Autor Thema: Späte Einsicht  (Gelesen 445 mal)

Erich Kykal

Späte Einsicht
« am: Dezember 19, 2019, 11:29:10 »
In eitles Blendwerk werden wir geboren,
an Oberfläche, die sich breit verteilt
und sich in blinden Spielen übereilt,
und sind in ihr entartet und verloren.

In ein Verirren werden wir geworfen,
das auf die falschen Wichtigkeiten zeigt,
erst wenn sich endlich unsre Schale neigt,
juckt wahre Tiefe unter alten Schorfen.

Und erst, wenn wir beinah schon wieder gehen,
erwachsen wir nach innen wie ein Kind,
das innig will, dass Wunder doch geschehen,

begreifen wir, worin wir lange fehlten.
Wenn wir erfahren und geläutert sind,
erkennen wir die Dinge, welche zählten.
« Letzte Änderung: Mai 01, 2020, 14:00:36 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Späte Einsicht
« Antwort #1 am: Januar 13, 2020, 10:14:02 »
Ein klassisches Kykal-Sonett - will heißen metrisch und klanglich höchst wohlgefügt, ein wenig weltgallig, in philosophischer Halbdistanz je zwischen Achselzucken und Empathie oszillierend - sehr gern gelesen! :)

Meine minimen Stolperer waren:

- die artikellose Oberfläche (Z2), die in einem etwas sperrigen Sinnbezug mit "an" eingeführt wird. Vielleicht ist mir der grammatische Bezug beim Lesen nicht ganz klar geworden... ist hier gemeint "wir werden an [eine oder einer] Oberfläche geboren" oder bezieht sich "Oberfläche" gar nicht auf "geboren werden"? Naja... also je länger ich drüber nachdenke, desto besser gefällt mir die Stelle doch... jetzt weiß ich nicht, ob ich in Z2 überhaupt was kritisieren soll oder nicht... also belass ich's mal bei der Bemerkung, dass ich hier nicht flüssig drüber gelesen habe (was ja eigentlich gar nicht schlecht ist!) :)
- die Doppelungen von "innen/innig" in Z10/11 und von "das/dass" in Z11 lesen sich nach meinem Geschmack nicht ganz so schön. Das "innen/innig" hätte ich als eine Art Echo noch goutiert, aber zusammen mit der "das/dass"-Doppelung, bleibt für mich persönlich an dieser Stelle die Sprachmelodie etwas auf der Strecke.

Ansonsten hätte für mich das Gedicht noch etwas mehr Nachhall, wenn die letzte Zeile durchgängig im Präsens stünde: Dingen, die einstmals zählten, aber heute nicht mehr, würde ich persönlich weniger Tränen nachweinen als Dingen, die immer noch von Bedeutung sind.

Ganz besonders schön find ich aber das Bild, dass wir nach Innen erwachsen werden. :)





Erich Kykal

Re: Späte Einsicht
« Antwort #2 am: Januar 13, 2020, 18:06:44 »
Hi Suf!

Vielen Dank für das Lob!  :)

Deiner Kritik stimme ich zu, bloß dass mir die erwähnten Dopplungen sprachmelodisch nicht so negativ erscheinen.

Mit dem Präsens in der letzten Zeile gebe ich dir auch recht, indes, das "fehlten" in der Reimpartnerzeile erlaubt es nicht.

Allerdings bin ich derzeit zu schreibfaul (uninspiriert), um was zu ändern. Später mal vielleicht.  ::) :-\

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.