Autor Thema: Blick zurück - ohne Zorn  (Gelesen 668 mal)

AlteLyrikerin

Blick zurück - ohne Zorn
« am: Mai 25, 2021, 14:36:48 »
Ich fühlte mich bei euch weit mehr gefesselt als geborgen,
und mancher fahle Morgen
weckte nur die Angst von Gestern.
Meiner Wehmut wuchsen Schwestern
namens Argwohn und Verdacht.
Klagten dann in mancher Nacht,
verdorben bist du und verkehrt.
Jeder Tag hat schnell verzehrt,
meine Kunst zu inszenieren, dass ich kostbar sei.

Erich Kykal

Re: Blick zurück - ohne Zorn
« Antwort #1 am: Mai 25, 2021, 17:40:07 »
Ich fühlte mich bei euch weit mehr gefesselt als geborgen,
und mancher fahle Morgen
weckte nur die Angst von Gestern.
Meiner Wehmut wuchsen Schwestern
namens Argwohn und Verdacht.
Klagten dann in mancher Nacht,
verdorben bist du und verkehrt.
Jeder Tag hat schnell verzehrt,
meine Kunst zu inszenieren, dass ich kostbar sei.

Hi AL!

Ich hoffe sehr, du sprichst hier nicht als LyrIch unser Forum an!  ;)

Der Text ist gut, mal abgesehen von er einen zu kurzen und den zwei zu langen Zeilen, aber sehr zerworfen durch oft wechselnden betonten und unbetonten Auftakt:

xXxXxXxXxXxXxXx
xXxXxXx
XxXxXxXx
XxXxXxXx
XxXxXxX
XxXxXxX
xXxXxXxX
XxXxXxX
XxXxXxXxXxXxX

Wenn ich vorschlagen darf:

Ach, ich fühlte mich bei euch
mehr gefesselt als geborgen.
Mancher aschenfahle Morgen
weckte nur die Angst von Gestern.
Meiner Wehmut wuchsen Schwestern
namens Argwohn und Verdacht,
klagten dann in mancher Nacht,
dass du krumm bist und verkehrt.
Jeder Tag hat schnell verzehrt
meine Kunst zu inszenieren,
dass ich kostbar sei.

XxXxXxX
XxXxXxXx
XxXxXxXx
XxXxXxXx
XxXxXxXx
XxXxXxX
XxXxXxX
XxXxXxX
XxXxXxX
XxXxXxXx
XxXxX

So hätten wir durchgehend und taktsicher betonten Auftakt, und die eine zu kurze Zeile ist die letzte, was die Conclusio hervorhebt. Die reimlosen Zeilen umarmen die gereimten. So hat das Ordnung und Rhythmus.

Nimm, was dir brauchbar erscheint oder finde eigene Lösungen, oder sei zufrieden mit dem, was ist.

Gern gelesen und bevorschlagt!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Mai 26, 2021, 12:42:01 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Blick zurück - ohne Zorn
« Antwort #2 am: Mai 26, 2021, 10:31:01 »
Hi AL!
eKys Hoffnung schließe ich mich sehr an! :)
Spannend finde ich dann den Vergleich zwischen Deiner relativ frei gestalteten Originalfassung und eKys metrisch aufgeräumter Version. :) Ich finde dabei auch das Nebeneinander beider Varianten sehr schön. :)

Insgesamt würde ich übrigens sowohl beim Originaltext wie auch bei der geglätteten Fassung (die sicher absichtsvoll ganz nah am Original entlang formuliert ist) noch etwas Mut vermissen, konventionelle Sprachpfade zu verlassen. Der Sprung aus der Konventionalität gelingt für mich erst (dann aber ganz "schön") in der allerletzten Zeile - man könnte sagen: immerhin.

Dementsprechend ließe sich dieser Umschwung ganz zum Schluss als gewollter Knall-Effekt verkaufen, für mich wirkt es aber ein bisschen so, als sei das Ziel eines inspririerten Schreibens nur  mit Müh und Not "auf den letzten Drücker" erreicht worden. Etwas mehr Artistik oder Unkonventionalität in den vorangehenden Versen hätten daher die Zeilen für mich noch etwas überzeugender gestaltet.

Ad-hoc-Vorschlag (nur mal um eine grobe Richtung anzuedueten, was ich meine):

Ich fühlte mich bei euch weit mehr gefesselt als geborgen,
und jeder Weckruf am Morgen
ist nur ein Reim auf die Angst von Gestern.
Meine Wehmut besteht aus Überresten
namens Argwohn und ...
Klagegezeiten umnachtet - 
Anmutung: Ich laufe verkehrt
herum. Der Tag schon ganz ausgezehrt
vor lauter Kunst. Die Inszenierung,
dass ich kostbar sei.

LG!

S.

AlteLyrikerin

Re: Blick zurück - ohne Zorn
« Antwort #3 am: Mai 26, 2021, 11:40:55 »
Hallo Erich,

keine Sorge, auf der Lyrikwiese geht es mir gut!  :)
Vielen Dank für die Arbeit an meinem Gedicht. Deine Fassung gefällt mir sehr gut. Mag sein, ich werde sie übernehmen. Zuvor möchte ich noch etwas grübeln und die Textentstehung noch etwas mit Euch diskutieren. Denn es gibt eine erste Fassung, die ich spontan - weiß auch nicht so genau, warum - dann verändert habe:

Blick zurück - ohne Zorn.

Ich fühlte mich bei euch weit mehr gefesselt als geborgen,
und mancher fahle Morgen weckte nur die Angst von Gestern.
Meiner Wehmut wuchsen Schwestern namens Argwohn und Verdacht,
klagten dann in mancher Nacht, "verdorben bist du und verkehrt".
Jeder Tag hat schnell verzehrt, meine Kunst zu inszenieren,
dass ich kostbar sei.

Durch die Form - es gibt keine Reime am Ende der Zeilen - wollte ich die Traumatisierung des lyrischen Ich beschreiben, dass ohne Nestwärme und Geborgenheit auswächst, und daraus den Schluss zieht, es müsse etwas schrecklich verkehrt an ihm sein. Die Reime sind in die Versmitte gelegt, und in der letzten Zeile wird der Reim ganz verweigert.

Lieber Sufnus,

auch Dir herzlichen Dank für die Anregungen. Du vermisst den Mut "konventionelle Sprachpfade" zu verlassen. Es kommt darauf an, womit man die Sprache vergleicht. Ich sehe meine Versuche zu schreiben als Gegenkonzept zur Alltagssprache unserer Zeit, die immer mehr verarmt und die marktschreierische bzw. sensationsgierige Formulierungen aufweist, die aus Marketing und Journaille in unsere Sprache eindringen.
Außerdem habe ich, ohne anderes dadurch abwerten zu wollen, in meiner Lyrik eher den Wunsch die Schönheit schlichter Rede, sozusagen die Haltung des sprachlichen Understatements, zur Geltung kommen zu lassen. Allzu elaboriert möchte ich gar nicht daherkommen. Schon allein die Tatsache, dass LyrI in den Zeilen eine Haltung der Rückbesinnung, der Reflexion einzunehmen versucht ohne Hass und ohne Verurteilung der Eltern, ist ja in unserer Gesellschaft - in den sozialen Netzwerken - nicht gerade an der Tagesordnung. Vielleicht kannst Du nachvollziehen, was ich meine, wenn ich es auch nicht so gekonnt formuliert habe.

Herzliche Grüße, Euch beiden, AlteLyrikerin.
« Letzte Änderung: Mai 26, 2021, 11:43:39 von AlteLyrikerin »

Erich Kykal

Re: Blick zurück - ohne Zorn
« Antwort #4 am: Mai 26, 2021, 12:49:35 »
Hi AL!

Reime innerhalb der Verszeile nennt man übrigens Binnenreime. Ich hab auch schon damit gespielt (ohne allerdings auf die Zeilenendreime zu verzichten):

http://www.dielyrik-wiese.de/lyrik-wiese/index.php?topic=6025.msg34362#msg34362

So betrachtet erscheint mir deine Ursprungsversion sprachlogisch wie reimschematechnisch sogar nachvollziehbarer, da sich da eine klare Abfolge ergibt, die von Beginn bis Ende durchgehalten wird. Danke, dass du uns in den Genuss kommen lässt.

LG, eKy

Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Blick zurück - ohne Zorn
« Antwort #5 am: Mai 27, 2021, 13:03:46 »
Hi AL!
Ich würde auch die Ursprungsversion präferieren - die Neufassung ist demgegenüber durch die kürzeren Zeilen stärker einem klassischen Gedicht angenähert, was aber für mein Empfinden ein etwas störendes Pathos einbringt. Die Urversion wirkt schlichter und deshalb ergreifender.
Und zu Deiner Entgegnung auf meine Bedenken bzgl. der "konventionellen Sprachpfade": Du scheinst meine Anmerkung (bestimmt aufgrund des von mir gewählten Beispiels) so aufzufassen, dass ich anstelle des von Dir gewählten Angangs eine Sprache präferierte, die einen höheren rhetorischen Aufwand betreibt, was Dir, gemessen an einem Ideal der "Schönheit schlichter Rede", widerstreben würde.
Das ist aber insofern ein Missverständnis als ich auch eine "schöne schlichte Rede" als etwas empfände, was weit abseits konventioneller Sprachpfade liegt. Die konventionelle Sprache ist meist nicht besonders "schön" (was auch immer man darunter versteht) und auch nicht "schlicht" (wenn damit etwas anderes gemeint sein will als "ärmlich").
Schlichte Schönheit würde ich zum Beispiel in der Sprache der ersten Erzählungen Ferdinand v. Schirachs finden (die neueren Sachen von ihm kenne ich nicht). Auch da, wo in diesen Erzählungen Schlimmes berichtet wird, bleibt die Sprache elegant und "schön", weil sie exakt ist (ohne pedantisch zu werden) und sich als facettenreich erweist (ohne ins Ornamentale abzugleiten). Die puristische Anmut solcher Sprache ähnelt - nochmal sei's betont - keineswegs einer dem konventionellen Gestus entlehnten Schreibweise, welche durch unnötigen Wortballast, Unanschaulichkeit, schiefe Vergleiche und eine blasse, kraftlose Ausdrucksweise gekennzeichnet ist.
LG!
S.