Autor Thema: Aufklärer  (Gelesen 669 mal)

Erich Kykal

Aufklärer
« am: November 05, 2019, 10:20:17 »
Wer kann sich schon auf wen verlassen?
Wer bleibt durch alle Stürme treu?
Wer trägt die Schuhe, die ihm passen,
in allen Wettern ohne Scheu?

Wir gehen fremd und in die Brüche,
und fühlen kaum, was andern fehlt,
und nennen es ein Spiel der Psyche,
die sich am wahren Leben stählt.

Wer darf sich frei mit wem vergnügen?
Wer scheut den Bruch der Regeln nicht?
Wer hilft den Seelen, die sich fügen,
aus allen Irrungen ins Licht?

Wir folgen brav und einem Glauben,
und beten an, was These bleibt,
und jenen, die den Geist berauben,
ist Starre alles, was sie treibt.

Wer trägt schon gern an andrer Lasten?
Wer wagt zu sagen, was wir sind?
Nur Träumer, Ketzer und Fantasten!
Und was davon wirst du, mein Kind?
« Letzte Änderung: November 09, 2019, 12:32:19 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Aufklärer
« Antwort #1 am: November 08, 2019, 19:51:03 »
Sehr schönes Gedicht, lieber Erich.

Sich und andern treu bleiben, sensibel sein und sich nicht an Regeln oder andere Autoritäten klammern, fällt manchem schwer. Oft gelten daher die Aufklärer, Wahrheitssucher und -künder, als Phantasten, Ketzer o.ä. Schön ist auch den Aufbau mit welchselnd fragenden und aussagenden Strophen.

Sehr gern gelesen
LG g
   

Erich Kykal

Re: Aufklärer
« Antwort #2 am: November 09, 2019, 12:34:25 »
Hi Gum!

Vielen Dank für den "Ketzer"! - Mit dem "Irre" war ich unzufrieden, mir fiel aber dazumals nichts Passenderes ein.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Aufklärer
« Antwort #3 am: November 24, 2019, 14:27:56 »
In der Tat tragen wir eine große Verantwortung, wenn wir in die heutige Welt ein Kind setzen. Sicher, ältere Menschen haben immer von "früher" geschwärmt, das meine ich nicht. Die Welt ist wirklich fragwürdig geworden, der Großteil der Menschen kümmert sich nur um sich selbst.
Wir gehen fremd und in die Brüche- besser kann man es doppeleutig beim fremd nicht sagen, lieber Erich.
Gerade, da unser Enkel noch so klein ist und ich einen Großteil seines Lebens nicht mehr miterleben kann, frage ich mich manchmal, ob und wie er in dieser Welt bestehen wird. Als Ketzer, also Rebell, so fände ich es besser, passt aber nicht in die Metrik-zwinker. Als Ketzer also wird mir schon schwer genug, obwohl ich es mein Leben lang so machte und quasi auf eine gewisse Übung zurückblicken kann. Als Fantast, der zum Scheitern verurteilt ist oder als Träumer, der der Realität entfileht und irgendwann zum Spinner wird.
Kuge Verse, weise fast, lieber Erich.
Sehr gerne drüber nachgedacht.
LG on Agneta

Erich Kykal

Re: Aufklärer
« Antwort #4 am: November 30, 2019, 18:19:56 »
Hi Agneta!

Vielen Dank für deine Gedanken! Du hast dich ganz auf die letzte Zeile konzentriert, die von mir eher als offenes Ende gedacht war (die Fackel wird weitergereicht) denn als Gedanke an Kinder an sich.

Das Werk stellt Fragen zu und beschreibt das Gefangensein der Menschen in den Ringen der kulturellen Prägung, den zwischenmenschlichen Regulativen, Tabus, Gesetzen, Regeln, Umgangsformen, Vorurteile usw., und wie wenige Aufklärer dies immer wieder hinterfragen, Regeln brechen, Anderes vorzuleben wagen - mit dem Risiko, geächtet oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden, sprichwörtlich oder buchstäblich!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.