Autor Thema: Spiegelgericht  (Gelesen 792 mal)

Erich Kykal

Spiegelgericht
« am: Juli 30, 2020, 11:11:51 »
Wer wüsste nicht von wunderlichen Dingen
entrückt und voll Erstaunen zu erzählen?
Ein Glück, ein Weh, ein herrliches Gelingen,
ein Schicksal, hingegeben zu erwählen?

Was uns geschieht, wovon wir uns berichten,
es macht uns aus, die wir ein Sein durcheilen.
Erinnerungen können uns vernichten,
doch auch erretten und die Wunden heilen.

Wer wollte sagen, was sein Wesen prägte,
zu dem erzog, den nun sein Spiegel richtet,
als ob er alle seine Taten wägte
und nach dem letzten Bilde neu gewichtet.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

AlteLyrikerin

Re: Spiegelgericht
« Antwort #1 am: Juli 30, 2020, 12:08:43 »
Lieber Erich,


sehr schöne Verse, rhythmisch und inhaltlich wohlgestaltet. Besonders die zweite Strophe gefällt mir sehr gut. Bei der dritten bin ich etwas im Schwanken. Formal ist sie auch sehr gelungen. Es mag an mir liegen, dass ich die Metapher des richtenden Spiegels nicht so sehr mag. Wir selbst sind uns oft die härtesten Richter, und aus der Unfähigkeit uns zu verzeihen erwächst häufig ein gnadenloses Verurteilen anderer.


Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Erich Kykal

Re: Spiegelgericht
« Antwort #2 am: Juli 30, 2020, 18:09:51 »
Hi AL!

Mit dem "richtenden Spiegel" ist ja genau das gemeint: Dass wir uns selbst die strengsten Richter sind - denn wer schaut uns denn daraus immer so vorwurfsvoll an!?  ;) ::)

Ein Bild im übertragenen Sinne sozusagen. Der Spiegel, sprich das Selbstbildnis, steht als Symbol versinnbildlichend für das Selbsturteil.

Vielen Dank für das Lob!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Spiegelgericht
« Antwort #3 am: Juli 31, 2020, 12:53:04 »
Lieber Erich,

sehr schöne Verse. Im Spiegelbild dürfte sich aber auch ein genetisches Erbe zeigen.

Mit Genuss gelesen.

Beste Grüße von gummibaum

Erich Kykal

Re: Spiegelgericht
« Antwort #4 am: Juli 31, 2020, 19:24:04 »
Hi Gum!

Wenn wir uns im Spiegel betrachten, sehen wir immer auch das Gesamtbild unser selbst, spätestens wenn wir den Mut haben, uns selbst in die Augen zu schauen. Was wir sehen, gefällt uns selten, aus unterschiedlichen Gründen.

Vielen Dank für deinen Beitrag.  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Spiegelgericht
« Antwort #5 am: August 01, 2020, 08:38:24 »
Da triffst du, lieber Erich, genau mein Bild, was ich immer sage: Nicht was die anderen über einen sagen, ist wichtig, ich muss selbst noch in den Spiegel schauen können... Schöne und nachdenkliche Zeilen. LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Spiegelgericht
« Antwort #6 am: August 02, 2020, 11:56:26 »
Hi Agneta!

Ja, genau! Das meinte ich. Mag es sich im alltäglichen Ritual auch abnutzen, siehe Zähneputzen, Kämmen, Schminken (bei euch), irgendwann macht man es doch wieder bewusst, und dann erkennt man sich  - MUSS sich erkennen, in der Gesamtheit all dessen, was die Jahre brachten, und dann ...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Eleonore

  • Gast
Re: Spiegelgericht
« Antwort #7 am: August 07, 2020, 18:37:28 »
Hi Erich,

mein kritischer Spiegel ist je nach Tagesverfassung auch liebevoll oder zum Schalken aufgelegt.
Es ist nicht unbedingt die letzte Tat, die ihn färbt.
Was ihn färbt, dem versuche ich immer wieder mal auf die Schliche zu kommen,
denn ich möchte mir selbst eigentlich eine gnädige Richterin sein und keine Aburteilende.

Ein paar Ingredienzien habe ich schon rausgefunden -
und das ist u.a. auch das, was ich den ganzen Tag lang gegessen habe.
Gestern bspw. Industrienahrung einer Großküche und haufenweise Zuckerkram.
Das rächt sich dann abends mit sehr miesen Gefühlen.

Soweit meine Ideen zu Deiner dritten Strophe.

Zu Deiner zweiten Strophe fällt mir ein,
dass mich schöne Erinnerungen durchaus aufbauen können ....
ja durchlichten schon fast.
Schlechte Erinnerungen allerdings verlieren mit den Jahren an Bitterkeit und Macht.
Da bin ich froh drüber.

Ja, zu manchen Zeiten im Leben
scheint einem das Schicksal hold, fast als stünde der Himmel offen.
Dies meine Assoziation zu Deinen ersten vier Zeilen.

Ein schönes und berührendes Gedicht.

lG Eleonore


Erich Kykal

Re: Spiegelgericht
« Antwort #8 am: August 07, 2020, 21:34:02 »
Hi Eleonore!

Nicht aller Richter im Spiegel will gnädig sein ...

Aber schön, wenn er's ist.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.