einem wunden Geist entrungen,

welcher sich die Prüfung nagend ausbedungen
auf der Säule himmelhohem Kapitel,
und er lauschte einem göttlichen Befehl,
der ihm endlich wiese: Ach, es ist gelungen!

Doch er haderte mit jedem Regenschauer,
denn so viele Tage lag sein Wesen brach,
und er fand sich darin immer ungenauer,

so als läge Ungesagtes auf der Lauer
und verseuche seinen Seelenarchipel
mit Gedanken, immer sündiger und rauer.
« Letzte Änderung: M?RZ 18, 2019, 18:27:28 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Der gescheiterte Stylit
« Antwort #1 am: M?RZ 18, 2019, 17:41:50 »
Moin eKy!
Ich habe einige Werke von Dir kommentatorisch nachzuholen, z. Zt. fehlt mir etwas die freie Zeit und der freie Kopf dafür - aber ich bleibe dran, z. B. in dem ich mich einmal dieser schönen Sonett-Variante mit ungewöhnlichem Metrum widme.
Zwar ist der Sechsheber natürlich der klassische Versfuß des deutschen Sonetts in der Schule der Barockdichter, aber eben als Jambus und nicht als Trochäus und in der Variante des jambischen Alexandriners, d. h. mit einer Mittelzäsur, die Du hier (abgesehen vom trochäischen betonten Auftakt) fast durchgängig vermeidest, was die sprachliche Schwierigkeit durchaus erhöht!
Dazu, und das erfreut mich noch viel mehr, ist auch das Reimschema vorzüglich originell und höchst erbaulich: ABBA - ACCA - DBD - DCD. Ganz ungewöhnlich!
Interessant - um nur einen Aspekt herauszuheben - ist daran, dass Archipel fast wie ein Waisenreim wirkt, weil das letzte korrespondierende Reimwort schon einige Zeilen her ist, aber man hat es doch noch so ein bisschen im Ohr, so dass hier ein ganz feines, schwebendes Klangband zum zweiten Quartett gewunden wird. Ich bin nur nicht ganz sicher, ob "schmal" hier so das richtige Adjektiv ist, natürlich könnte man sich einen Archipel auch als einen schmalen Streifen von hinter einander liegenden Inselchen vorstellen, aber damit wird für mich dann irgendwie eine geometrische Verbindung zur schmalen Säule geknüpft, die ich nicht ganz 1:1 nachvollziehen kann. Das ist aber jetzt haarscharf an der Grenze der Beckmesserei entlangargumentiert... ich lass mal offen auf welcher Seite der Grenze... trotzdem würde mir persönlich "heilen" besser als "schmalen" gefallen. Vielleicht denkst Du aber auch an Archipel Gulag, dann passt das heile natürlich nicht. :)
Eine Erwähnung wert ist natürlich auch die einem alten Lateiner würdigen Kunst der Satzperiode, die Du hier mit einem beide Quartette überspannenden Satzgefüge präsentierst. Chapeau!
Und um nochmal etwas forenübergreifend zu agieren: ich finde es gut, dass der Heilige auf seiner Säule sitzenbleibt und mit sich hadert und nicht - wie von Thomas im Eiland mit zugegebenermaßen sehr schönen Versen - vorgeschlagen von selbiger runtergekraxelt kommt. Auch das natürlich ein reine Geschmacksfrage, die vielerlei Meinungen zulässt. :)
Sehr gerne gelesen!
S.
« Letzte Änderung: M?RZ 18, 2019, 17:45:18 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Der gescheiterte Stylit
« Antwort #2 am: M?RZ 18, 2019, 18:26:57 »
Hi Suf!

Interessant, wie viele Überlegungen in so einem Gedicht stecken können. Ich schrieb es einfach vor mich hin, und weil ich schon viele Sonette geschrieben habe, gerann es fast automatisch zu dieser Form. Einzig das Reimschema habe ich - und nicht zum ersten Mal -  ab den Terzetten bewusst so gesetzt, um die unterschiedlichen Reime der Quartette auf diese Weise etwas auszugleichen.

Bei "Archipel" hatte ich nur eine einzige Insel vor Augen, da habe ich über den Begriff nicht ausreichend nachgedacht. Das schreibe ich passend um. Vielen Dank für den Tipp!

LG, eKy
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