Autor Thema: Vor vielen Jahren  (Gelesen 625 mal)

Eisenvorhang

  • Gast
Vor vielen Jahren
« am: April 12, 2020, 20:27:58 »
Vor vielen Jahren, die vergingen, galt:
Seid jung! Nichts sei von höherer Gewalt.
So vieles war von zärtlicher Bedeutung
und nichts von allem war entsetzlich alt.

Man lag im Gras, entrann in die Plejaden,
das Lagerfeuer sog die Seelen ein,
die kleine Hand, besternt von tausend Jaden
des Mädchens, seidenweich und warm und rein.

Man tauschte Blicke, die sich ewig kannten,
war Freund, nie Feind, nie aufgeschürte Brände,
kein Sinn für Angst im fernen Unbekannten,
von Schuld befreit und westenweiße Hände.

Die Schule war ein Muss, doch war sie toll.
Die Eltern sah man kommen und auch gehn,
der Himmel trug Jasmin, war schwalbenvoll,
es tut einfach nur weh, zurück zu sehn.

So neigt die schöne Jugend sich mir zu.
Genau: So muss sie für die Andern sein...
Ich war schon jung sehr alt und liebte Ruh
und liebte nichts mehr als das Anderssein.
« Letzte Änderung: April 12, 2020, 21:41:00 von Eisenvorhang »

Erich Kykal

Re: Vor vielen Jahren
« Antwort #1 am: April 12, 2020, 21:17:15 »
Hi EV!

Gefällt mir sehr!

Diese Details:

S1Z2 - "Nichts" möchte betont sein, dein Takt verweigert das. Ist nicht perfekt, geht aber noch so lala.

S4Z2/4 - Wozu hier die Verkürzungen der Reimworte?

S5Z4 - "außer" muss in deinem Takt falsch betont werden. Altern.: "und liebte nichts mehr als das Anderssein."


Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Vor vielen Jahren
« Antwort #2 am: April 12, 2020, 21:40:20 »
Hi Erich :-),

vielen Dank für Deine Hinweise.

Zu Kritik eins: Habe es nicht anders hinbekommen den Inhalt umzuformulieren. Mir war es dann wichtig, dass genau das ausgedrückt wird. Was anderes aus Neugier: Das „i“ vom „Nichts“ wird vor der starken Vokalgruppe „ei“ wirklich betont gesprochen? Das bräche eine Regel in der Phonetik.  :-[

Zu Kritik zwei: Ich finde, es wirkt dadurch naiver aber auch im Klang runder, weil die Zunge ob des Wegfallens der Doppelvokale weniger Arbeit hat. Nur meine subjektive Empfindung und Präferenz.

Zu Kritik drei: Übernehme ich dankend!

vlg

EV

Martin Römer

  • Gast
Re: Vor vielen Jahren
« Antwort #3 am: April 12, 2020, 22:14:35 »
Werter Geselle,

hier hast du mich aber - um es pathethisch zu sagen - angerührt.
Der Jugend wohnt fürwahr Seligkeit inne, das Blättertreiben und die tausend Bahnen sind mir ein Trübsalsbild.

Drum ein treffender Pfeil, der Vers vom nostalgischen Blick.
Vielleicht mag ich mich dann doch anfreunden mit manchem Wahn im Leben.... zu trunken für die harte Erinnerung..... 
Dieses Dilemma, unerfüllt in der Demut zu verharren, wird mir gewiss noch manche Sorgenfalte bereiten.

Jedenfalls: nimm die Kunde hin, dass ich - ohne je groß danach gestrebt zu haben -
wohl noch weitaus altmodischer geprägt bin, als du es jemals warst.
So zeigt sich auch wieder eine gewisse Logik, dass dir das Glück der Freundschaften vergönnt war.
Diese erscheinen hier in einem beinah unirdisch wirkenden Lichte -
was war denn das damals für eine komische Mode, die solchen Frieden geleitete? 

Den Blick in den reinen Sternenhimmel hab ich ebenfalls genossen, wenn die gräsernen Stunden kamen.
Irgendwann hat sich so viel Unbill zusammengemischt, ein bitterer Scherbenhaufen bleibt mir für die Zukunftspfade.

Ein letztes Ding: hast du heute nicht so weise über die "Häutung" geredet, die alle sieben Jahre einträte?
Ich denke, der Makel der Anfangsstrophe mit der reimlosen "Bedeutung" - das lacht dich doch geradezu an.
Eine deutliche und klare Diktion hast du dir aus der Ruhe gesponnen.


Zypressenvolle Grüße
M.

Erich Kykal

Re: Vor vielen Jahren
« Antwort #4 am: April 12, 2020, 22:56:36 »
Hi nochmal!

wie ich jetzt erst bemerke, kommt es durch meine Version zu einer Wortwiederholung von "liebte" mit der vorletzten Zeile.

Wie wäre es so?

So neigt die schöne Jugend sich mir zu.
Genau: So muss sie für die Andern sein...
Ich war schon jung sehr alt und liebte Ruh
und weiter nichts als nur mein Anderssein.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Vor vielen Jahren
« Antwort #5 am: April 12, 2020, 23:40:01 »
Das gefällt mir sehr, lieber Eisenvorhang.
Zeichnet eine gängige Erziehungsform und Jugendkultur und ein sich davon Absetzen deutlich. In der ersten Strophe gibt es nur einen Reim. Ist das Absicht?

Mit Genuss gelesen.

Herzliche Grüße
gummibaum


« Letzte Änderung: April 13, 2020, 01:00:04 von gummibaum »

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Vor vielen Jahren
« Antwort #6 am: April 13, 2020, 10:34:10 »
Vielen Dank für die Kommentare!

@Lieber Erich

Die Doppelung von "liebte" stört mich hier nicht, ich verstehe sie als eine Form der Steigerung.
Ich könnte vielleicht auch schreiben: "und lebte nichts mehr als mein Anderssein."

@Lieber Martin

Der wundersame Wechsel der Gezeiten, was bedeuten schon Schubladen wie altmodisch, modern, schräg, anders, krank, gesund usw...?
Der Mensch wird kreativ, wenn er Angst empfindet und Dinge nicht zu erklären weiß.
Alles ist, was es ist und das mit den Freundschaften... Wenn dann der Ernst des Lebens ansteht und man desillusioniert wird, formen und zeigen sich auch die wahren Bindungen.
Oft bleibt nicht viel über.
Die Frage ist: Ist das schlecht oder normal?

@Lieber gummibaum

Die erste Strophe verfasste ich erst korrekt gereimt... Allerdings war sie im Vergleich zum obigen Schema nicht so rund und inhaltsschwer.
Deswegen machte ich Abstriche bei der Form und letztlich nimmt die zärtliche Bedeutung so auch eine Extrawurst ein.

Ich bedanke mich für eure Zeit und für die Kommentare.
Freue mich sehr... :)

vlg

EV
« Letzte Änderung: April 13, 2020, 10:38:53 von Eisenvorhang »