Autor Thema: Das Nachtsonett  (Gelesen 1136 mal)

horstgrosse2

Das Nachtsonett
« am: Juni 06, 2021, 08:20:39 »
Das Nachtsonett


Das Tagwerk wandert langsam in die Ferne.
Die Sonne fällt dem Horizont entgegen.
Flugs wachsen Schatten und am Himmel kleben
der Mond, erhaben, und sein Volk die Sterne.

Düsterkeit lässt Ohren wachsen und?
Jetzt erwacht die Zeit der schwarzen Katzen.
Keine Maus ist sicher vor den Tatzen
selbst der laue Nachtwind, er verstummt.

So manche der Träume, sie taumeln so blindlings umher,
sie suchen den Hafen des Ursprungs und finden nichts mehr.
Doch Ruhe, da schleicht, so ein Schnarchen so durstig nach Bier.

Es freut sich auf schmerzenden Morgen aufs Leben aufs Hier.
Ach Sonne so lasse dir Zeit, um das Leben zu wecken,
denn manche, sie wollen den Nachtfilm genüsslich erst schmecken.
...
..
.
[/font][/tt][/font][/font]
« Letzte Änderung: Juni 07, 2021, 08:29:58 von horstgrosse2 »

Erich Kykal

Re: Das Nachtsonett
« Antwort #1 am: Juni 06, 2021, 11:50:04 »
Das Nachtsonett

Das Tagwerk wandert langsam in die Ferne.
Die Sonne fällt dem Horizont entgegen.
Flugs wachsen Schatten und am Himmel kleben
der Mond, erhaben, und sein Volk die Sterne.

Düsterkeit lässt Ohren wachsen und? Der Reim "und/verstummt" ist unrein.
Jetzt erwacht die Zeit, der schwarzen Katzen. Kein Komma vor "der".
Keine Maus ist sicher vor den Tatzen Komma ans Zeilenende.
selbst der laue Nachtwind er verstummt. Komma vor "er".

So manche der Träume sie taumeln so blindlings umher, Komma vor "sie".
sie suchen den Hafen des Ursprungs und finden nichts mehr.
Doch Ruhe, da schleicht so ein Schnarchen so durstig nach Bier. Komma vor "so".

Es freut sich auf schmerzenden Morgen aufs Leben aufs Hier. Komma vor "aufs".
Ach Sonne so lasse dir Zeit, um das Leben zu wecken, Komma vor "so".
denn manche sie wollen den Nachtfilm genüsslich erst schmecken. Komma vor "sie".


Hi, HG2!

Das ist gut geschrieben, aber formal sehr grenzwertig - man könnte es bestenfalls ein "seeehr modernes" Sonett nennen. Warum? Nun, die klassische Form definiert sich so:

2 Quartette mit umarmenden Reimen (ABBA ABBA oder ABBA BAAB), 2 Terzette (mit 2 oder 3 Reimen, aber die beiden letzten Zeilen sollen sich nicht direkt reimen), durchgehend  fünfhebige Zeilen, unbetonter Auftakt, weibliche Kadenzen.

Es gäbe da noch mehr Firlefanz wie zB wie Unterteilung in These (1. Quartett), Antithese (2. Quartett) und Synthese (Terzette), aber das beachtet heute kaum noch jemand wirklich. Auch die Regeln zu den letzten beiden Zeilen oder den weiblichen Kadenzen haben sich mittlerweile aufgeweicht, und im modernen Sonett ist viel mehr möglich.
Ich selbst habe schon vierhebige und sechshebige Sonette geschrieben, sogar welche mit betontem Auftakt.

Was ich allerdings nicht tun würde, und was du hier getan hast, ist die Zeilenlänge und das metrische Schema mittendrin mehrmals zu ändern, sowie den Auftakt willkürlich zu wechseln.

Schauen wir uns dein Original mal an:

xXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXx
XXxXxXxXxXx ("Flugs" möchte betont gelesen sein. Man kann es zwar anders lesen, aber glücklich wird es nicht damit. Ein "Schon" wäre passender.)
xXxXxXxXxXx

XxXxXxXxX
XxXxXxXxXx
XxXxXxXxXx
XxXxXxXxX

xXxxXxxXxxXxxX
xXxxXxxXxxXxxX
xXxxXxxXxxXxxX

xXxxXxxXxxXxxX
xXxxXxxXxxXxxXx
xXxxXxxXxxXxxXx


Die erste Strophe folgt noch brav dem klassischen Schema - doch das 2. Quartett wechselt abrupt zum betonten Auftakt - und mit den Terzetten kommt ein völlig anderer Rhythmus ins Spiel.
Die Kadenzen wechseln ohne erkennbares regelmäßiges Schema.

Das sind zusammengefasst die Abweichungen, die ich so niemals einem Sonett antun würde, das von harmonischem Gleichmaß quasi lebt. Ich denke eher, du wolltest hier vielleicht eine Art lyrisches Experiment unterbreiten - um zu sehen, ob es funktioniert.

Mein Fazit: Ja, es funktioniert - als lyrische Einheit, strukturell mehr dem Sprachfluss, dem Inhalt und der Stimmung folgend als dem festen Sonettschema. Daher würde ich es zwar als gelungenes Gedicht bezeichnen - aber ich würde es nicht Sonett nennen wollen. Es hat grobe Sonettform mit den Quartetten und Terzetten - aber das ist es dann auch.

Insgesamt sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

horstgrosse2

Re: Das Nachtsonett
« Antwort #2 am: Juni 07, 2021, 08:32:44 »
@Erich

@Erich



Grüße.

Das Nachtsonett ist ein Schlitzohr Sonett. Nach dem Muster: [abba abba ccd dee] Und so, als Möglichkeit steht’s auch in Google.
Die These steht im Jambus, die Antithese steht im Trochäus und die Synthese im Amphibrachys. Also alles legitim und metrisch getrennt. Das war hier mein Streben. Deine Betonungseinwände sind richtig aber hier im Nachtsonett nicht vorgesehen, grins.
Ich habe irgendwo (Zeitlich Jahre vorher), einen Text stehen über mehrere Verse, wo ich mit dem Jambus beginne, später dann Mischverse benutze, um am Ende mit Trochäus zu beenden. Keiner hatte bemerkt, dass es gewollt war. Ähnlich hier mit meinem Nachsonett. Du hast ja den Braten gerochen. Danke mit der Korrektur, ich werde gleich mal schauen. Ok, fertig.
Ich bedanke mich, wie immer, sehr gerne, für deine Arbeit.

Bis später.




Agneta

  • Gast
Re: Das Nachtsonett
« Antwort #3 am: Juni 08, 2021, 09:29:01 »
Ja, kann man machen, muss man nicht machen. Eine Spielerei kann witzig, pfiffig sein, wenn sie als Stilmittel den Inhalt unterstützt. Ob der Amphi aber angetan ist, die Konklusion flüssiger rüberzubringen? Meinem Stilempfinden widerspricht es. Aber vielleicht Geschmacksache. LG von Agneta

Rocco

Re: Das Nachtsonett
« Antwort #4 am: Juni 14, 2021, 09:38:02 »
Hallo Horst Grosse,

ein stimmungsvoller Text, den man immer wieder lesen kann.

Bis dann!

Rocco
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

horstgrosse2

Re: Das Nachtsonett
« Antwort #5 am: Juni 21, 2021, 11:32:47 »
@Agneta


Grüße. Ja, kann deine Meinung akzeptieren, werde hier aber die Einmaligkeit, in Form und Metrik,  dieses Sonettes belassen. Danke dir.

@Rocco


danke dir für deine Meinung.

Bis später wieder.

Sufnus

Re: Das Nachtsonett
« Antwort #6 am: Juni 21, 2021, 13:33:54 »
Hi Horst!

Schön, dass Du die Wiese mit einem Sonett bereicherst und hier ein interessantes Spiel mit unterschiedlichen Metren anbietest - wobei "interessant" ja immer so ein Warnwort ist ("Oha... schmeckt... interessant... ")... nunja, ganz so negativ meine ich das jetzt nicht, aber auch für mich (ähnlich wie für Agneta offenbar) kommt der Amphibrachys im Kontext der anderen Strophen nicht so richtig gut rüber, irgendwie "passt" es hier für mich nicht so recht.

Wahrscheinlich vor allem deshalb, weil Gedichte in regelmäßigen Daktylen, Anapästen oder Amphibrachien vor allem Kinder des 19. Jahrhunderts sind, also ein gerüttelt Maß Altmodischkeit ausstrahlen (was ja nicht schlecht sein muss!). In Deinem Gedicht sind aber die - äußerst rühmenswerten - ersten beiden Strophen von einem beeindruckend expressionistischen Gestus erfüllt und klingen somit vergleichsweise ganz schön modern (der Exressionismus hat seinen 100. Geburtstag längst hinter sich, insofern ist das mit "modern" natürlich eine relative Geschichte :) ). Naja, jedenfalls diese expressionistische Haltung der ersten beiden Strophen beißt sich für meine Lesestimme dann etwas mit der klassizistischen Haltung der beiden Terzette.

Dennoch sehr angeregt gelesen! :)

S.

P.S.:
Nochmal zum Nachtrommeln: Die ersten beiden Strophen erfreuen mich gar sehr!!! :)

horstgrosse2

Re: Das Nachtsonett
« Antwort #7 am: Juni 23, 2021, 06:13:52 »
@Sufnus


Grüße.

Also, es wird wohl kein anderes Sonett mehr folgen, was vom Aufbau dem Nachtsonett folgen wird. Aber Fakt ist, das These, Antithese und Synthese, für meine Begriffe, hier schön erkennbar sind. Auch, wenn ich gegen den natürlichen, vorgegebenen Jambus muster verstoßen habe. Das wird mir die Welt, bei der Einmaligkeit verzeihen müssen. Es ist ja nur einmal geschehen, die restlichen Sonette aus meiner Feder folgen brav den Anforderungen.
Der Amphibrachys gibt für meine Begriffe, vom metrischen Aufbau, mehr Spielraum als Jambus und Trochäus, denke ich mal. Für mich schade, dass er sowenig beachtet wird.

Ok, danke. Bis später dann und danke für deine Resonanz.