Hi eKy!
Da sprichst Du einen wichtigen Punkt an!
Oder eigentlich sogar zwei Punkte, die aber zusammenhängen.
1. Wie unverständlich darf ein Gedicht geschrieben sein?
2. Wie sehr sollte ein Verfasser eines Gedichts an den Leser denken?
Beim ersten Punkt würde ich sagen, dass komplette Unverständlichkeit einem Gedicht (seinem "künstlerischen Wert") so wenig schadet wie große Leichtverständlichkeit oder irgendetwas zwischen diesen beiden Polen Angesiedeltes.
Bei den beiden Extrempositionen (völliges Sinnchaos versus totale Sinn-Eindeutigkeit) ist es aber technisch relativ einfach, einen Text zu fabrizieren, wobei jedoch die Schwierigkeit relativ groß ist, hierbei auch einen
guten Text hinzubekommen.
Impro-Text der unverständlichen Art:
Oh Groblob, durchs wunstblut gewelltes Geweh!
Wie sirrt das Hastwach-Mahl? Wundgnu versteh?
Wirst Sursum Corda zur Wurst, mach Männchen:
Grablang nach Dada and give me attention!Impro-Text der einfach verständlichen Art:
Der Mond glänzt golden,
ich lieg bei meiner Holden
in ihrem weichen Bett
und find das richtig nett.Beide Texte sind künstlerisch wertlos, aber beide sind kein Beleg, dass sinnverweigernde oder leichtverständliche Lyrik grundsätzlich wertlos sein muss. Es ist nur, wie gesagt, technisch relativ einfach, Texte zu verfassen, die bei einer der beiden Extrempositionen zu verorten sind. Um es sich also nicht zu schwer zu machen, etwas "zu Papier" zu bringen, dass mehrmaliges Lesen lohnt, würde ich schon empfehlen, nicht alles haarklein aufzudecken, was in einem Text drinsteckt, aber auch nicht komplett mit dem Rücken zum Leser zu schreiben.
Das führt zum zweiten Punkt: Wie "zugewandt" sollte ein Gedicht geschrieben sein? Auch hier gibt's wieder keine Patentantwort - aber ich denke, wenn man schon nicht nur für die Schublade schreibt, sondern seinen Text einem oder gar einer Vielzahl von Lesern aussetzt, ist es schon sinnig, über deren Erwartungen, Bedürfnisse, Vorlieben und Abneigungen zu reflektieren und es letztlich auch auf eine gewisse Reaktion beim Leser anzulegen.
Diese Reaktion kann natürlich auch in Irritation bestehen, wenn man das denn möchte. Allerdings sollte man sich als Autor nicht wundern oder gar beklagen, wenn man seine Leser grob vor den Kopf stößt und diese dann beleidigt oder ausfallend oder spottend reagieren. Das spricht dann für ungenügende Reflexion des Autors und etwas gegen dessen soziale Kompetenz. Dabei beziehe ich diese Gedanken zunächst einmal auf die formale Gestaltung von Gedichten und deren inhaltliche Kohärenz.
Es geht mir also nicht um "unliebsame Meinungen", denn da kommen wir natürlich durchaus in heikle Bereiche. Stichwort: Meinungsfreiheit. So ist für mich die beleidigte Leberwurst-Attitüde, z. B. von religiösen Fanatikern, bis hin zur Gewaltanwendung gegenüber vermeintlichen Abweichlern eine glatte Kriegserklärung an unsere offene Gesellschaft, der man leider nicht mehr tolerant und pazifistisch gegenübertreten kann. Aber das steht auf einem ganz anderen Blatt.
Soweit mal meine Gedanken hierzu...
Lg,
S.