Autor Thema: Complainte vom Versiegen  (Gelesen 1180 mal)

Sufnus

Complainte vom Versiegen
« am: Mai 15, 2020, 13:53:51 »
Complainte vom Versiegen

Du glaubst an Siege?
Schon zappelst Du im Leim.
Den Feind im Staub, das ist der Keim
für die Revanche und für neue Kriege.

Wir steuern nicht, wir treiben
und von uns allen bleiben
nur Souvenirs für Erben,
von jedem Sieg die Scherben.

Ach, wenn ich still und nächtlich bei ihr liege,
bin ich mir selbst mein eigner Reim,
bin außer mir, daheim,
glaub nicht an Siege.



Erich Kykal

Re: Complainte vom Versiegen
« Antwort #1 am: Mai 15, 2020, 14:42:43 »
Hi Suf!

Sehr schön das, und es bringt das Menschenspiel auf den wesentlichen Punkt: Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen! Zumindest im großen Rahmen betrachtet ...

Wahrscheinlich entstanden diese Zeilen im Hinblick auf den jüngst entstandenen Disput und seine philosophischen Implikationen. Gut, wenn derlei wenigstens in lyrischer Hinsicht positive Früchte trägt!

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Martin Römer

  • Gast
Re: Complainte vom Versiegen
« Antwort #2 am: Mai 15, 2020, 15:03:18 »
Interessant!
Das dachte ich schon beim Lesen kurz nach der Veröffentlichung.

Denn es gibt offensichtlich Reitgänge verschiedener Art.
Ich habe ja das Elend, mit Furcht an jedem Tag.
Für den Morgen gilt:
Neue Kriege wird es so oder so nicht geben.
Womöglich kann man bei so einem Schicksal wirklich von einem Steuern sprechen.
Und eigentlich auch das Übrige zurückweisen.
Und schließlich, der wohl romantisch gemeinte Schluss -
jetzo ist das nicht so wichtig, aber mein Herz gleicht einer blauen Blume - nicht schlecht für rechtschaffene Prinzessinnen....
Ich kann wohl manches nicht aus der Hand geben, auch über so viel verbrannte Erde - die "Visionen" bleiben da.


Es ist etwas hübsch Elegisches, gewiss. Und auch, verzeih, ein hübsches Lesezeichen für mein Archiv mit der Kommentierung,
sodass es einen neuen Tag gäbe.


Sich aufbäumende Grüße
M.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Complainte vom Versiegen
« Antwort #3 am: Mai 16, 2020, 10:07:11 »
Hallo Sufnus,

hochinteressant empfinde ich Strophe zwei und im Kontrast Strophe drei.

S2
nur Souvenirs für Erben,
von jedem Sieg die Scherben.

S3
bin außer mir, daheim,
glaub nicht an Siege.

Was sich erst in einem Wir begreift, entmantelt sich in Strophe drei zum "Ich" und erfährt sich selbst abgespalten und darin mündet auch Complainte respektive das erlebte Unglück
Auch neugierig macht mich in Strophe drei das Wort "ihr".
In Strophe drei könnte man das Füllwort "nur" als Dopplung missbrauchen, um den Grad der Empfindung zu steigern, oder etwas tricky: "nach jedem Sieg zerscherben".
Das sind keine Vorschläge für Verbesserungen, nur meine Gedanken, die beim Lesen entstehen. Vorschläge würde ich als solche kennzeichnen.

nur Souvenirs für Erben,
von jedem Sieg nur Scherben.

oder

die Souvenirs für Erben,
von jedem Sieg nur Scherben.


Ich bin immer wieder erstaunt welch Tiefe du in deine Texte schaffst. Wie schriebst du einst: "Unprofessioneller Dilettant?".
Welch eine Bescheidenheit!

Das Gedicht ist erste Sahne und lässt so viel Freiraum für Gedankengut ohne den Faden zu verlieren.
Eins deiner Diamanten hier, welches sich vor den großen nicht zu verstecken braucht.
Kompliment!

vlg

Ev
« Letzte Änderung: Mai 16, 2020, 10:44:55 von Eisenvorhang »

Sufnus

Re: Complainte vom Versiegen
« Antwort #4 am: Mai 17, 2020, 16:34:41 »
Vielen Dank für Eure Gedanken, eKy, Martin und EV! :)
eKy hat natürlich recht, der Text entstand "aus gegebenem Anlass" und ich hadere darin mit den Ressentiments im Allgemeinen, mit der Bosheit gegenüber Schwächeren und mit meiner eigenen Streitlust...
Und verzeih, lieber Martin wenn ich Dich missverstehe ("Hah!", wird eKy jetzt ausrufen ;) ), ich lese aus Deinem Kommentar die Idee heraus, nur ein Schicksalsgemenge aus Elend und Furcht ermögliche ein "Steuern".  Ach, ich weiß nicht so recht...
Ich mag den Bibelvers "Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.", weit mehr aber noch mag ich den Einspruch Peter Rühmkorfs: "Da wird sehr wohl gesät! So weit die Flügel tragen.".
Und Dir, lieber EV, kann ich nur für Dein warmes Lob danken... es freut mich sehr, wenn Dir die Zeilen was geben... und ich mag Deine Ideen zum Text und Deine Gedanken zu möglichen Formulierungen! :)
Dilettierende Grüße!
S.

Martin Römer

  • Gast
Re: Complainte vom Versiegen
« Antwort #5 am: Mai 17, 2020, 18:13:37 »
Werte Erquicknis, dergestalt zu plaudern - Kaffeezeit ist vielleicht noch nicht ganz herum.....

Du weißt nicht so recht?
Aber es ist nicht nur Idee, sondern (für mich zumindest ungeheuerliche) Realität.
Ich finde es auch nicht unlogisch - denn du hast ja von den Scherben und dem mickrigen Siegestum gesprochen
über Popanzen, über Strudelnde, über Kriegerkleinvieh eben...
Näher ist der Ritt an der Wahrheit doch dann, wenn es keine andere Möglichkeit gibt.

Der Bibelspruch ist für Zeiten der Liebe, der Eintracht oder dergleichen vielleicht ganz passabel.
Ansonsten habe ich erfahren, dass zu viel Vertrauen ins Luftgeschick von großem Übel ist.

Schön finde ich diesen Spruch:
Das Wort Krise setzt sich im Chinesischen aus zwei Zeichen zusammen - das eine bedeutet Gefahr, das andere Gelegenheit.
Ach, wenn ich mich doch endlich jetzt jetzt jetzt daran hielte.....

Tja, wollen wir hoffen, dass sich der zweite Ausspruch von dir erfüllt, dass das Verdiente mich trägt.

Holde Grüße
M.

Agneta

  • Gast
Re: Complainte vom Versiegen
« Antwort #6 am: Mai 18, 2020, 19:39:26 »
gefällt mir sehr gut, lieber Martin. Wer liebt, möchte nicht in den Krieg. Kluge Zeilen über die Sinnlosigkeit des Siegens.
Leider sicher ungehört in der heutigen harten Welt des Business.
LG von Agneta

Martin Römer

  • Gast
Re: Complainte vom Versiegen
« Antwort #7 am: Mai 18, 2020, 23:12:42 »
Hübsch ist es mit deinen Worten!
Unser Freund hat ja geschwiegen - was sind wir so verzagt geworden?
Nun gut, mir wiederum fallen da immer mal gern kleinere Sachen ein...

Was willst du denn, mein Jung, bejubeln und beklagen?
Ins Grab gehörst du elendiges Schicksalsschwein,
ins Grab gehört der kolossale Blutrauschreihn -
das würde wohl des Mitternachts mein Geistlein sagen.

Ach, das Geistlein - mal schauen, wann es sich wieder meldet.

Den Eroberungsglauben habe ich kaum je gehabt.
Desgleichen, was die Verachtung anbelangt.
Hingehen, missgünstig schauen und sich verwandelt fühlen - wie soll das möglich sein?

In der Welt des Aphroditischen ist der Aspekt ja der Gleichheit und Gewöhnlichkeit gewichen.
Alles gleich unerquicklich.

Ob jetzt Krieg oder Liebe, wie wäre der Grad der Unpersönlichkeit als gutes Maß?
Je mehr mit der eigenen Seele verknüpft, desto unwürdiger.

Natürlich muss ich beifügen, dass ich auch von Situationen gesprochen habe, wo es nicht um Krieg und Liebe geht.
Eine Narrenposse.....
Es erreichen dich meine Grüße jetzt noch in Windeseile, aber es muss jetzt auch endlich quasi nonchalant die Gewalt an sich genommen werden.

Bliebe noch die Welt des Business.
Das ist die Menschheit des blinden Geschicks, die dahinströmt. Am Dahinströmenden ist wenig zu machen.


Schlafwohlgrüßlein!
M.

Agneta

  • Gast
Re: Complainte vom Versiegen
« Antwort #8 am: Mai 19, 2020, 12:43:57 »
Ich finde, Martin, dass Business auch eine Art Krieg ist. Menschen werden ausgebeutet, gemobbt, schlecht bezahlt und gehen seelisch drauf.
Liebe, wenn man sie findet, ist ein gutes Gegenmittel, ich bleibe dabei. Man gibt sich nicht zwangsläufig auf, wenn man jemanden liebt. Ich würde eher sagen:Man teilt sich... Lächeln von Agneta

Martin Römer

  • Gast
Re: Complainte vom Versiegen
« Antwort #9 am: Mai 19, 2020, 19:08:19 »
Die Liebe ist, wie wenn man eine Blume gießt.
Ich habe itzund eine unglaubliche Kälte.
Und doch ward ich nicht jener, welcher sich verschließt.
Ich suche auch nach Terror bloß die blauen Zelte.

Insofern treibst du mich, mein Schatz, zum Resümee:
ich bin hinfort, was Singsang anbelangt und Teilen.
Ein Gutes hat es, denn ich fürchte kein Ade.
Ich will an grünen Büschen weilen und verweilen.


Abendgrüßlein
M.

Sufnus

Re: Complainte vom Versiegen
« Antwort #10 am: Mai 19, 2020, 19:40:53 »
Ihr Lieben!
Wie schön und inspirierend, Eure Gedanken zu lesen!
@Agneta
Du hast natürlich recht damit, Liebe & Krieg: die ultimativen Gegensätze. Aber warum werden diese beiden dann so oft zusammengesehen? Bei den alten Griechen zappeln Kriegsgott und Liebesgöttin gemeinsam im Netz des Hephaistos.
@Martin
 Deine Zeilen sind wieder bewunderungserregend! Sie verdienten wirklich alleine ohne mein Brimborium hier eingestellt zu werden. Und dieses mal sollte wohl auch Freund eKy keine Beschwerden haben und nach dem Sinnzusammenhang fragen... :)
LG!
S.