Autor Thema: Das körperfeindliche Christentum  (Gelesen 941 mal)

Erich Kykal

Das körperfeindliche Christentum
« am: August 27, 2020, 13:46:54 »
Bin ich ein Sünder, weil ich gerne Pornos gucke? -
so fragt bestimmt sich mancher reuevolle Christ.
Wär's besser, wenn ich brav mich in den Schatten ducke
der stillen Kreuzgestalt, die mein Erlöser ist?

Wer kann schon sagen, was mein Gott sich dabei dachte,
als er des Mannes Stolz mit einem Penis machte?
Nach seinem Ebenbild, so steht es doch geschrieben!
Ach wär ich doch ein kleines Unschuldskind geblieben,
das seinen Schniepel nur zum weiten Strullen brauchte,
und Mädchen bloß beim Baden lachend untertauchte!

Bin ich verdorben, weil ich jeden Tag begehre? -
so fragt bestimmt sich manche reuevolle Christin.
Macht mich das Kreuz, das ich so liebevoll verehre,
in meinem Dasein selbst zur schweigenden Statistin?

Wer kann schon wissen, was mein Gott sich dabei dachte,
als er das Weib mit so sensibler Scheide machte?
Aus eines Mannes Teil, so steht es doch geschrieben!
Ach hätt er mir die Lust dabei doch ausgetrieben,
die heut mich fallen macht und die Gesetze brechen,
die von Entsagung, Demut und Verdammnis sprechen!

Sind wir Verworfene, die sich vergeblich winden,
um strenger Sittlichkeit und Abkehr zu genügen?
Sind der Genuss, das Glück, die wir im Taumel finden,
tatsächlich bloß Versuchung und des Satans Lügen?
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

AlteLyrikerin

Re: Das körperfeindliche Christentum
« Antwort #1 am: August 27, 2020, 17:04:39 »
Hi Erich,


wahrscheinlich erwartest Du das nicht, aber das Gedicht gefällt mir - bis auf ein paar Kleinigkeiten - sehr gut. Die Kleinigkeiten betreffen nicht die stilistischen Mittel, sondern ein paar inhaltliche Punkte.
1. "Körperfeindliches " Christentum: die christliche Sprache kennt Leib, Seele und Körper als in diesem Kontext mögliche Begriffe. Körper meint allerdings etwas Totes (übrigens auch im Englischen (corpse im Gegensatz zu body). Gunther von Hagens nennt seine Ausstellung von plastinierten Leichen daher auch völlig zu Recht "Körperwelten".
2. Ich denke, das Christentum ist nicht körperfeindlich, sondern (zu einem Teil noch) sexualfeindlich. Das ist, so denke ich schon vom Judentum geerbt und unkritisch übernommen worden. Der Priester musste kultisch rein sein, durfte also unmittelbar vor dem Dienst im Heiligtum keine unreine Handlung begangen haben, wozu auch der Coitus zählte. Die Sexualität wurde im Christentum lange Zeit als notwendiges Übel zur Fortpflanzung gesehen und darum in den Ort der Ehe "verbannt" als einzigen Ort erlaubter praktizierter Sexualität. Das war so lebensfern, dass es wohl niemals wirklich praktiziert wurde; vor allem nicht nach der sogenannten sexuellen Befreiung.
3. Verantwortlich gelebte Sexualität wird von Christen mehrheitlich nicht als etwas Negatives gesehen, inklusive Homoerotik. Pornografie sehe ich allerdings als etwas Negatives, was die Psychotherapie auch bestätigt, vor allem, wenn es um pornografischen Konsum von Kindern geht. Dennoch denke ich, hat niemand das Recht, einem Erwachsenen den Konsum pornografischer Bilder  bzw. Filme zu verbieten.


Insgesamt trifft das Gedicht sehr schön den moralinsauren Duktus von Theologen, die ganz und gar übersehen, dass ein Schöpfer den Menschen genauso geschaffen hat; sozusagen mit einem Instrumentarium für lustvolle Sexualität.


Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Erich Kykal

Re: Das körperfeindliche Christentum
« Antwort #2 am: August 27, 2020, 18:10:25 »
Hi AL!

Warum hätte ich denken sollen, das Gedicht könnte dein Missfallen erregen? Ich setze nicht voraus, dass meine Leserinnen moralverkrampfte bigotte Kampfschachteln sind, deren oberstes Gefühl von "verbotener Erotik" darin besteht, sonntags den stattlichen Herrn Pfarrer oder Pastor heimlich bei der Messe anzuhimmeln ...  ;) ;D

Zur Nomenklatur:

Wenn ich von "meinem Körper" spreche, meine ich durchaus meinen lebendigen Leib, ebenso meint der Begriff der Körperfeindlichkeit im Christentum nicht einen toten Leib. Er ersteckt sich viemehr auch auf das Sexuelle: Im Mittelalter durften sich nicht mal Eheleute (in der gehobenen Gesellschaft) beim Beischlaf nackt sehen oder spüren - man denke an die bekannten Nachtgewänder mit sittsamem "Eingriff" an nötiger Stelle - und NUR dort! Noch Monty Python machte sich darüber lustig, dass Katholiken mit jedem Geschlechtsverkehr auch ein Kind zeugen müssten, weil er nur zu ebenjenem Behufe erlaubt und statthaft sei - und Kondome eine Erfindung des Teufels wären.
Das Begehren des menschlichen Leibes galt als unmoralisch im Sinne des Glaubens, es galt eher als Versuchung des Satans. Es war, als würden die zum Zölibat verdammten Priester und Geistlichen aller Ränge den "normalen" Leuten den Genuss der Lust missgönnen und ihnen darum diese Verdammung der Lust einreden.
Das Natürliche wurde zur Sünde, zum Schmutz erklärt, weil nur das "Unberührte" rein im Sinne des Glaubens sein könne.

Heute haben wir zum Glück weitestgehend diese Perversion überwunden, aber in Resten und gewissen Zonen der Erde gilt diese Ansicht nach wie vor. Erzkatholische Regionen begehen immer noch schreiendes Unrecht an Menschen, die in ihren Augen "gefehlt" haben! "Gefallene" Töchter (seltener Söhne, und das auch nur, wenn sie Mädchen sein wollen ...) werden von ihren Familien verstoßen, selbst die Priester dieser "Religion der Liebe" hetzen gegen sie und verbannen sie aus ihren Gemeinden, anstatt Mitgefühl und Toleranz zu üben. Sie tun, was sie sich im modernen, aufgeklärten Europa niemals mehr trauen würden, mit der Selbstverständlichkeit und Selbstgefälligkeit der in der Gnade des wahren Allmächtigen Stehenden, dessen geschriebenes Wort jene verdammt, die sich nicht den rigiden Regeln dieser Kirche beugen.
Vom immer noch existenten mönchischen/klösterlichen Leben ganz zu schweigen, das nicht einmal die Sünde Onans erlaubt ...
Vom Remter bis zum Vatikan - nach wie vor propagieren die konservativen Kirchenvertreter dieses verdehte Konzept der Reinheit ohne Sexualität, das Gläubige zur Lüge oder zu langem Leiden zwingt (meist zu beidem), oder die kirchliche Ehe als nach wie vor einzige Möglichkeit, dem Verderbnis der Lust zumindest einen gesellschaftlich erträglichen Rahmen zu geben - und die hat immer noch ein Leben lang zu gelten, egal wie unerträglich sich die Partner womöglich geworden sein mögen!

All diese unnatürliche, kranke Verkrampfung ist leider so tief in den kirchlichen Strukturen verwurzelt und tradiert, dass ein Umdenken selbst in modernen Zeiten nahezu unmöglich erscheint. Der einzelne mag sich sein Christentum für die gute Stube daheim stricken, wie er lustig ist, aber die Institutionen der Kirche sind nach wie vor verknöchert, verkrustet und unerträglich in ihrer herablassend salbadernden aufgesetzen "glühenden Gelassenheit" der in der göttlichen Gnade Stehenden mit Anspruch auf absolute Überzeugung. Allein für diese freiwillige intellektuelle Selbstbeschneidung, die sie vor jeglicher Selbst- oder Glaubenskritik retten soll, haben sie sich meine Verachtung verdient.

Nicht, dass mich aufgeklärte, "lockere" Pfarrer mehr beeindrucken würden - sie manipulieren nur mit anderen, vielleicht sogar perfideren Mitteln ...

LG, eKy
« Letzte Änderung: August 01, 2022, 10:10:43 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Das körperfeindliche Christentum
« Antwort #3 am: August 29, 2020, 18:18:54 »

Lieber Erich,
hier stehen sich zwei unvereinbare Extremwelten gegenüber im Gedankengut:
 Der menschenfeindliche und vor allem frauenfeindliche Porno, der Frauen als Objekt darstellt und den Mann als Superman und die katholische Kirche, die mit ihrem Zölibat und ihren triebfeindlichen Ambitionen nicht mal die Kinderschänder in den eigenen Reihen ausgemerzt bekommt. Wo sich Priester früher selbst geißelten ob ihrer Sexualtriebe. Pervers und abstrus.Schüttel.
Die Kirche hat das gefordert, nicht der Glaube. Oder gar ein Gott, der christlich wäre. In der Bibel steht: Seid fruchtbar und mehret euch. ja, ohne Sex wird das wohl  nicht gehen. Die Kirche bestimmte, das das keinen Spaß machen darf und nur praktiziert werden um Kinder zu machen.
Beides geschrieben aus der Sicht eines streng katholisch geprägten Menschen.
Ich würde nämlich als Christ ohne Kirche und auch früher mit Kirche diesen Gegensatz gar nicht so extrem schaffen. Längst hat die Kirche keinen hohen Stellenwert mehr in der Gesellschaft, wird eher als vorsintflutlich belächelt.
Ohne diese kirchlichen Attribute ist Sexualtrieb sehr unterschiedlich und wer jeden Tag will, der soll. Das ist privat. Weder toll noch schlecht. Einfach privat. :)
LG von Agneta

gummibaum

Re: Das körperfeindliche Christentum
« Antwort #4 am: August 30, 2020, 10:54:34 »
Vielleicht sollten wir den Gegensatz geistig-körperlich aufgeben. Denn das Geistige ist etwas Körperliches und das Körperliche etwas Geistiges. Dann  fällt diese sinnlose Feindschaft in sich zusammen, und wir leben die Einheit, die ohnehin besteht.

LG g
     

Erich Kykal

Re: Das körperfeindliche Christentum
« Antwort #5 am: August 30, 2020, 11:43:39 »
Hi Agneta!

Vom alten "Macht euch die Erde untertan!" bis zum heutigen "Wir sind etwas Besonderes!" - viele Menschen finden nicht "privat" ihr inneres Gleichgewicht, sondern in der Hingabe an (oder Unterordnung in  - je nach Sichtweise ...) eine religiöse Gemeinschaft, die mehr oder weniger aggressiv missioniert.
Diese Gemeinschaften mit ultimativem Wahrheitsanspruch sind es, die indoktrinieren, manipulieren, die Einfältigen ausnutzen, die Täter schützen, Macht ansammeln, politisch oder finanziell. Und weil es menschgemachte Konglomerate sind, sind sie ebenso fehlerhaft, arrogant, blindwütig und grausam wie dieser, wenn er sich seiner Hybris anheimgibt.

Man denke an Scientology - moderne Gehirnwäsche, Überwachung, Unterdrückung durch Gruppendruck und Psychoterror. Oder die berüchtigte Colonia Dignidad - die Kopfgeburt eines gewissenlosen Knabenschänders, die ihm lebenslang dazu diente, an immer neue Kinder zu kommen - und die alten Opfer schwiegen, und die Eltern waren ahnungslos, oder wollten es sein ...
Dagegen sind die lokalen Auswüchse der katholischen Kirche noch eher harmlos. Fußen aber auf demselben Prinzip gruppendynamisch ausgeübten Glaubens, der letztlich geistig unfrei und unmündig macht. Statt selbst zu denken, holt man sich beim Pfarrer Rat, oder beim Rabbi, oder beim Imam, oder beim Mullah ...

Im Grunde sind solche kulturellen und sozialen Gruppendefinitionsmittel eine Art "sanftes Militär". Auf Kommandoton wird verzichtet, weil sich jeder freiwillig der Sache und ihren Vertretern unterordnet, um so Teil der Gemeinschaft sein und bleiben zu können. Dass dies manchen Menschen wichtiger ist als selbst die Liebe zu den eigenen Kindern, beweisen die Verstoßungen: "Gefallene Mädchen" wurden in Europa noch bis vor 50 Jahren von Vätern oder dem Pfarrer aus den Dörfern gejagt oder geprügelt, nachdem man sie in der Messe öffentlich beschimpft und "abgeurteilt" hatte. Homosexuelle Söhne schwiegen lieber, denn die wurden nicht selten von den eigenen Vätern ermordet, still und heimlich, um die Familienehre nicht zu beschmutzen ... Mit unbotmäßigen Mädchen wird im Islam heute zuweilen noch so verfahren - man denke an die "Ehrenmorde" an allzu westlich agierenden Töchtern ...
Ganz zu schweigen von den Glaubenskriegen, zu denen sich die aufgehetzten Massen immer wieder versteigen: Kreuzzüge, Dschihads, praktisch das ganze Alte Testament, das dazu aufruft, alle Ungläubigen abzuschlachten, mit Frauen, Kindern und dem lieben Vieh! Der Koran, der diesbezüglich auch zitabel ist ...

Keine noch so moderne und aufgeklärte Zvilisation verhindert dauerhaft, dass immer wieder Menschen aufkommen, die solch rigides Gedankengut vertreten und in die Welt tragen. Da geht es immer auch um Macht - und leider sind die meisten Menschen immer noch dumm und/oder ungebildet genug, um solchen Demagogen und Verführern auf den Leim zu gehen: Du musst nicht privilegiert sein, nicht klug und begabt: Komm zu uns, verschreibe dich der "Wahrheit", und du bist allein schon daraus etwas Besonderes, Reines, Überlegenes! Ob über Genetik kolportiert, wie der schon religiöse Rassenwahn der Nazis, oder über die "korrekte" Geisteshaltung und Einstellung - mit Speck fängt man Mäuse!
Man denke an die Zeugen Jahovas, die propagieren, dass man nur als ihr Mitglied ins Paradies kommt, weil nur sie die "wahren Reinen" seien. Das meinen sie durchaus körperlich: Sie lassen die eigenen Kinder eher verrecken, als Bluttransfusionen von Ungläubigen zu gestatten, die deren "heiliges" Blut verunreinigen würden. Lieber tot im eingebildeten Paradies als die Chance auf ein erfülltes Leben ...

So gibt sich der Mensch lieber allen Arten der Perversion hin, zu denen seine fiktiven Welterklärungskonstrukte unweigerlich gerinnen, als endlich einzusehen, dass er damit letztendlich nichts erreicht, außer die eigene Evolution zu be- oder verhindern. Erhaben macht uns kein einziger Glaube wirklich - nur innerlich wie äußerlich kleiner, egal, wie sehr wir uns das Gegenteil einreden und uns verzweifelt bis fanatisch ans Geglaubte klammern, bloß weil wir uns selbst nicht die innere Kraft zutrauen, selbst und eigenverantwortlich einen würdigen Lebensweg zu generieren.

Es ist diese jämmerliche Bedürftigkeit nach Unterwerfung, Führung und Anbetung, die mich an der Menschheit zweifeln macht, und zwar von beiden Seiten: die Bedüfrtigkeit der einen danach, sich unterzuordnen und das eigene Bewusstsein und Gewissen nach vorgegebenen Normen zu gestalten oder zu verbiegen, ebenso wie die Bedürftigkeit der anderen danach, diese soziale Demut für ihre eigenen Machtgelüste zu instrumentalisieren. Täteropfer und Opfertäter in ewiger unentrinnbarer Verstrickung. Das sind Religionen. Gäbe es das immanente Bedürfnis nach "Glauben" nicht, all diese "Postulate der ultimativen Wahrheit" wären unnötig und würden sofort als genau so lächerlich und jämmerlich entlarvt werden dürfen, wie sie eben sind.
Leider scheint der Mensch diesbezüglich nicht lernfähig zu sein: Hunderte, ja tausende Götter hat er sich im Laufe seiner Entwicklungsgeschichte (oder geistigen Stagnation ...) der letzten Millennien erschaffen, sie unterschiedlich lang weitergetragen und schließlich verworfen und vergessen. Seit Jahrhunderten graben wir die Überreste davon aus - und kommen dennoch nicht zum logischen Schluss, da wir scheinbar ganz natürlich annehmen, das "aktuelle" Welterklärungsmodell im "aktuellen" heiligen Buch wäre GAAANZ sicher endlich das einzig Richtige - muss es ja sein, hat uns ja der Gott selbst in die Feder diktiert ...
Gegen soviel Borniertheit und unbewusst bewusste Selbstblendung ist leider (noch) kein Kraut gewachsen.

Und der Vorschlag: Gott für jeden allein und innerlich, wie jedes Individuum ihn für sich braucht und haben will? Ist das wahrer, nur weil es keinem anderen ans Bein pinkelt? Ist das nicht immer noch dieselbe armselige Bedürftigkeit, die jederzeit wieder in einen Gemeinschaftswahn umschlagen könnte? Ist das nicht sogar die allerletze Perversion: Jedem seine eigene, individuelle Fiktion, um eine Schwäche zu stützen? Ist das nicht letztlich die Bankrotterklärung des religiösen Denkens an sich?
Wenn es beliebig viele Gottversionen geben darf, dann gibt es im Umkehrschluss eben NICHT diese behauptete ultimative Wahrheit, zu der alle bisher Ungläubigen (in ihrem eigenen Interesse natürlich ... - he, erzähl mir noch einen!) hingeführt werden sollen. Das führt das Konzept der Religion an sich ad absurdum.
Aber da Glaube nichts mit Logik oder Einsichtswillen zu tun hat (man denke nur an die vielen Widersprüche in der Bibel - scheinbar kein Problem für die braven Beter ...), spielen solche Überlegungen leider keine Rolle.

Erst wenn es der Menschheit gelingt, insgesamt ihre Bedürftigkeit zu überwinden, dieses leidige Ameisendenken abzuschütteln, wird sie keine Gottheiten mehr benötigen, um sich sicher zu fühlen. Nur wenn sie ihre geistige "Kindheit" hinter sich lässt, dieses freiwillige Verharren in Unmündigkeit, nur um sich geborgen und mitgenommen fühlen zu können - erst dann könnte ich in einer Gesellschaft leben, in der ich mich einigermaßen wohlfühle. Wird also nix damit zu meinen Lebzeiten ...

LG, eKy


Hi Gum!

Interessanter Vorschlag. Ich denke, die Ursachen für das Bedürfnis nach Religion oder Gottexistenz fußen auf der intellektuellen Unreife der evolutionär noch unfertigen Menschheit an sich. Wir verhalten uns diesbezüglich auch als Erwachsene immer noch wie Kinder, wenn man es genau betrachtet. Der Gott - und der Pfarrer als sein be"glaubigter" Vertreter auf Erden werden zur Vaterfigur, zur übergeordneten Instanz, nach deren Wirken und Wollen alles zu funktionieren habe.

Wenn diese Instanz also vorgibt, man müsse gewisse Körperteile und -funktionen verachten und tabuisieren (so als hätte Gott sie nur eingebaut, um die wahrhaft Gläubigen durch Versuchung zu prüfen - denn "geirrt" kann er sich ja beim Konstruktionsplan nicht haben, so als Gott, oder? Dass die Bibel gleichzeitig postuliert, ebendieser Gott hätte "den Menschen nach SEINEM Bilde erschaffen", scheint für die Glaubenden kein Widerspruch zu sein. Zuerst mal gibt es für sie keine Geschlechterverwirrung: Gott muss ein Mann sein, denn Adam wurde zuerst erschaffen, als Ebenbild Gottes eben. Deshalb ist (nach religiösem Postulat) die Frau auch wertloser, halt nur geworden, damit der Mann sich fortpflanzen kann. Wenn aber die Frau erst für Adam entstand - wozu hat Gott dann einen Penis? - Man merkt bei nur ein wenig klarem Nachdenken, wie widersinnig religiöse Modelle sind, aber wer will schon klar denken, wenn es um den Glauben geht?), dann wird das unreflektiert so übernommen. Das Körperliche gerinnt aus dem Geistigen, genauer aus der geistigen Unfreiheit derer, die aus innerem Bedürfnis glauben wollen oder müssen. dieses Bedürfen ist oft stärker als der eigene Überlebenswille, als die Liebe zu eigenen Kindern: Hier regiert das Ameisendenken sozialer Strukturen, die insgesamt ein sichereres Überdauern zu garantieren scheinen, nicht zuletzt dank der Perspektive eines "garantierten" Lebens nach dem Tode.

LG, eKy
« Letzte Änderung: August 01, 2022, 10:25:13 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Das körperfeindliche Christentum
« Antwort #6 am: August 30, 2020, 13:33:32 »
Es gibt ja auch Christen, die andere Menschen in Ruhe lassen, jene sind mir die liebsten.  Die können von mir aus ihr Ding machen, solange sie mich mit ihren "Gott vergibt-Aufklebern" verschonen.
Die Gruppierungen, die radikal auf Mission sind unterliegen definitiv einen pathologischen Fundamentalismus, der keine konstruktive und offene Diskussion mehr mit anderen Positionen zulässt.
Meine Erfahrung mit Menschen aus der Branche ist folgende: ganz ganz wenige sind nett und respektieren und akzeptieren andere Positionen und bedrängen nicht. Und der Rest ist derart befüllt mit Sünde, dass er dringend den Freispruch von Gott braucht und er sich, wahrscheinlich aus genau diesen Gründen, auch diesen Gruppen anschließt.
So kann er jederzeit seine Sünden ausleben und in der Kirche Vergebung erfahren, weil Gott das ja macht.

Erst letztens wieder so einen Spruch aufgefasst...

"Tiefe Verletzungen lassen sich nur mit Gotteshilfe bewältigen, komm mit in die Gemeinde und sage "Ja!" zu Gott, dann wird er Dich retten und dann kannst du vergeben."

Ich so: "Ich brauch jetzt dringend ein Eis..."

Oder länger her, weil ich mehrere Tätowierungen habe:

"Gott duldet keine derartigen Verunreinigungen am Körper, so etwas ist unrein".

Ich so: "Hab bald nächsten Termin".  ;D

vlg

EV
« Letzte Änderung: August 30, 2020, 13:38:54 von Eisenvorhang »

Erich Kykal

Re: Das körperfeindliche Christentum
« Antwort #7 am: August 30, 2020, 18:43:13 »
Hi EV!

Was das anlangt: Bin selbst tätowiert!  ;D >:D

Ich würde so einem Missionar antworten: "Ich brauche keinen fiktiven Gott, der mir vergibt. Entweder ich schaffe es, mir selbst zu vergeben oder nicht, aber ich stehe zu meinen Mängeln, die mich zum "Sünder" machen nach religiöser Lesart. Wer Vergebung braucht, bzw. einen Gott braucht für seine Vergebung, projiziert nur, weil er zu feige ist sich einzugestehen, dass er nie perfekt "gut" sein wird. Einfach, weil kein sterbliches Wesen das überhaupt KANN.

Aber das wär dem vermutlich schon zu hoch und zu lang ...  :o ::)

Also lassen wir den ach so Bedürftigen ihre kleinen Schubladen, die zu ihren kleinen, unfreien Denkstrukturen passen, und gönnen ihnen den angenehmen Schauder ihrer Rechtschaffenheit im Angesicht unserer Sündhaftigkeit! Unsere Welt ist zu groß für ihre Begriffe, zu weit die Kreise, die wir ziehen - und das wiederum klingt ja auch schon wieder wie die Hybris eines in der Gnade seiner Überlegenheit Stehenden (bloß dass wir keine Macht, keine Kraft von außen borgen müssen, wie die Gottestrottel es tun ...  ;) >:D), also Vorsicht! Womöglich klopfen bald demütige Verunsicherte an unsere Türen, die einen neuen Messias suchen, dem sie folgen können ...  ::) :o

Danke für deine inspirierenden Gedanken!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Das körperfeindliche Christentum
« Antwort #8 am: August 30, 2020, 19:34:37 »
 ;Wie gut, dass ich dieses jämmerliche Bedürfnis zur Unterwerfung und Anbetung nie hatte. ich denke auch nicht, dass es sich mit 62 noch entwickelt. GGG
Es ist nicht das, Erich und EV hat recht. Es gibt auch andere Christen, ja , es gibt auch andere Muslime. Religion ist nicht der Nabel der ´Welt, wenn man nicht dahingehend geprägt ist. Schuld, wenn man das so sagen kann, wären also die Eltern, die einem eine Religionsbedürftigkeit anerzogen haben.
Letztlich ist es aber auch eine Charakterfrage, wie sehr und intensiv sich jemand an der Akzeptanz und Anerkennung anderer orientiert. Wie wichtig sie ihm ist. Das Dazugehörenwollen um jeden Preis treibt die Leute in solche Gruppen, in die Abhängigkeit. Und da unterscheiden sich die Rockergruppen wenig von der Kirchengruppe in ihrem Ansatz. Uniformisten, die sich einer Sache unterordnen.  ;D
Ich war nie gruppenaffin und hatte darum solche Probleme nicht.

Eine Gläubigkeit ohne Kirche an einen Gott, eine Macht, die alles fügt und schuf, warum  sollte das pervers sein? Nur, weil es nicht konform ist? Wer weiß schon, was es alles gibt, was wir nicht sehen?
Nein, Mein Gedicht Wahrheit war hiervon nicht inspiriert. Ich schrieb es nach einer Diskussion mit meiner Tochter über einen Freund... LG von Agneta

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Das körperfeindliche Christentum
« Antwort #9 am: August 30, 2020, 23:33:49 »

Eine Gläubigkeit ohne Kirche an einen Gott, eine Macht, die alles fügt und schuf, warum  sollte das pervers sein? Nur, weil es nicht konform ist? Wer weiß schon, was es alles gibt, was wir nicht sehen?


Ich finde das nicht pervers, eher verhältnismäßig gesund. Die Frage ist ja auch, was macht der Mensch mit den Dingen, die ihm in die Hände geraten und das ist das Gefährliche.
Natürlich kann es eine Schöpfung geben, denn schon allein der philosophische Grundsatz kann ja nur lauten, dass nichts nicht aus dem Nichts entstehen kann.
Das etwas urplötzlich da war macht einfach keinen Sinn und viele Dinge in der Natur sprechen eigentlich eine klare Sprache. Als Beispiel der Lebenszyklus der Jahreszeiten oder wie unsere Physiologie funktioniert.
Vielleicht haben die modernen Amerikaner in der Wissenschaft mit dem Neoliberalismus (Nämlich Wissenschaft und dabei Gott nicht auszuschließen -> Intelligent Design) ja gar nicht so unrecht. 

Aber da ist dann halt der Mensch und er merkt welche Macht man mit Religion generieren kann. Die Geschichte untermauert dieses Argument, denn was haben die Kirchen, die durch Menschenhand geführt wurden bewirkt? Außer Weihwasser, Kekse und tausende Leichen nicht viel Gutes. Vielleicht mag Religion für "schlichtere" Gemüter Hoffnung spenden und Wärme, was toll ist wenn Menschen darin Frieden finden, aber dann sollen sie auch in Frieden leben und andere in Frieden leben lassen.

Ich mache da sehr viel mit Intuition, denn nicht umsonst wurde Intuition uns gegeben und ich merke das immer aufs Neue: Mein Bauchgefühl alarmiert mich bei Blödsinn und schweigt, wenn etwas gut ist. Darunter können durchaus Christen fallen. Wie gesagt, es gibt sicherlich welche, die ihren Glauben nach innen tragen und das wertschätzen und das merkt man dann auch oft an der Begegnung, wo ihre Überzeugung durch Taten, Verständnis, Kritik am Mensch und Weisheit spricht und nicht durch (manipulierende) Worte.

Es gibt ein paar Sachen aus der Bibel, oder wo auch immer die stehen, die ich ganz cool finde. Die Kraft zu haben, dass man Dinge nicht ändern kann, die sich nicht ändern lassen.
Sanftmütig zu sein, Nächsten liebend (Im Sinne von ich bin nett und lieb zu jeden und vor allem zum Tier), und das man immer gut handeln soll (jedenfalls sich Mühe geben...).

Da gibt es aber auch ganz viel Unfug und Käse.
Meine Erfahrung ist wirklich jene: Menschen, deren Überzeugungen waren, dass sie nicht an Gott glauben, die waren um Meilen christlicher als Christen, die von Gott überzeugt waren.
Und das Bild bestätigt sich mir immer wieder aufs Neue.

Wem aber die Religion holt und ihn zum Propheten erhebt, der ist nicht nur dumm, sondern offenbar auch narzisstisch veranlagt.

 
« Letzte Änderung: August 30, 2020, 23:53:49 von Eisenvorhang »

Erich Kykal

Re: Das körperfeindliche Christentum
« Antwort #10 am: August 31, 2020, 01:23:27 »
Hi EV!

Das erklärt sich fast von allein: Menschen, die sich gern in Glaubenskonglomeraten sammeln, weil sie eine klar geordnete, einfache Welt präferieren oder sich in elitärer Gesellschaft behüteter bis erhabener fühlen, sind eben simpel gestrickte Gemüter. Was nicht in ihr Schema passt, wird ausgegrenzt, tabuisiert, verworfen, verachtet und gehasst. Vom "gefallenen Mädchen" bis zur Hexenverbrennung, vom gezüchtigten Knaben, der Sünde Onans überführt, bis zur Steinigung Andersdenkender. Rigide, beengende Lebensdirektiven entheben jeder Eigenverantwortung, auch für alles, was der Glaube (oder deren Sprecher) verlangt, um "rein" zu bleiben oder sich auszubreiten.
Solche stupiden Ameisenseelen können nicht tolerant, weltoffen und freidenkerisch sein.
Dasselbe gilt übrigens für die politischen "Sektierer": Fanatismus braucht nicht unbedingt einen Gott - es gibt jede Menge Gottersatz: Führer, Diktatoren, selbsternannte Erlöser und Heilsbringer, ja selbst politische Ideen von beängstigend abstruser Menschenverachtung und arroganter Niedertracht: Nazis, Uniformkommunisten, all die rechten oder linken Extreme, die von ihren Anhängern inbrünstig als wahr verteidigt und aufrecht erhalten werden. Angst, Machtgier, Kontrollwahn, Borniertheit, Dummheit, Blindheit - selbstinduziert oder natürlich, münden letztlich immer in Grausamkeit, unerbittlicher Härte und Endlösungen aller Art.

Auf der anderen Seite muss geistiges oder physisches Einsiedler- und Eigenbrödlertum auch nicht immer gesund erhalten: Man denke an die unabhängigen "Einzeltäter" unter den Terroristen, zB die rechten Idioten in Norwegen oder Neuseeland, die viele Menschen der Reihe nach abgeknallt haben, oder die islamistischen Idioten, die nie Mitgleid einer Gruppierung waren, aber dennoch ihre letztlich sinnlosen Akte brutaler tödlicher Gewalt zelebrierten, weil sie damit ihre Sache voranzubringen dachten.
Aber so schrecklich ihre Taten anmuten - gegen das abertausend- ja millionenfache Leiden und Sterben, das von großen Systemen der Ausschließlichkeit durch Unterdrückung, Verfolgung, Krieg und Genozid verursacht wird, bleiben sie fast unerheblich zu nennen!

Der Mensch ist schon seltsam: Einen irren Egomanen, der ein paar Dutzend Leute erschießt, sperren sie lebenslang weg oder richten ihn hin, aber einen irren Egomanen, der dank seiner Machtposition Millionen bewusst direkt ermordet oder deren Hungertod billigend in Kauf nimmt, nur um eine Politik durchzusetzen, wird als "großer Führer und Staatenlenker" verehrt oder gar vergöttert! Hätte Hitler den Krieg gewonnen, die Deutschen hätten es mit ihm genauso gemacht wie es die Russen  - viele bis heute! - mit Stalin taten, oder die Chinesen - ebenfalls bis dato! - mit dem "Großen Vorsitzenden" Mao! Seien wir uns ehrlich: ein Großteil der Menschheit besteht nach wie vor aus den eingangs erwähnten kleinen, engen Geistern - und viele davon sind obendrein missgünstig, hintertriebig und gemein bis böse, alles natürlich streng nach ihren verordneten Direktiven: Man verpetzt nicht jemandem beim Pfarrer, beim politischen Kommissar oder bei der Gestapo, um ihm eins auszuwischen oder alte Rechnungen zu begleichen ... nein, man handelt rechtschaffen im Sinne der Gemeinschaft, der "Idee", um sie sauber zu halten und sich als ehrbarer Bürger zu erweisen, als braves Schäfchen der Gemeinde, was sonst!

LG, eKy


PS: Sieh mal hier, hab ich schon letztes Jahr geschrieben:

http://www.dielyrik-wiese.de/lyrik-wiese/index.php?topic=7522.0
« Letzte Änderung: Oktober 10, 2020, 20:46:36 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.