Autor Thema: Verschärftes Verhör  (Gelesen 695 mal)

gummibaum

Verschärftes Verhör
« am: November 08, 2019, 15:12:21 »
Wir lassen die Verdächtigen jetzt baden.
Ein Wasserstrahl auf Tücher im Gesicht
verursacht keinen körperlichen Schaden
und garantiert, dass der Verhörte spricht.

Wir geben ja nur vor, ihn zu ertränken,
denn trotz der Todesangst ertrinkt er nicht.
Wir sollten also nicht an Folter denken,
nur weil ein bisschen Willenskraft zerbricht…
« Letzte Änderung: November 10, 2019, 18:53:05 von gummibaum »

Agneta

  • Gast
Re: Verschärftes Verhör
« Antwort #1 am: November 09, 2019, 09:52:33 »
bissig und ironisch, lieber Gum. Ich sehe hier nicht nur das Verhörals solches, sondern auch den "normalen" Imgang miteinander in der heutigen Gesellschaft. Jeder will nur für sich und geht über den anderen hinweg. Oder versucht ihn unauffällig auf Linie zu bringen.
LG von Agneta

gummibaum

Re: Verschärftes Verhör
« Antwort #2 am: November 09, 2019, 11:55:46 »
Danke, liebe Agneta. Ein interessanter Aspekt, den ich darin nicht noch gar nicht gesehen hatte.

Wünsche dir ein schönes Wochenende
Gruß gummibaum 

Erich Kykal

Re: Verschärftes Verhör
« Antwort #3 am: November 09, 2019, 12:21:44 »
HI Gum!

Gefällt auch mir gut, nur den Terminus "beschenken", der ja so positiv besetzt ist, würde ich nicht auf Folter beziehen wollen.

Zum Inhalt: Natürlich muss man Eier zerbrechen, wenn man ein Omelett backen will. Natürlich werden Terrorverdächtige IMMER behaupten, sie wären unschuldig und nur durch Zufall in etwas hineingeraten. Nicht wenige Täter und Mitwisser sind so sicher wieder freigekommen. Und wie viele unschuldige Anschlagsopfer könnten heute noch leben, wenn man nur "nachdrücklicher" gefragt hätte?
Ich finde, auch diese Fragen muss man sich stellen. Natürlich wird der "zivilisierte" Mensch versuchen, sich die Sache schönzureden - dass er überhaupt eine Rechtfertigung braucht, beweist seine noch vorhandene Menschlichkeit. Aber wo jetzt genau die Grenze ziehen?

Ich sage: Wenn es nur darum geht, jemanden zu unterdrücken, zu brechen, "auf Linie zu bringen", ist Folter natürlich völlig off limits. Aber wenn es darum geht, wahre Bösewichte aufzubringen und Morde an Unschuldigen zu verhindern - wäre es dann statthaft? Würde man einen Kindermörder foltern, um ihm abzupressen, wo der das letzte - noch lebende - Kind versteckt hat, um es zu retten?
Und was macht es mit einem selbst? Wird man dann selbst zum Monster, gewissenlos und sadistisch?
Ich sage: Nein. Man tut das Nötige, wo es wirklich nötig ist. ICH würde den Kindermörder foltern, ohne alle Gewissensbisse. Und ich würde bei hinreichendem Tatverdacht auch den Terrorverdächtigen foltern, um diese wahnsinnigen Religionspsychopathen aufzuhalten. Und ich würde hinterher auch nicht mit Rechtfertigungslametta rascheln, um mich als Gutmensch darzustellen, den die Umstände zu etwas gezwungen haben, was er normalerweise nie tun würde.
Ich denke, das wäre ohnehin klar und selbstredend!

Aus diesem Blickwinkel betrachtet, relativiert sich die Moralität. Das Gedicht stellt gute und wichtige Fragen. Verrät man, was man verteidigen wollte, wenn man zu Mitteln greift, die sonst nur die zu Bekämpfenden anwenden würden? Und zwar ohne alle Gewissensbisse? Sind jene zu verurteilen, die es tun?
Ich sage: nur wenn sie das Maß verlieren, wenn die Tat zur gewohnten Selbstverständlichkeit wird. Man muss immer - auch sich selbst gegenüber - wachsam bleiben, ob man noch dort steht, wo man hinzugehören glaubt. Sonst endet man womöglich bei jenen, denen es Spass macht, anderen weh zu tun ...

Eine schwierige Sache - und da gibt es meines Erachtens kein Patentrezept.

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: November 10, 2019, 18:13:56 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Verschärftes Verhör
« Antwort #4 am: November 10, 2019, 14:21:33 »
Lieber Erich,

herzlichen Dank für die ausführliche Stellungnahme zur Folter und zur Problematik der Moral, wenn es um Aufklärung von Gräueln an Anschuldigen geht. 

Sadismus gehört zum Menschen, und die Folter war immer ein Mittel, ihn auszuleben. Schon frühe Kulturen untersuchten, wie man Qualen langsam steigern und verhindern kann, dass das Opfer vorzeitig daran stirbt. Später wurden bürokratisch-pedantisch genaue Rezepturen ausgearbeitet, in deren Erstellung sich der Sadismus quasi sublimiert. Mit Wahrheitsfindung hatte es nur sekundär zu tun. Wohl aber mit Machtdemonstration, zu der das Individuum und die Gemeinschaft gern tendieren und die mit einem schrittweisen Zerbrechen eines tatsächlichen oder dazu erfundenen Feindes wirkungsvoll befriedigt werden kann. Mit der Aufklärung und der Formulierung von Menschenrechten  verschwanden die nun verächtlichen öffentlichen und physischen Peinigungen und wurden durch unauffällige, psychologische ersetzt. Auch an der Verwischung der Spuren ausgeübter  Torturen wurde gearbeitet.

In diesem Zusammenhang ist das Water boarding zu sehen. Es versteckt sich noch der gleiche Sadismus darin und zeigt sich deutlich, wenn bei der Anwendung jedes zur Wahrheitsfindung sinnvolle Maß überschritten wird. Psychologen arbeiten an der Abstimmung zwischen Angsterzeugung,  Willensschwächung, geitiger Konfusion und sinnvollen Fragen an den Gequälten. Aber sie beraten den Geheimdienst auch darin, wie man argumentiert (und hierum geht es im Gedicht), wenn man Regierung, Kongress, Repräsentatenhaus und Bürger von der Humanität der Methode überzeugen will und die Zustimmung braucht.

Dass man gegen Kinderschänder/mörder und Terrornetzwerke (al-Qaida, CIA) hart durchgreifen muss, versteht sich von selbst.

"beschenken" htte ich einem Sadisten in den Mund gelegt. Ich habe die Stelle nun geändert.


Liebe Sonntagsgrüße
gummibaum
 
« Letzte Änderung: November 10, 2019, 18:52:24 von gummibaum »