Autor Thema: Doppelmoral  (Gelesen 368 mal)

Erich Kykal

Doppelmoral
« am: August 18, 2022, 11:09:09 »
Selten ist des Menschen Sünde
lässlich, harmlos und erheiternd.
Gut sind meistens nur die Gründe
für's Gewissen, kläglich scheiternd.

Selten ist des Menschen Stärke
rücksichtsvoll und unbefangen,
und die meisten „guten Werke“
dienen doch nur dem Verlangen.

Selten ist des Menschen Demut
wie ein kostbares Juwel.
Meistens führt sie nur zu Wehmut
vor dem Hinrichtungsbefehl.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Doppelmoral
« Antwort #1 am: November 23, 2022, 16:26:57 »
Hi eKy!

Bei diesem Werk steige ich ehrlich gesagt nicht so ganz durch. Der dreiteilige Aufbau suggeriert eine Art dialektische Gedankenführung von These-Antithese-Synthese, aber die finde ich so dann eigentlich nicht (was kein Problem darstellt, keinesfalls muss jedes dreistrophige Gedicht solch einem logischen Aufbau folgen - das wär ja noch schöner!). Ich beschreibe hier also nur eine Erwartungshaltung von mir, die dann nicht bedient wurde (um so besser!). Nachdem ich gemerkt habe, dass ich nach diesem Dialektik-Schema nicht weiterkomme, habe ich neu angesetzt, aber dann bin ich etwas im Unbestimmten verloren gegangen.

Es liegt wohl an der dritten Strophe, dass ich Verständnis-technisch irgendwie scheitere. Konkret: Wie ist der Zusammenhang von Demut und Hinrichtungsbefehl? Und wer ist in diesem Szenario von "Wehmut" befallen? Ist der Demütige das Opfer der Hinrichtung? Dann wäre die Lehre wohl: Besser nicht zu duckmäuserisch sein, besser sich rechtzeitig wehren oder aber Land gewinnen, sonst ist man nachher das Opfer (und - nach dieser Sichtweise - irgendwie auch noch Schuld daran). Solch eine Täter-Opfer-Umkehr fände ich allerdings schon sehr problematisch. Soll es dann vielleicht anders zu lesen sein? Der Demütige ist derjenige, der die Hinrichtung durchführt und nicht ihr Opfer? Das verstehe ich dann aber auch wieder nicht: Warum sollte Demut dazu führen, dass man zum Vollstrecker von Unrecht wird? Und was hat das alles mit Wehmut zu tun (außer dass die sich halt nun mal gut auf Demut reimt)? Wehmut wäre wohl ein ziemlich unrealistisches Gefühl beim Opfer einer Hinrichtung (Entsetzen, Verzweiflung, vielleicht auch innere Leere wären eher zu erwarten). Aber auch ein Henker/Scharfrichter wird wohl eher nicht "wehmütig" sein angesichts des Opfers (vermutlich eher teilnahmslos oder sadistisch-aufgeputscht, je nach "Professionalität").

Nun... sprachlich lesen sich die Zeilen durchaus sehr rund, gerade auch durch die Wiederholungen zum Strophenbeginn, aber inhaltlich bin ich etwas gestrandet... vielleicht bin ich auch grad in einem intellektuellen Energieloch ;)

LG!

S.

Erich Kykal

Re: Doppelmoral
« Antwort #2 am: November 23, 2022, 18:30:26 »
Hi Suf!

Motivation und Hintergrund dieses Gedichtes war für mich die menschliche Hybris, die Überzeugtheit von den eigenen Ansichten, Motiven und dem, was man als wahr und gut erachtet. Der Mangel an Demut anderen Ideen und Denkmodellen gegenüber, der uns vordergründig und selbstgefälkig urteilen und verdammen lässt, die Unfähigkeit, den Menschen hinter einer anderen Meinung wahrzunehmen und zu respektieren.

Die Demütigen, also jene, die sich nicht von arrogantem Vorurteil und geistloser Verallgemeinerung lenken lassen wollen, der selbstgefälligen Überzeugtheit, im alleinigen Besitz von Wahrheit, Gerechtigkeit und Moral zu sein, hat man immer schon lieber hingerichtet, als ihnen zuzuhören.

Dieser Doppelmoral wollte sich das obige Werk widersetzen.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.