Autor Thema: Helden  (Gelesen 2620 mal)

Agneta

  • Gast
Helden
« am: Mai 15, 2020, 10:53:19 »
Helden

Sie hatte ihm geglaubt,
als Blumen an dem Feldrand sprossen
und Tage ihr in Goldnes gossen.
Denn Glauben ist erlaubt!

Sie hatte ihm gegeben,
als sanfte Küsse innig flossen,
hat sie es doch so sehr genossen.
Und an der Hauswand woben Reben.

Sie hatte ihm verziehen,
als Blumen ihre Köpfe senkten,
sich Zeigefinger warnend schwenkten.
Denn Heldenzeit ist nur geliehen.

Erst als ihr kleiner Sohn ihn rügt,
weshalb er immer denn so lügt,
da findet er dem Kind kein Wort
und geht für immer fort.

Erich Kykal

Re: Helden
« Antwort #1 am: Mai 15, 2020, 13:05:24 »
Helden

Sie hatte ihm geglaubt,
als Blumen an dem Feldrand sprossen
und Tage ihr in Goldnes gossen.
Denn Glauben ist erlaubt!

Sie hatte ihm gegeben,
als sanfte Küsse innig flossen,
hat sie es doch so sehr genossen.
Und an der Hauswand woben Reben.

Sie hatte ihm verziehen,
als Blumen ihre Köpfe senkten,
sich Zeigefinger warnend schwenkten.
Denn Heldenzeit ist nur geliehen.

Erst als ihr kleiner Sohn ihn rügt,
weshalb er immer denn so lügt,
da findet er dem Kind kein Wort
und geht für immer fort.


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Hi Agneta!

Schönes Gedicht über Treue und Aufrichtigkeit in einer Beziehung. Interessant, dass er die Frau offenbar problemlos immer weiter belügt, aber bei der Anklage des Kindes Konsequenzen zieht - oder war das nur der sprichwörtliche letzte Tropfen?

Metrisch finden sich leider ein paar Unregelmäßigkeiten, die allerdings auch nicht in regelmäßiger Abfolge auftreten. Lässt man Kadenzenwechsel (S2Z1, S3Z1, S4Z2,3) außen vor, bleiben immer noch einige Zeilen mit eindeutiger Überlänge, die eine klare Taktung des Werkes verhindern (S2Z4, S3Z4, S4Z1). Diese solltest du unbedingt angleichen . entweder die genannten verkürzen oder alle anderen entsprechend positionierten Zeilen verlängern.

Hinterfragenswert ist auch der plötzliche Wechsel des Reimschemas in S4 - statt wie sonst ABBA plötzlich AABB. Ein Kniff, um Aufmerksamkeit für die Conclusio zu schüren?

Hier mal eine Version mit durchgehaltenem Hebungsschema 3443 (wie S1 der Ursprungsversion):

Sie hatte ihm geglaubt,
als Blumen an dem Feldrand sprossen
und Tage ihr in Goldnes gossen.
Denn Glauben ist erlaubt!

Sie hatte ihm gegeben,
als sanfte Küsse innig flossen,
hat sie es doch so sehr genossen
mit ihrem ganzen Leben.

Sie hatte ihm verziehen,
als Blumen ihre Köpfe senkten,
sich Zeigefinger warnend schwenkten.
Die Zeit war nur geliehen.

Erst als ihr Sohn ihn rügt,
weshalb er Mutter so belügt,
da findet er dem Kind kein Wort
und geht für immer fort.


S4Z2 habe ich mir aus sprachstilistischen Erwägungen abzuwandeln erlaubt, dein "immer denn" erschien mir etwas linkisch formuliert und eher wie ein Füllwörtermarathon ... - ich kann mir vorstellen, dass du es bewusst so formuliert hast, um die - linkische - Sprachhabung des Kindes anzudeuten, aber das Kind spricht ja nicht direkt selbst hier, und mir gefiel diese Stelle nun mal nicht, sorry.

Geändert habe ich auch S2Z4. Dein Satz wäre unvollständig, es müsste heißen "woben sich Reben hoch (oder entlang)". Wenn sie nur "woben", würde das heißen, dass sie wie Menschen eine Art Struktur oder Gewebe hergestellt hätten, eben mit einem Prozess das (aktiven) Webens. Dann hätte der Satz allerdings noch anfügen müssen, WAS die Reben dort an der Wand woben: Ein Muster? Einen Vorhang? Eine grüne Matte?
Sprache ist ein sehr akurates System, und man muss die Bausteine sorgfältig fügen, damit genau das ausgesagt wird, was man ausdrücken möchte, und korrekt gefügt nach den Regeln der Grammatik und Semantik sollte es auch noch sein. Dann noch schematisch gereimt und in einen vorgegebenen Takt passend - schwierige Sache ...  ;)

Nimm, was dir von meinen Vorschlägen brauchbar oder annehmbar erscheint - oder finde eigene Lösungen, solltest du ein Problem sehen.

Sehr gern gelesen und mitgebastelt!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Mai 15, 2020, 13:07:54 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Helden
« Antwort #2 am: Mai 16, 2020, 10:51:53 »
Hallo Agneta,

ein wunderschönes Werk!

Ein Gedankengang:

Sie hatte ihm geglaubt,
als Blumen an dem Feldrand sprossen
und Tage ihr ein Goldnes gossen.
Denn Glauben ist erlaubt!

Ich würde das Goldene hier in eine autonome Entität wandeln.

Sehr schön finde ich die vorletzte Zeile in der Formulierung.
Das ist schon sehr berührend!

Sehr gern gelesen!

vlg

EV


Sufnus

Re: Helden
« Antwort #3 am: Mai 17, 2020, 16:57:35 »
Ich jubele gerne mit, ganz ganz schöne Verse, liebe Agneta! :)
Und die, von eKy ganz richtig bemerkten, metrischen, kadenzigen ;) und reimschematischen Unregelmäßigkeiten stören mich persönlich hier gar nicht (bei manchen Gedichten mag ich ja schon eine Ebenmäßigkeit lieber, bei anderen aber nicht... ich bin inkonsequent ;) ). Auch die etwas kühnere Satzkonstruktion der transitiv webenden Reben ohne zugehöriges Objekt finde ich persönlich gerade reizvoll.. der Satz ist für mich mit ganz leichter Hand ins Gedicht "eingewoben" ;), macht den Text geschmeidig und beweglich.
Nur bei drei Zeilen bin ich aus verschiednen Gründen etwas gestrauchelt:

"und Tage ihr in Goldnes gossen": Den Satz durchdringe ich semantisch nicht so ganz, aber auf eine meinen Lesefluss etwas störende Art (es gibt auch semantische Uneindeutigkeit, die den Lesefluss beflügelt). Sind die Tage Subjekt oder Objekt und was mein "in Goldnes" hier? "in Goldnes" klingt auch etwas gravitätisch für mich... ein zu dicker Pinselstrich in der sonst so fein getupften Tuschzeichnung...

"hat sie es doch so sehr genossen": Sechs einsilbige Wörter hintereinander machen den Satz für mich sehr abgehackt und "unsanglich" (man könnte diese Zeile bis zum Wörtchen "so" auch als Trochäus lesen und weiß nur aus dem Kontext der anderen Zeilen bzw. wenn man beim "sehr" ankommt, dass hier jambisch geredet wird).

"weshalb er immer denn so lügt": Hier gehe ich mit eKy mit, die Zeile wirkt vergleichsweise etwas unbeholfener als die restlichen, sehr prägnant und doch elegant formulierten Verse.

Sind aber nur Peanuts. Großer Lesegenuss! Danke dafür, Agneta! :)

S.



Agneta

  • Gast
Re: Helden
« Antwort #4 am: Mai 17, 2020, 20:30:57 »
Meine lieben drei Lieblingskritiker,

ich möchte euch an dieser Stelle einmal danken, dass ihr immer so tief eintaucht in meine Werke, versucht, alles nachzuvollziehen und auch kritische Bemerkungen schreibt. Oftmals wird mir erst durch eure Bmerkungen klar, weshalb ich eigenlich dies oder das so und nicht anders schrieb. Ich überlege da meist vorher nicht. Schaue nur hinterher, ob Sprache und Kontext mir stimmig erscheinen.
Lieber Erich, der du zu den Formen stehst, lieber Suf, der du etwas offener bist und auch ein Spielen mit Sprache zulässt und lieber EV, der du , denke ich, mit dem Herzen liest- da kann man wirklich von Glück sagen, wenn man solche Kommunikationspartner hat. Danke dafür.
Darum warte ich gerne, bis ihr alle drei geschrieben habt, denn die Mischung aus euren Anregungen, ist nicht zu toppen.
Die Tage in ein Goldnes gossen, das werde ich mir überlegen, zu übernehmen.
In der Tat:
Ich habe ich hier mit Sprache und Form gespielt, hart und weich geschrieben, lautmalerisch mit vielen dunklen Vokalen, je, nach Kontext, darum auch die unterschiedliche Hebungszahlen , die harten 3 er bei dem Unumstößlichen. Auch am Anfang "denn Glauben ist erlaubt", das hat was Trotziges. Und das sollte es haben.
Denn nur so konnte der falsche große Held in den Augen der jungen Frau überhaupt einer werden, sein.
Danach kommen die melodischen 4 er Hebungen, etwas pathetisch, einlullend, so wie der Held , der keiner war, es bei der jungen Frau tat.
Die ersten 3 er-Zeilen aber weisen darauf hin, dass es nicht so glatt abgehen wird...
Die Reben, die , wenn man sich das mal vorstellt, wie ein Netz weben...das Netz des falschen Helden.
Der eigentliche Held ist der Kleine, der mit sprachlicher Einfachheit, aber hammerhart den falschen Helden stellt. Die kindliche Sprache habe ich extra gewählt, um diese ungeheure Diskrepanz zu betonen. Die Fähigkeit, mit einem Satz jemanden "abzuservieren", sei er auch noch so simpel gestrickt, der Satz, sowas muss wohl erblich sein. Dieses Kind ist 4 und mein Enkel!
Hat sie es doch so sehr genossen, ist das Einzige, was ich nur erklären kann mit: - hm kriegte ich nicht anders hin...

Vielen Dank nochmals und lG an euch drei von Agneta






Sufnus

Re: Helden
« Antwort #5 am: Mai 19, 2020, 10:22:06 »
Liebe Agneta,
das ist wirklich schön, wenn unsere Anmerkungen zu etwas nütze sind! :) Ich genieße den Reichtum der hier eingestellten Gedichte und die Vielfalt der Gedanken hierzu immer sehr! :) Lyrik ist für mich die subjektivste literarische Disziplin, die dem Autor und dem Leser am meisten Gestaltungsräume anbietet. :)
Diese Freiheit des Schreibens und Lesens von Gedichten ist wahrscheinlich genau einer der Aspekte, der für viele Menschen auch überfordernd wirkt... man denke nur an den armen Schüler, der einen Aufsatz über ein Gedicht schreiben soll und sich verzweifelt fragt, wo er nur anfange soll.
Das ist nebenbefundlich wohl auch der Grund, warum in der Schule Gedichtinterpretationen erstmal mit einer Formanalyse losgehen, da kann dann jeder nach Schema F was schreiben,:Vier Strophen, zwei Quartette, zwei Terzette, aha, eine Sonett-Form, Reimschema ABBA - CACA - BDB - DBD, nicht ganz klassisches Schema für diese Form... usw. usf... anschließend noch ein paar biographische Details zum Autor und ein paar aus den Finger gesogenen allgemeine Gedanken... alles gut und schön, aber es liest sich meist wie eine Gebrauchsanleitung und versprüht etwa so viel Charme...
Aber ich schweife ab... :)
LG!
S.

Agneta

  • Gast
Re: Helden
« Antwort #6 am: Mai 19, 2020, 12:31:15 »
natürlich hast du recht, lieber Sufnus. Das Schulwissen, je nach Schulart schon recht viel, ist der Anfang, schafft den Zugang zur Lyrik. So jedenfalls die Intention der Lehrpläne. Allgemeinwissen ist es für viele, nicht mehr. Doch die, die einen Deutsch LK belegen, bei denen ist der Samen in fruchtbare Erde gefallen. Bei mir waren es auch die Lateiner und alten Griechen, die mich mit ihren klugen Sätzen beeinflussten, wohingegen mich Courths-Maler eher amüsierte.
An uns, an denen, die sich für die Sprache als Hobby entschieden haben, gilt es nun, mehr daraus zu machen. Kurzprosa brauchte bei mir lange, bis sie mich packte. Nun habe ich einen eigenen Stil entwickelt und schreibe sie gern.
Ich freue mich, dass es dieses Forum gibt. Tatsächlich, und auch da stimme ich, dir zu, kann man hier Anspruchsvolles lesen.

LG von Agneta

AlteLyrikerin

Re: Helden
« Antwort #7 am: Mai 25, 2020, 11:31:19 »
Hallo Agneta,

als Neuling auf der Wiese möchte ich mich in die Reihe derer stellen, die Deine Verse als etwas Besonderes gelesen haben. Die rhythmischen Abweichungen stören mich nicht so sehr, wenn der Inhalt und die Bildsprache so anregend und reich daherkommen. Für mich ist nachvollziehbar, dass der Bruch erst eintritt als das Kind die Lügen beklagt.
Es gibt eine "männliche" Haltung, die Frauen ohne Grenzen erniedrigt, vor allem, wenn die Frau keinerlei Grenzen zieht, die aber Scham empfindet bei der Entlarvung durch das eigene Kind. Da gibt es dann nur Schuldgeständnis und sich ändern oder weglaufen.

Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

P.S. Mein Kommentar soll das Versagen der Frauen in Partnerbeziehungen und Liebesdingen nicht leugnen. Inzwischen verlassen die Frauen auch die Männer, was sie früher schlicht weg nicht konnten.

Agneta

  • Gast
Re: Helden
« Antwort #8 am: Mai 25, 2020, 11:57:25 »
liebe neue, alte Lyrikerin,

erst mal herzlich willkommen in unserem kleinen, aber feinen Kreis. Vielen Dank, dass du gleich eines meiner Werke kommentiert hast. Das freut mich.
Es geht hier ja um eine spezielle Situation, nicht darum, grundsätzlich Männer anzuklagen.
Es ging genau um den Punkt, den du erkannt hast.
Lieben Dank und viel Freude hier bei uns sagt und wünscht Agneta

wolfmozart

Re: Helden
« Antwort #9 am: Mai 30, 2020, 20:41:01 »
Ein ausgezeichnetes  Gedicht, Agneta.

Abgesehen von der tadellosen Technik ist natürlich der Inhalt und die Aussage sehr stark.
Und Strohpe für Strophe gut aufbereitet.

Lieben Gruß wolfmozart


Agneta

  • Gast
Re: Helden
« Antwort #10 am: Mai 31, 2020, 11:21:54 »
danke schön, lieber Wolf, das freut mich. LG von Agneta

stephanus mall

Re: Helden
« Antwort #11 am: Juni 01, 2020, 18:14:08 »
Liebe Agneta,
wenn ich solche Texte lese, da stockt
immer ein wenig das Blut in den Adern,
aber natürlich, auch das gehört zum
Leben, der nicht so schöne Teil.
Du hast es denke ich gut gearbeitet und
den Spannungsbogen mit dem Sohn
abruppt abbrechen lassen. Das verleiht
der schwierigen Thematik nochmal
Nachdruck und ein Achtungszeichen.
Über die anderen Dinge der Metrik wurde
bereits vieles gesagt, wobei ich damit, bis
auf den Vers mit dem Gold, kein Problem
habe, der verstörende Inhalt lässt viele
Spielarten des Metrum zu.
Hab es interessiert, mit leichtem Schauer
über dem Rücken gelesen, wird man durch
solche Themen doch auch immer wieder an
die eigenen Unzulänglichkeiten erinnert.
Beste Grüße
stm


Agneta

  • Gast
Re: Helden
« Antwort #12 am: Juni 01, 2020, 22:42:44 »
danke, Stephan, für deine Gedanken zu diesem Gedicht. Freut mich, dass es dich so packen konnte. LG von Agneta