Autor Thema: Eine Kindheit im Bible Belt  (Gelesen 846 mal)

Erich Kykal

Eine Kindheit im Bible Belt
« am: Mai 23, 2021, 21:57:59 »
Bruder, ach, wie hat es kommen müssen!
Waren uns als Kinder lieb und gut,
stellten uns dem Leben voller Mut,
rein an Lebenszielen und Gewissen!

Du warst vierzehn und ich zwölf geworden,
als es wohl als Rauferei begann,
bis die erste Lust ihr Spiel gewann,
wo Hormone schäumend überborden.

Anfangs war es nur ein uns Erkunden,
bis zum ersten langen Zungenkuss
und dem darauf folgenden Erguss,
und von da ab waren wir verbunden.

Heimlich fanden wir uns ohne Zwänge,
voller Neugier, so wie Knaben sind,
noch nicht Männer, aber nicht mehr Kind,
ahnend schon die bürgerliche Enge

aller jener, die bestimmen konnten,
was moralisch sei und was es gilt,
dass man seine Rolle brav erfüllt
in den Reihen der von Gott Besonnten,

weil gesellschaftlich „normal“ gestaltet.
Als sie uns ertappten, war ihr Hass
brodelnd und ihr Wüten ohne Maß,
und ihr Fühlen für uns jäh erkaltet.

Man zerbrach an Körper dich und Willen,
fortgesperrt in eines Klosters Weilen,
mich kam eifrig ein Herr Doktor „heilen“
mit Elektroschocks und bunten Pillen.

Man verbot mir, über dich zu sprechen,
über alles, was uns je verband,
und man hoffte, dass ich nicht verstand,
was ihr Stab, den über uns zu brechen

gar so leicht fiel ohne jede Gnade,
sich herausnahm, unser Lieben richtend:
Folternd nach Gebot und uns vernichtend
für die „Reinheit“ seiner Bundeslade.
« Letzte Änderung: April 07, 2022, 18:07:12 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Eine Kindheit im Bible Belt
« Antwort #1 am: Mai 24, 2021, 17:56:58 »
Sehr schön, lieber Erich,

diese Art persönlicher Darstellung eines tragischen Geschicks durch biblische Unterjochung (wohl in den USA).

Ich war auf einer Jungenschule und in diesem Alter nacheinander in drei Jungen aus meiner Klasse ehrlich verliebt.

Sehr bedrückend, wie verständnislos, kalt und gewaltsam manche Religionsgemeinschaften mit der homosexuellen Liebe umgehen.


Traurig gelesen.
LG gummibaum

Erich Kykal

Re: Eine Kindheit im Bible Belt
« Antwort #2 am: Mai 24, 2021, 20:30:40 »
Hi Gum!

Derlei zieht sich, trotz der medialen Toleranzsignale und einer langsam einsetzenden leichten Breitenwirkung auch in bildungsferneren Bevölkerungsschichten, leider immer noch durch alle Lebensbereiche und Staatsformen.
Die Bibelextremisten im amerikanischen Mittelwesten sind da nur ein symptomatisches Beispiel für besonders rigide Einsichtsverweigerung mit Berufung auf göttlichen Willen.
Es eint alle konservativen Strömungen, überall auf der Welt, dass sie nur sehr langsam und nur unter langem und starkem Druck bereit sind, Stückchen für giftig verteidigtes Stückchen ihrer tradierten Vorurteilskultur aufzugeben.
Auch in Österreich ist das so: Bis fast Mitte des 20. Jhdts galt für Homosexualität die Todesstrafe unter den Nazis, danach bis in die Siebziger lange Gefängnisstrafen, teilweise von den gleichen ehemaligen Nazirichtern, nun im Dienste der Republik, ausgewiesen, und bis zuletzt vor der Abschaffung des Totalverbots in den Achtzigern rigoros durchgezogen. Erst vor wenigen Jahren gab es endlich die Ehe für Schwule (Lesben durften längst, das war wohl weniger Pfuibäh, oder die männlich dominierte Regierung traute sich an diese Spielart nie so recht heran .. - man sprach von "möglicher Hilfe bei der Körperpflege" (geht's noch verlogener oder feiger?), und dass man dies nicht von eindeutigen sexuellen Handlungen unterscheiden könne - die Nazis hatten zuvor da keine Hemmungen ...), davor gab es - auch erst seit 2006 oder so - nur eine "eingetragene Partnerschaft", die man rechtlich einigermaßen der Ehe gleichsetzte - aber natürlich nicht moralisch! So gab es für eingetragene Partner keinen "Familiennamen" mehr in den Ausweispapieren, nur einen "Nachnamen" - so wollte man ihnen und allen verdeutlichen, dass man solche gleichgeschlechtlichen Gemeinschaften nicht als Familie im staatlich kolportierten Sinne anerkenne und auch nicht auf dieser Basis fördern wolle.
Dementsprechend ist es schwulen Paaren bei uns bis heute verboten, Kinder zu adoptieren, obwohl in unzähligen aufgeschlosseneren Ländern längst belegt ist, dass dies für die spätere sexuelle Ausrichtung der Heranwachsenden keinerlei Rolle spielt, egal ob sie zwei Väter, zwei Mütter oder die "mehrheitliche" Variante hatten!

Aber so ist es eben mit Vorurteil, Dummheit und erlerntem Ekel: Das Umdenken, der Perspektivwechsel fällt unsäglich schwer, wird er von den Betonschädeln allzu oft als "Niederlage" betrachtet, nie als Entwicklung zu etwas Besserem. Leider sind Leute, die sich berufen fühlen, bestimmen zu dürfen, was als "sauber und moralisch" zu gelten habe, meist unfähig zu erkennen, dass gewisse Werte der Mitmenschlichkeit und der Wert des individuellen Charakters einer Person und nicht deren sexuelle Neigung wesentlich wichtiger sind als der erlernte und nie hinterfragte anerzogene Ekel gegenüber allem, was irgendwie "anders" ist.

Bei meinen Schülern finde ich heute schon Aufgeschlossenheit - zuweilen outet sich ein Mädchen, neuerdings auch ein farbiger Junge, als gleichgeschlechtlich orientiert, und sie werden zumindest nicht verprügelt oder offen gemobbt.
Andererseits gibt es viele Schüler, vor allem Jungen, für die "Schwuler" oder "Schwuchtel" immer noch ein gültiges Schimpfwort ist, und die das auch von ihren Eltern so erklärt bekommen. Einige vertreten ebenso offen ihr rassistisches/homophobes Gedankengut - man darf annehmen, dass die Erziehungsberechtigten dieser Buben nach wie vor stramme Nazis sind. Man kann sie leider nicht alle retten ...

Bis zu echter durchgängiger Toleranz und Willen zu Verständnis und Respekt in der Gesamtbevölkerung ist es noch ein weiter Weg - weltweit, aber auch bei uns.

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juli 08, 2021, 12:09:40 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Eine Kindheit im Bible Belt
« Antwort #3 am: Mai 25, 2021, 13:09:53 »
Danke, Erich, für die ausführliche Darlegung. Ich kenne auch noch die Bezeichnung 175er, nach dem entsprechenden Paragraphen im Strafgesetzbuch. Auch musste ich beim ersten Wort deines Gedichts an die Bezeichnung "warmer Bruder" denken.

Gruß von gummibaum
« Letzte Änderung: Mai 25, 2021, 13:12:42 von gummibaum »

AlteLyrikerin

Re: Eine Kindheit im Bible Belt
« Antwort #4 am: Mai 25, 2021, 14:26:29 »
Hallo Erich,

Deine Verse beschreiben bedrückend wirksam die gnadenlose Herrschaft einer bigotten Moral über Menschen, deren Beziehungen und Gefühle als krank oder pervers verurteilt wurden.
Mit Traurigkeit gelesen, AlteLyrikerin.

Erich Kykal

Re: Eine Kindheit im Bible Belt
« Antwort #5 am: Mai 25, 2021, 17:45:59 »
Hi Gum!

Es passt als ebenfalls abwertende Bezeichnung, aber mir lag das nicht im Sinn - es ging mir nur um die tatsächlichen Brüder.

Hi AL!

Ab und zu befleißige ich mich eines sozialkritischen Gedichtes zu besonderen Tabuthemen. Hier gleich drei: Homosexualität, dann noch unter Geschwistern, also Inzest, und minderjährig waren sie auch noch. (Was, da sie es beide waren, keinen Straftatbestand darstellt, aber für die Bibelfritzen gleicht es natürlich einer vorzeitigen Ermordung ihrer ach so geheiligten "Unschuld"!)


LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.