Abendglanz

[Erich Kykal]

Wenn sich der Tag wie Seide glättet,
in Abend ausläuft wie ins Meer,
das weich sich um sein Sinken bettet,
dann bin ich ohne Gegenwehr,

darein zu schmelzen mit den Farben,
die sich ein Tag, der müde ward,
für jene, die ihn sanft umwarben,
und sein Vergehen aufgespart.

Wie gibt er sich mit vollen Armen
nun an den Sehenden heraus,
beruft ihn leis in sein Erbarmen
und lädt ihn ein zum Augenschmaus.

Da steigt mir meiner Seele Tauen
ans Herz, das mit den Sternen schlägt,
die in der Himmel Nachterblauen
unendlich spiegeln, was mich trägt.

Wenn sich der Tag wie Seide glättet,
versickernd in den Gang der Nacht,
hat er mein Seligsein gerettet
und bis zum Morgen groß gemacht.

[cyparis]

Lieber Erich Kykal!

Schon allein die Wiederholung der Anfangszeile zum Beginn der letzten Strophe ist eine Kunst für sich.
Was soll ich denn schreiben - außer, daß ich dies für eines Deiner großartigsten Gedichte halte.
Manchmal frage ich mich, wie Du es schaffst, nicht nur Niveau zu halten, sondern Dich immer wieder
zu steigern.

Meiner Bewunderung kannst Du gewiß sein!

Lieben, hutziehenden und knicksenden Gruß
von
cyparis

[Erich Kykal]

Hi, cypi!

Erst mal danke für die Blumen! Die von der Sorte welken nie!
Was das mit dem Niveau betrifft: Da bin ich durchaus nicht konstant! In den Foren stell ich natürlich immer die besten ein - oder die, welche ich dafür halte - das könnte das Bild etwas verzerren. Ansonsten hab ich nur EIN Geheimnis: Ich schreibe nur, wenn ich stark empfinde! Bei meiner Kopflastigkeit wäre meine Lyrik sonst wahrscheinlich zu technisch oder zynisch, auf jeden Fall nicht schön oder authentisch genug für meine rilkiesk geprägten überhohen Ansprüche an mich selbst.
Auf diese Weise produziere ich - wenn schon nicht immer auf gleichem Level - sehr wenig "Ausschuss": Pro Buch gibt es ca. 2-3 Gedichte, die ich bewußt nicht veröffentliche, ansonsten steht alles, was ich schreibe, auch drin.
Der Nachteil dieser Methode ist, dass manchmal durchaus Wochen oder gar Monate verstreichen können, bis es mich wieder "übermannt". Was soll's, ich habe keine Eile. Und wenn der Geist sich sammeln kann, werden die Werke irgendwie auch dichter, weil sich darin alles in der Zeit davor Angestaute sozusagen Bahn bricht.

LG, eKy

[cyparis]

Lieber Erich Kykal -

mir geht es ähnlich. Auch ich schreibe (fast nur) aus starker Emotion heraus.
Leider  n i c h t auf Kykalischem Niveau.
Kleinigkeiten, die ich so nebenher produziere, entspringen meist unguten Gefühlen wie Wut, Ärger, Abscheu.
Drum taugen sie auch nicht viel.

Lieben Gruß
von
cyparis

[Erich Kykal]

Ach, eins meiner "ganz alten"! Es entstand Jahre vor dem hier aufscheinenden Datum, da ich es hierhersetzte. Damals hatte ich noch keinen Dunst von Sonetten oder sonst irgendwelchen lyrischen Regulativen oder Formen überhaupt. Reiner Bauch- und Ohrendichter - und dachte, ich mache alles richtig! 

Aber was ich vermisse: Damals ich war noch vergleichsweise "jung und gesund" - tempus fugit! 

LG, eKy

[AlteLyrikerin]

Hallo Erich,

die Abendstimmung mit ihren unaussprechlich schönen Farben ergreift auch mich immer wieder. Du hast dem kaum Beschreibbaren hier ein Wortgemälde und eine Form gegeben, die anrühren.
Herzliche Grüße, Alte Lyrikerin.

[Erich Kykal]

Hi AL!

Vielen Dank für die freundlichen Worte zu diesen alten Zeilen! 

Ich habe viele "Dämmerungsgedichte" geschrieben, denn ich liebe diese Zeit des Übergangs, wenn der Abend zur Nacht wird. Dieses war damals eins der ersten.

LG, eKy