Autor Thema: Der Eremit (Doppelsonett)  (Gelesen 647 mal)

Erich Kykal

Der Eremit (Doppelsonett)
« am: September 14, 2019, 11:56:04 »
Im tiefsten Walde vor der alten Klause
sitzt stumm der Eremit, und keine Frage,
ob ihm sein stilles Leben noch behage,
ob ihm vor seiner Einsamkeit schon grause,

behindert sein Verströmen in die Dinge,
die ihm Vertraute seit den Jahren waren,
da er noch strebte, jung und unerfahren,
und arglos lief in jede blanke Klinge.

An einer harten Welt zu früh gescheitert,
hat er ins Unbelebte sich erweitert
und pflanzt sein Überleben in den Schatten

der hohen Bäume, die ihn überragen,
und alle fernen Weltgeräusche tragen
ihm Träume zu, die immer andre hatten.


Zuweilen schlendert er wie ohne Achten
auf alles rundumher durch seine Kreise,
als wüsste er bei sich auf diese Weise
von Dingen, die sein Weilen größer machten

als ihn und alles, was sein Leben lernte,
damit er weiter sein kann, was ihn heiligt:
Der weise Abgetrennte, unbeteiligt
am Lauf der Welt, von dem er sich entfernte.

Nur wenn er nachts das Ofenfeuer schürt,
geschieht es manchmal, dass ihn doch berührt,
was er vielleicht von alledem versäumte,

wenn ihn ein Zweifel in Versuchung führt,
und auferstandne Angst die Kehle schnürt,
weil doch noch sein will, was er selbst erträumte.
« Letzte Änderung: September 15, 2019, 21:11:58 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Der Eremit (Doppelsonett)
« Antwort #1 am: September 15, 2019, 15:20:01 »
Lieber Erich,

sehr, sehr schön! Man sieht die Gestalt vor sich und fühlt ihre innere Welt mit. Nach Enttäuschungen weitgehend am Reichtum der Dinge genesen und dankbar dafür, nur eben um den Reichtum, den Liebe und Gemeinschaft geben können, betrogen.

Besonders gefallen mir "Verströmen in die Dinge" und "ins Unbelebte sich erweitert". Dagegen hört sich "gefangen in Begehrens starrer Zwinge" für mich etwas geschraubt an.

Tolle Bilder! Mit Genuss gelesen.

Chapeau und Liebe Grüße von
g

Erich Kykal

Re: Der Eremit (Doppelsonett)
« Antwort #2 am: September 15, 2019, 21:02:02 »
Hi Gum!

Vielen Dank für deine kundigen Gedanken. Ja, die "Zwinge"-Zeile ist lyrisch suboptimal, aber find mal einen passenden Reim auf "Dinge". Ich versuche es.


Bei diesem Gedicht habe ich mich nicht selbst als den Beschriebenen gesehen (anders als beim Erichmitengedicht!  ;)), sondern hatte alte Bilder von Klausenbewohnern vor Augen, wie es sie früher gab.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Der Eremit (Doppelsonett)
« Antwort #3 am: September 15, 2019, 21:58:07 »
Ja, gut so. Besonders auch durch "arglos". LG g

Erich Kykal

Re: Der Eremit (Doppelsonett)
« Antwort #4 am: September 15, 2019, 23:13:16 »
Hi Gum!

Danke - auch nochmals für den Hinweis!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Der Eremit (Doppelsonett)
« Antwort #5 am: September 18, 2019, 11:03:27 »
dein wunderbares Doppelsonett , lieber Erich, zeigt, wie ein Mensch sich in Selbstsuggestion verlieren kann. Bisschen platt gesagt, wie der Spruch von dem Baumarkt: Was nicht passt, wird passend gemacht.
Die Seele jedoch tickt anders und sagt uns schon , was wir eigentlich vermissen.
Die Zeile mit dem Schatten finde ich auch durch die Doppeldeutigkeit schlüsselsatzmässig. Er lebt ein Leben in ( angeblich selbstgewähltem )Schatten. Es wird nicht glücklich machen.
Die letzte Zeile des langen Stücks ist mir wegen ihrer Wichtigkeit hier zu schwach.
Ich würde die Zeilen... versäumte... und erträumte tauschen.
Letztlich ist es nämlich das Wichtigste, dass er versäumte, was er erträumte, da er sich das Erträumte ja selbst nicht zugestand.
Ein Gedicht, das berüht, weil es einen Menschhen zeigt, der ganz anders hätte leben können, der sich fügt und gefügt hat, weil er seine Situation für unabänderlich hält, sie beinahe weiht und sie somit für sich selbst erträglich macht.
Ein tolles Doppelsonett über die Tiefen der menschlichen Seele. LG von Agneta.

Erich Kykal

Re: Der Eremit (Doppelsonett)
« Antwort #6 am: September 18, 2019, 13:26:23 »
Hi Agneta!

Vielen Dank für das Lob und den ausführlichen Kommi. Ich habe mir selbst deinen Vorschlag mehrmals vorgelesen, finde aber meine Reihenfolge schlüssiger und empfinde "erträumte" nicht als schwächer, wie du meinst. Du nimmst das anders wahr, und es ist ja okay so, aber ich möchte bei der Usprungsversion bleiben.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.